Mittwoch Vormittag besprach ich mit meiner Chefin das Konzept für die sozialen Medien. Sie wirkte beeindruckt „sehr gut, ich wusste doch, dass du das schaffst, wenn du es nur willst" meinte sie augenzwinkernd. „Auch das gehört zu deinen Aufgaben" fügte sie noch hinzu. Ergeben nickte ich. Sie hatte recht, aber die Sichtbarkeit in der Abteilung und weiter oben war für gut geschriebene Artikel sehr viel höher als für Klicks im Internet. Deshalb versuchten sich alle immer davor zu drücken. Trotzdem hoffte ich, dass mein Engagement gewürdigt werden würde – vielleicht sogar mit einer Beförderung?
Nachmittags machte ich mich dann auf den Weg zum Kaffee, wo das Interview mit dem PENU Mitglied verabredet war. Gerade hatte ich meine Sachen sortiert und überlegte, ob ich mir etwas zu Trinken bestellen soll, als eine bekannte Gestalt auf mich zukam.
Groß, breite Schultern, dazu schwarze Haare und ein markantes Gesicht. Seinen dunklen, grau-blauen Augen schienen mich durchbohren zu wollen. Selbst wenn ich meinen Blick hätte abwenden wollen, wäre es mir nicht gelungen. Arvid setzte sich auf den Stuhl gegenüber von mir und musterte mich.
Die Stille zwischen uns wurde unangenehm, doch ich war von seinem unangekündigten Auftreten immer noch geschockt. Er hob wissend eine Augenbraue und musterte mich mit seiner selbstbewussten, arroganten Miene. Das riss mich aus meiner Starre „ich habe jetzt keine Zeit für Sie. Ich muss arbeiten und erwarte jemanden" brachte ich schließlich krächzend hervor.
Mein Gegenüber lächelte nur und erwiderte mit dunkler, rauer Stimme. „Ich denke, wir kennen uns mittlerweile gut genug, dass wir zu einer weniger formalen Anrede übergehen können. Und du musst nicht mehr länger warten. Ich bin jetzt da."
Mein Gehirn verarbeitete seine Aussage und dann begriff ich. Ruckartig setzte ich mich auf, kniff die Augen zusammen und griff mir an den Hals. „Du hast den Interview-Termin ausgemacht?" Ich formulierte es als Frage, aber die Antwort war mir schon klar bevor Arvid nickte. „Da du dich nicht mit mir treffen wolltest, schien mir das eine gute Möglichkeit."
Innerlich kochte ich. Was fiel diesen Typ ein, mich so zu täuschen? Meine Arbeit so gegen mich zu benutzen? Kurz überlegte ich, ob ich einfach aufstehen und gehen sollte. Doch wie immer in seiner Gegenwart schien mein Körper mir nicht mehr zu gehorchen. Und zugegebenermaßen war ich etwas geschmeichelt, wie weit er für ein Treffen gegangen war. Auf die Idee wäre bestimmt nicht jeder gekommen.
Ich atmete tief durch und versuchte mich wieder etwas zu entspannen. Als ich mich gefangen hatte, sah ich ihm fest in die Augen. „Was willst du?" Ich hatte beschlossen, nicht mehr auf das Siezen zu bestehen.
Nachdenklich wippte er mit dem Kopf von einer Seite auf die andere. „Das Thema hatten wir schon. Aber momentan: mit dir reden."
Mit den Fingern massierte ich mir die Nasenwurzel. Wahrscheinlich würde ich später noch bereuen, was ich jetzt machen würde. „Gut. Lass uns reden." Vielleicht könnte ich das Thema Arvid damit ein für allemal aus meinem Leben verbannen.
Der Kellner kam und nahm unsere Bestellungen auf. Ich packte meine Fragen für die PENU weg. „Du kannst mich schon auch interviewen, wenn du möchtest. Oder ich gebe dir die Antworten schriftlich, dann bleibt mehr Zeit zum Reden. Ganz wie du möchtest" bot mir mein Gegenüber an. Überrascht sah ich ihn an. Ich war erleichtert, dass ich keine Ausrede brauchen würde, warum ich keinen Bericht zum heutigen Interview hatte.
„Darf ich unser Gespräch aufnehmen?" Mit einer Handbewegung gab mir Arvid dazu die Erlaubnis.
Der Kellner kam mit unseren Bestellungen. Anschließend startete ich die Aufnahme und schaute auf meinen Zettel, obwohl ich die Fragen im Kopf hatte. Aber ihn anzusehen brachte mich zu sehr aus dem Konzept. „In Ihren Wahlprogramm ist sehr viel zum Thema Umwelt zu finden. Machen Sie es sich nicht zu einfach, indem Sie zu anderen Problemen wenig oder keine Stellung nehmen?" begann ich.
„Durchaus nicht" bekam ich zur Antwort. „Umweltschutz und die Erderwärmung ist in unseren Augen das drängendste Thema unserer Zeit. Von den etablierten Parteien gibt es kein Konzept – das ist eine Lücke, die wir schließen wollen. Wir haben sehr wohl noch andere Themen. Zum Beispiel eine Steuerreform, um Geringverdiener zu entlasten. Dazu eine Neuausrichtung des Gesundheitssystems und die Sicherung der Arbeitsplätze in Deutschland."
Das war eine gute Vorlage für eine weitere Frage von mir. „Und doch sind Sie gegen das neue Industriegebiet. Wie passt das zusammen mit Ihrer Aussage, dass Sie Arbeitsplätze sichern wollen?"
Ich dachte, dass ich ihn damit in die Ecke gedrängt hatte. Doch er schenkte mir eines seiner überlegenen Lächeln. „Es gibt kaum Firmen, die zugesagt haben dort viele Arbeitsplätze zu schaffen" entkräftete er meine Aussagen. „Bisher gibt es lediglich die Pläne dort große Lagerhallen zu bauen. Das ist viel Flächenfraß, aber wenige Leute werden dort arbeiten."
Erstaunt blickte ich ihn an. Ich hatte ihn eindeutig unterschätzt. „Es werden sich weitere Firmen dort ansiedeln und damit dazu beitragen, dass auch zukünftige Generationen hier bleiben können. Eventuell entsteht sogar ein Einkaufszentrum."
Mein Gegenüber schnaubte ablehnend. „Wozu brauchen wir noch mehr Möglichkeiten, das Geld in sinnlose Anschaffungen zu stecken?"
Geschockt zuckte ich zurück. Das konnte ich so nicht auf mir sitzen lassen. „Unser aktueller Wohlstand ist durch Konsum und durch eine starke Industrie entstanden. Das jetzt zu verteufeln ist kurzsichtig. Nur deshalb können wir uns unseren Lebensstandard leisten." Ich merkte, wie ich mehr und mehr aufblühte. Schon lange hatte ich keinen würdigen Gegner mehr in einer Diskussion gehabt.
„Ich sage auch nicht, dass alles schlecht ist" lenkte Arvid tatsächlich ein. „Aber das aktuelle Industriegebiet ist nicht notwendig. Nur 10 km weiter gibt es ein anderes – die hätten noch genug Fläche übrig, die man zunächst bebauen könnte."
„Trotzdem sichert die Ansiedlung der Unternehmen die Steuereinnahmen der Stadt" argumentierte ich dagegen.
Da blitzten Arvids Augen wütend auf. „Genau, darum geht es. Immer mehr Geld, ganz egal, was der Preis ist, den wir dafür bezahlen. Ohne Rücksicht auf Verluste. Wachstum über alles, aber unkontrolliertes Wachstum kann auch Krebs sein. Dazu denkt jede Stadt und jede Gemeinde nur für sich. Anstatt, dass man sich zusammen schließt und ein gemeinsames Industriegebiet plant, gibt es unzählige überall verteilt. So kommt es zu immer mehr Flächenfraß - denn jedes Mal kommt zusätzlich zu den Gebäuden auch noch die Anbindung an die Straßen und Autobahnen hinzu."
Ich merkte, wie meine Stimme sich erheben wollte und zwang mich dazu ruhig zu bleiben. „Ich glaube, dass Sie die Komplexität der Sache unterschätzen. Die Stadt braucht die Einnahmen, um wichtige Projekte zu unterstützen – unter anderen für den Umweltschutz."
Mein Gegenüber lehnte sich zurück und betrachtete mich nachdenklich. „Und wir wollen dafür sorgen, dass noch etwas zum Schützen übrig ist."
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Zwischen Mann und Mate
Roman d'amourTamara war mit ihrem Leben zufrieden. Sie liebte ihren Job und hatte einen guten Ehemann. Doch dann tauchte Arvid auf. Und sie begann sich zu fragen, ob es noch etwas besseres als "zufrieden" gab. Triggerwarnung: Das Buch enthält Ehebruch, Gewalt un...