Abends hörte ich mir die Aufnahme immer wieder an. Erschrocken stellte ich fest, dass mich das Gesprochene nicht so sehr interessierte. Viel mehr achtete ich auf seine Stimme, die mich immer mehr ergriff. Fast wie ein Lied, dass mit jedem Hören tiefer in die Gefühle einsank. Doch warum war das nur so?
Nachdem wir so heiß diskutiert hatten, war es für mich unmöglich das Interview noch weiter zu führen. Arvid versprach mir, die Antworten auf alle Fragen per Mail zu schicken. Von daher bräuchte ich den Mitschnitt vom Café nicht. Doch trotzdem startete ich ihn noch einmal.
Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich mich das letzte Mal so lebendig gefühlt hatte. Durch die unterschiedlichen Emotionen war alles in mir in Aufruhr. Immer noch glaubte ich seinen stechenden Blick zu spüren. Wenn ich die Augen schloss, dann sah ich sein arrogantes Lächeln. Als wüsste er etwas, das mir noch verborgen war. Und dann war da noch das angenehme Kribbeln am ganzen Körper, das immer einsetzte, wenn Arvid in der Nähe war.
Doch es war mehr, was mich so fasziniert hatte: wie er wirklich für das Thema gebrannt hatte. Ich gab es nur ungern zu, doch er war sehr gut informiert. Nicht irgendein Fanatiker, der Parolen nachplapperte, die er irgendwo aufgeschnappt hatte. Nein, Arvid hatte sich mit der Materie auseinander gesetzt. Er kannte alle Argumente dafür und konnte sie entkräften. Als wäre es eine Herzensangelegenheit von ihm.
Ich konnte mir gut vorstellen, dass er keine halben Sachen machte. Bestimmt war er immer voll und ganz dabei. Seine Geliebten konnten sich bestimmt nicht über zu wenig Zuneigung und Engagement beschweren. Bei dem Gedanken erschrak ich. Wie kam es, dass mein Gehirn immer wieder in seinen Windungen einen eigenen Weg dahin fand?
Nachdenklich ging ich in die Küche, um mir noch einen Kaffee zu holen. Wenn ich ehrlich zu mir war, dann hatte mich das Streitgespräch mit ihm heute geradezu belebt. Und ja, verdammt, er sah gut aus. An Verehrerinnen mangelte es ihn mit Sicherheit nicht. Umso seltsamer, dass er es auf mich abgesehen hatte. Es war unheimlich, wie er immer in regelmäßigen Abständen auftauchte. Und eindeutig erregend. Ich konnte mir gerade noch so ein Stöhnen unterdrücken. Ich war eine aufgeklärte, emanzipierte Frau und traf meine Entscheidungen anhand der Fakten. Solche Überlegungen passten überhaupt nicht zu mir.
Trotzdem hatte ich es nicht geschafft, heute einen Schlussstrich zu ziehen. Ich redete mir selbst ein, dass es kontraproduktiv gewesen wäre. Immerhin brauchte ich von ihm noch die Antworten auf meine Interviewfragen. Doch tief im Herzen wusste ich, dass ich ihn wiedersehen wollte. Mein Herzschlag beschleunigte sich schon alleine beim Gedanken daran.
Vor ihm wollte ich das nicht zugeben und hatte deshalb ein weiteres Treffen abgelehnt. Seine Fassade war etwas gebröckelt und ich hatte ihm die Enttäuschung angesehen. Ich hatte unsicher zur Seite geblickt, damit er nicht die Wahrheit in meinen Zügen las. Dass ich unsere Begegnungen immer sehr genoss – mehr als es für eine verheiratete Frau sein sollte.
Ich seufzte und setzte mich wieder an den Computer. Als ich die neue Mail sah, fielen mir fast die Augen aus den Kopf. Arvid hatte mir tatsächlich das vollständig beantwortete Interview bereits zurück geschickt. Im Namen der Spitzenkandidatin von der PENU. Wie hatte er das nur so schnell geschafft?
Das warme Gefühl verdrängte ich. Er war zuverlässig, noch eine Eigenschaft, die ich sehr an ihn schätzte. Schluss jetzt – ich rief mich selbst zur Ruhe und machte mich an die Arbeit. Ich wollte nicht nur das Interview haben, sondern einen ganzen Artikel, damit es dieses Mal auch gedruckt werden würde. Das war mein Ziel für diese Woche.
Einige Stunden später vergrub ich das Gesicht in meine Hände und stöhnte. Es wollte mir einfach nicht gelingen, einen objektiven Bericht zu schreiben. Sonst hatte ich damit selten Probleme, aber heute flossen die Worte einfach nicht zu Papier.
Ich hörte leise Schritte und grinste, weil ich wusste was jetzt kam. Wie erwartet schlang Jan die Arme um mich und küsste mich zärtlich auf die Wange. „Du arbeitest zu lange" murmelte er in mein Ohr.
Ich drehte den Kopf zur Seite und lächelte. „Sagt der, der vor mir aufsteht und oft er spät abends nach Hause kommt." Den Vorwurf in meiner Stimme konnte ich wohl nicht ganz verbergen.
Leicht beleidigt löste sich mein Ehemann von mir „wir haben das doch vorab besprochen." Leise seufzte er. „Mit meiner Kandidatur war klar, dass die Wochen sehr stressig sein würden. Doch wir beiden haben entschieden, dass es das wert ist." Ich biss mir auf die Lippen und sah zu Boden.
Er hatte Recht. Nur lief es in meiner Erinnerung etwas anders ab. Jan kam freudestrahlend eines abends zu mir und verkündete, dass er zum Spitzenkandidat für die nächste Bundestagswahl gekürt worden war. Wir hatten das durchaus bereits einmal andiskutiert, dennoch war ich über das Tempo erstaunt gewesen. Ich dachte, dass er noch mindestens eine Periode länger als Bürgermeister hier bleiben würde, bevor er sich nach Berlin aufmachte. Doch da hatte ich mich wohl geirrt.
Ich schüttelte den Kopf, um die dunklen Gedanken abzuschütteln. „Lass uns ins Bett gehen. Der Tag heute hat mich geschlaucht" sagte ich statt einer Erwiderung, die ihn nur noch mehr verletzen würde.
Jan nickte verständnisvoll „ich weiß, auch bei dir auf der Arbeit geht es rund. Lass uns schlafen gehen – morgen früh sieht man alles in einen neuen Licht. Und dann funktioniert es bestimmt auch besser mit dem Artikel." Ich wollte seinen Optimismus nicht bremsen und lächelte nur unverbindlich, bevor ich mich auf den Weg ins Bad machte.
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Zwischen Mann und Mate
RomantikTamara war mit ihrem Leben zufrieden. Sie liebte ihren Job und hatte einen guten Ehemann. Doch dann tauchte Arvid auf. Und sie begann sich zu fragen, ob es noch etwas besseres als "zufrieden" gab. Triggerwarnung: Das Buch enthält Ehebruch, Gewalt un...