22. Kapitel

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Von einer ungewohnte Helligkeit am Morgen wachte ich blinzelnd auf. Desorientiert schaute ich mich um. Es dauerte etwas bis ich feststellte, dass ich auf dem Sofa lag. Gähnend schaltete ich den Fernseher aus. Ein Blick auf das Handy sagte mir, dass es gerade einmal 7 Uhr war. Das Hintergrundbild war mein Mann, wie er breit grinsend im Urlaub vor einen alten Schiff posierte. Ich lächelte, als ich an die schöne Zeit dachte, die wir an der Nordsee hatten.

Das Lächeln erstarrte, als der Grund auf mich einprasselte, warum ich die Nacht auf dem Sofa verbracht hatte. Warum ich auf keinen Fall ins Schlafzimmer zurück gehen wollte.

Immerhin hatten die Bauchkrämpfe nachgelassen. Ich kämpfte mich hoch, um meine Morgentoilette zu machen. Mein Gesicht sah abgekämpft aus und als wäre ich über Nacht um 10 Jahre gealtert. Dazu fiel mein braunes Haar glanzlos auf die Schultern. Doch ich hatte keinen Elan, um an meiner äußeren Erscheinung etwas zu ändern. Kurz überlegte ich noch, ob ich mich umziehen sollte. Doch die Kleider von gestern waren bequem und ich fand keine Veranlassung sie zu ändern.

Noch im Halbschlaf ging ich in die Küche und machte mir einen Kaffee – extra stark. Ich löste eine doppelte Portion Zucker in ihn und schüttelte mich, als ich die süße Brühe trank. Dann zog ich eine Packung Kekse hervor und aß sie auf. Wenn schon ungesundes Frühstück, dann immerhin richtig. Und tatsächlich tröstete mich das Junkfood etwas über die Ereignisse des gestrigen Tages hinweg.

Ich räumte die wenigen Sachen weg, die noch herumstanden. Die Zeit wollte einfach nicht vergehen. Was konnte ich noch tun bis ich in mein Telefonat mit Anja und Nadja hatte? Unsicher sah ich mich um. Eigentlich wusste ich, was ich machen musste. Doch ich wollte es nicht tun.

Ich gab mir selber einen Ruck und rief mich zur Vernunft. Ein Feigling war ich noch nie gewesen – und wollte es auch jetzt nicht sein. Mit geraden Rücken ging ich nach oben. Ich hielt die Luft an und ging zum Fenster im Schlafzimmer, um es weit aufzureißen. Da blieb ich stehen und atmete tief nach draußen.

Als ich mich etwas gesammelt hatte, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und drehte mich um. Ich musterte die zerwühlten Lacken und mein Kleid, das ich gestern einfach auf das Bett geschmissen hat. Damit sollte ich anfangen und hängte es direkt auf einen Bügel. Es waren bereits Falten zu sehen, weswegen ich es später in die Wäsche tun musste.

Dann zog ich das Bett ab. Die Decken nahm ich und hing sie aus dem Fenster raus. Nach Regen sah es heute nicht aus, da konnten sie ein paar Stunden dort bleiben. Die Bettwäsche nahm ich mit und beschloss, sie direkt in die Waschmaschine zu stopfen. Der Geruch musste einfach verschwinden.

Erneut fragte ich mich, wie lange Jan das Doppelleben schon führte. Eigentlich konnte es nicht so lange sein, sonst hätte ich doch eher etwas bemerkt. Oder etwa nicht? Ich grübelte vor mich hin und ging langsam wieder ins Wohnzimmer. Da fiel mir siedend heiß mein letztes Treffen mit Arvid ein. Hatte er es gewusst? Oder sogar angedeutet, was passieren würde? Sofort beruhigte ich mich wieder und musste über meine Überreaktion fast selber lachen. Nein, das kann unmöglich sein. Wie sollte er das mitbekommen haben?

Nachdem das Schwierigste für heute erledigt war, beschloss ich mich wieder auf das Sofa zu setzen. Hier konnte ich genauso arbeiten wie oben. Pünktlich um 10 wählte ich mich in die Besprechung ein. Die Fragen von Anja und Nadja nach meinen Gesundheitszustand beantwortete ich ausweichend. Ich merkte meiner Stimme an, dass sie noch nicht die alte war. Bevor sie ahnten, dass ich geweint hatte, wäre es besser, wenn es die beiden für eine Erkältung hielten.

Sie vertieften das Thema zum Glück nicht, sondern umrissen kurz meine Aufgaben für das Wochenende. Ich sollte in den sozialen Medien Kommentare durchlesen, unzulässige und verletzende löschen sowie falsche richtig stellen. Ich unterdrückte mir ein Verdrehen der Augen und versuchte es nicht als Bestrafung zu sehen. Doch so fühlte es sich an. Mein Schicksal verfluchend, lenkte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf meine Gesprächspartner.

Da ich nicht sehr erfahren war, demonstrierte mir Anja wie ich mich mit unseren Medienaccount in die verschiedenen Netzwerke einwählte. Anhand älterer Beiträge zeigte sie mir, wie man dort arbeitete und was sie machen würde. Anschließend bekam ich eine Übersicht, wann neue Beiträge gepostet werden würden. Erfahrungsgemäß wurde in den ersten Stunden am meisten kommentiert. Sie rieten mir, die Leute ruhig auch erst einmal miteinander diskutieren zu lassen. Nur wenn sie direkt den Artikel oder den Beitrag angriffen, sollte ich mich einschalten und antworten.

Das klang in der Theorie zunächst einfach. Tatsächlich wurde ich von der Masse an Kommentaren erschlagen. Innerhalb kurzer Zeit gab es da über 200 Stück. Und alle musste ich lesen, egal wie sinnlos sie waren. Aus dem Kopfschütteln kam ich nicht mehr heraus. Immer wieder erinnerte ich die Nutzer daran, dass sie nicht beleidigen sollte. Schon erstaunlich, wie manche im Internet ihre ganze Erziehung in den Wind zu schießen schienen.

Damit war ich so beschäftigt, dass es später Nachmittag war bis sich mein Magen lautstark meldete. Kurzentschlossen bestellte ich mir eine Pizza und bezog während ich wartete das Bett neu. Vielleicht konnte ich dann heute Nacht wieder dort schlafen. Ohne den Geruch von Männern die ganze Zeit in der Nase zu haben. Erneut rief ich mich zur Ordnung. Natürlich würde ich hier schlafen. Ich würde mich nicht vertreiben lassen.

In dem Moment klingelte der Pizzabote und nach dem Essen machte ich mich wieder an die Arbeit. Gelangweilt las ich die nun sporadisch eingehenden Kommentare und beschloss um 7, dass ich jetzt auch Feierabend machen konnte.

Zwischen Mann und MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt