47. Kapitel

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„Verstehe ich das richtig? Du bist also wütend, weil dir jemand geholfen hat, befördert zu werden und von deinem aktuellen Vorgesetzten weg zu kommen, den du nicht leiden kannst?"

Wenn man es so ausdrückte klang das wirklich alles andere als nachvollziehbar. Meine Mutter hob fragend die Augenbrauen und schüttelte den Kopf. Wir saßen im Esszimmer meiner Eltern. Der Parkettboden, die hellen Wände und Möbel hatten eine beruhigende Wirkung auf mich. Ich fühlte mich selbst Jahre nach meinem Wegzug immer noch geborgen. Nur die Hartnäckigkeit meiner Mutter verhinderte, dass ich mich voll und ganz entspannen konnte. Sie hatte nicht locker gelassen, bis ich ihr meine aktuelle Situation geschildert hatte. Gerade saßen wir gegenüber voneinander an dem Esstisch.

„Das verstehst du nicht" verteidigte ich mich. „Ich möchte weiter kommen, weil ich gut bin und nicht wegen Beziehungen."

Nachdenklich sah mich meine Mutter an. „Aber du bist doch gut und hast das mehr als verdient. Denkst du wirklich, dass euer Chefredakteur dir die Stelle angeboten hätte, wenn er denkt, dass du nicht geeignet bist?"

Sie ließ die Stille zwischen uns wirken. Ich runzelte die Stirn. Herr Konz sah nicht so aus, als würde er sich einschüchtern lassen. Und mit Sicherheit wäre er nicht mehr auf den aktuellen Posten, wenn er ungeeignete Kandidaten befördert hätte. Aber da war immer noch der andere Punkt. „Wer weiß, was dafür als Gegenleistung eingefordert wird" brachte ich meine Bedenken vor.

Da lächelte sie mich an „hast du Angst, dass derjenige sich mit dir einlassen wird? Oder davor, dass er sich von dir abwendet?"

Beides, das war mein Problem. Ich wusste einfach nicht, was ich wollte und wo das hinführen sollte. Ich wollte komplett selbstständig sein. Doch die Angst am Ende auch alleine zu sein, wuchs immer weiter in mir. Ich war Ende 30 und geschieden – zumindest im Prozess der Scheidung. Somit nicht der beste Fang auf den Markt. Aber sollte ich deshalb den erstbesten Mann nachgeben? Noch dazu, wo er zugegeben hat, mich zu wollen, weil ich ihm helfen kann? Ich stütze meine Ellenbogen auf den Tisch ab, vergrub das Gesicht in meine Hände und stöhnte.

Sanft umfasste meine Mutter meine Unterarme und zog sie weg. „Magst du ihn denn? Zumindest ein bisschen?"

Ich knabberte an meiner Unterlippe und nickte widerstrebend. Die ganze Woche hatte Arvid sich nicht gemeldet oder versucht Kontakt aufzunehmen. Stündlich schaute ich auf mein Handy, ob es neue Nachrichten gab oder verpasste Anrufe. Er fehlte mir. Obwohl wir uns erst seit ein paar Monaten kannten, hatte ich mich schon an ihn gewöhnt.

Mein Schweigen war Antwort genug. „Unverhofft kommt oft" stellte meine Mutter fest. „Du kannst vor der Liebe nicht fliehen. Ich würde seine Hilfe sogar als Beweis sehen, dass er nicht vor hat dich einzuengen."

So hatte ich es noch nicht betrachtet, aber es stimmte. Es machte keinen Sinn, mir erst eine neue Stelle zu organisieren, die ich nach kurzer Zeit wieder aufgeben sollte.

Das erste Mal dieses Wochenende spürte ich ein echtes Lächeln auf den Gesicht. „Vielen Dank, Mama. Wahrscheinlich hast du Recht und ich sollte es auf einen Versuch ankommen zu lassen."

Die Angesprochene gluckste leise „ich habe natürlich Recht. Hör auf eine alte Frau. Du kannst ihn später immer noch den Laufpass geben. Aber es jetzt nicht zu versuchen – das würdest du irgendwann bereuen."

***

Die Worte meiner Mutter immer noch im Ohr, beschloss ich am Sonntag, als ich wieder nach Hause kam, noch eine Runde zu laufen. Ich zog mich um, schnürte meine Turnschuhe und machte mich auf den Weg Richtung Wald – meine Lieblingsrunde.

Mit Musik hörte ich zwar nicht das Rauschen des Windes, doch es half mir abzuschalten und meine Gedanken zu ordnen. Mein Körper führte die gleichmäßigen Bewegungen automatisch aus und der Waldboden war angenehm federnd.

Dann bog ich um eine Ecke und stand plötzlich einen Schäferhund gegenüber. Unsicher wurde ich langsamer und blieb dann stehen. Ich war kein Hundemensch. Um genau zu sein, hatte ich noch nie ein Haustier besessen. Deshalb wusste ich nicht, wie ich mich in der Situation verhalten sollte. Nicht in die Augen schauen, das war mir klar.

Ich nahm die Ohrstöpsel heraus und ging vorsichtig weiter. Das Tier reagierte mit einem Knurren, was mich erstarren ließ. Verdammt, wo war nur der Besitzer? Wie kam es überhaupt, dass der Hund so weit von ihm weg war? Ich sah mich um und suchte nach einem Ausweg. Wenn ich umkehrte, müsste ich dem Tier den Rücken zuwenden und das wollte ich nicht. Wegrennen konnte ich vergessen. Da half nur warten und hoffen, dass bald sein Herrchen hinterher kam.

Noch immer knurrte der Hund und machte einen Schritt auf mich zu. Ich wich langsam zurück, als ich plötzlich neben mir eine Bewegung wahrnahm. Da stand ein schwarzer Hund, dessen Kopf mir bis zu der Hüfte reichte. Nein, kein Hund – eher ein Wolf. Pechschwarz war er an meiner Seite und stieß seinerseits ein bedrohliches Knurren aus, das mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Obwohl es nicht an mich gerichtet war, sondern an den Schäferhund. Der kniff seinen Schwanz zwischen die Hinterbeine und duckte sich weg. Dann drehte er sich um und verschwand.

Der Wolf dagegen blickte mich mit dunkelgrauen Augen an. Da dämmerte es mir. „Arvid?", hauchte ich. Er wedelte mit seiner Rute und setzte sich vor mich hin. „Du bist ein hübscher" entwich es mir, ohne dass ich es wollte.

Das Tier beugte seinen Kopf unter meine Hand. Ich streichelte ihn und griff in seidiges, weiches Fell. Etwas mutiger nahm ich meine zweite Hand zur Hilfe und kraulte ihn. „Gefällt dir das?"

Als Antwort schlug sein Schwanz immer schneller. Dann spitzte er die Ohren und war genauso schnell im Wald verschwunden, wie er aufgetaucht war.

Dafür tauchte der Schäferhund wieder auf. Dieses Mal mit Besitzer, aber immer noch ohne Leine. Etwas besänftigt von gerade eben, ging ich auf ihn zu. „Ihr Hund war ohne Leine hier unterwegs und hat mich an geknurrt. Wenn das noch einmal passiert, dann werde ich den Jäger informieren."

Der Mann wurde erst bleich, dann rot. „Wollen Sie mir etwa drohen?"

Ich ließ mich nicht einschüchtern. „Hier herrscht Leinenpflicht. Und wenn Ihr Hund alleine herumläuft, dann ist das nicht in Ordnung und meine Pflicht das zu melden. Das ist keine Drohung, sondern ein Versprechen und dient zur Sicherheit von anderen Menschen und Tieren" stellte ich richtig.

Er grummelte etwas.

„Was haben Sie gesagt?"

„Ist gut, es tut mir leid. Es wird nicht wieder vorkommen" entschuldigte er sich widerwillig und leinte sein Tier tatsächlich an.

Zum Abschied nickte ich ihm zu und lief dann weiter – allerdings ohne Musik. Als ich von der Seite ein Rascheln hörte, blickte ich in die Richtung und sah den schwarzen Wolf am Wegesrand stehen.

„Komm in 1 ½ Stunden zu mir – wir müssen reden" rief ich ihm zu.

Wenn mich nicht alles täuschte, schenkte er mir ein Wolf-Lächeln, bevor er im Dickicht verschwand.


Zwischen Mann und MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt