Als abends das Telefon klingelte, überlegte ich kurz, ob ich wirklich ran gehen sollte. Doch damit hätte ich das Unvermeidliche nur weiter hinaugeszögert. „Hallo Mama, was gibt es Neues?", sagte ich deshalb zur Begrüßung.
Ich hatte keine Ahnung, ob Mütter allgemein einen siebten Sinn hatten oder meine Stimme anders geklungen hatte als sonst. Auf jeden Fall ließ sie sich dieses Mal nicht zu einem Monolog verführen und erwiderte stattdessen „das möchte ich von dir wissen."
„Nichts Besonderes" antwortete ich ausweichend. Am anderen Ende blieb es still. „Bei euch alles gut soweit?", startete ich einen neuen Versuch sie abzulenken.
„Ich habe den Verdacht, dass meine Tochter gerade Probleme hat und sie in sich hineinfrisst. Wie kann da alles gut sein?"
Ich seufzte „auf der Arbeit ist es gerade etwas anstrengend. Ich überlege, ob ich nicht doch die Stelle wechseln soll." Obwohl meine Mutter es nicht sehen konnte zuckte ich mit den Achseln.
„Das klingt nach einem guten Plan. Etwas Abwechslung oder eine neue Herausforderung könnte dir helfen, wieder aus dem Loch heraus zu kommen. Und wer weiß: vielleicht lernst du dadurch auch jemanden kennen."
Angesichts der unverhohlenen Einmischung in mein Beziehungsleben stöhnte ich auf. „Meine Männergeschichten sind nichts, was ich mit dir diskutieren werde."
Zu spät bemerkte ich meinen Fehler und biss mir auf die Unterlippe. „Männergeschichten? Soso" ertönte es von der anderen Seite. „Ich habe das eher allgemein gemeint. Aber wenn du so reagierst: Triffst du dich wieder mit jemanden?"
„Ja, nein, ach – ich weiß nicht."
Ich konnte es mir bildlich vorstellen wie meine Mutter die Augenbrauen hochhob und wissend lächelte. „Ich dachte nicht, dass die Frage schwer zu beantworten ist. Aber ich interpretiere das mal als ja, aber du weißt nicht, ob du es wirklich willst."
Damit hatte sie so ins Schwarze getroffen, dass mir fast die Tränen kamen. Mit erstickter Stimme brachte ich hervor „ich glaube, dass ich noch nicht wirklich bereit bin für das ganze Wirrwarr. Es ist so kompliziert und – keine Ahnung."
„Du meinst damit, dass du Angst hast wieder verletzt zu werden" sagte meine Mutter sanft. „Das ist ganz normal. Du bist keine, die sich einfach so mit jemanden einlässt. Wenn, dann sind auch Gefühle dabei."
Die Wahrheit hinter den Worten meiner Mutter erwischte mich eiskalt. Sie hatte recht. Ich hatte noch nie einen one-night-stand oder überhaupt mit Männern geschlafen, die mir nichts bedeuteten. Insgesamt mit relativ wenigen. Doch es gab eine Ausnahme: der eine Abend, als ich Arvid hierher bestellt hatte. Heiße Spuren zogen über meine Wange und ich merkte, dass ich weinte und leise schluchzte.
„Ich wünschte, ich könnte dich jetzt in den Arm nehmen und trösten" sagte mein Mutter. „Soll ich ein paar Tage zu dir fahren?"
Ich schüttelte den Kopf. Dann fiel mir auf, dass sie mich nicht sehen konnte „nein, du musst nicht extra her kommen. Ich arbeite sowieso die meiste Zeit und bin schwer beschäftigt." Am Ende hob ich meine Stimme etwas an und hoffte, dass sie damit fröhlicher klang.
„Na gut, aber versprich mir, dass du in den nächsten Wochen einmal hoch fährst. Wir haben uns schon so lange nicht mehr gesehen."
Jetzt hatte ich ein schlechtes Gewissen. Ich war so mit meinen eigenen Themen beschäftigt gewesen, dass ich meine Eltern vernachlässigt hatte. „Ich fahre nächstes Wochenende zu euch, passt das?"
„Für dich haben wir immer Zeit."
„Sehr gut" jetzt konnte ich schon wieder lächeln. „Dann halten wir das fest."
„Ich freue mich darauf. Und denk immer daran: Lebe, als könnte jeder Tag dein letzter sein und liebe, als wärst du nie verletzt worden."
„Ich versuche es Mama. Schöne Grüße an Papa."
„Richte ich aus. Und melde dich, wenn du bei irgend etwas einen Rat oder eine Unterstützung brauchst. Ich bin immer für dich da."
Als ich aufgelegt hatte, fühlte mich, als wäre ich einmal durch den Fleischwolf gedreht und danach von einem Auto überfahren worden. Noch immer hallten die Worte meiner Mutter in meinen Ohren nach „wenn du dich auf jemanden einlässt, sind auch Gefühle dabei." Tief im Herzen wusste ich, dass ich Gefühle für Arvid hatte. Deshalb hatte ich mich so verraten gefühlt, dass er mich zur Stärkung der Gemeinschaft brauchte. Ich wollte doch einfach jemanden haben, der mich wegen mir möchte. Nicht, weil es ihm in der Karriere half oder ich gut für etwas war. Es mochte egoistisch sein, doch ich wollte mein eigenes Glück haben und nicht nur für das Wohlergehen anderer da sein. In mir war ein warmer Punkt und ein Hoffnungsschimmer, dass vielleicht beides möglich war. Doch das musste erst noch bewiesen werden.
![](https://img.wattpad.com/cover/299051718-288-k747204.jpg)
DU LIEST GERADE
Zwischen Mann und Mate
RomansaTamara war mit ihrem Leben zufrieden. Sie liebte ihren Job und hatte einen guten Ehemann. Doch dann tauchte Arvid auf. Und sie begann sich zu fragen, ob es noch etwas besseres als "zufrieden" gab. Triggerwarnung: Das Buch enthält Ehebruch, Gewalt un...