28. Kapitel

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Ironischerweise war der Wahltag mein erster richtig freier Tag seit mehreren Wochen. Meine Vorgesetzte nahm an, dass ich ihn auf der Wahlfeier meines Mannes verbrachte. Ich hatte keine Lust, diese Vermutung richtig zu stellen.

Morgens hatte ich überhaupt kein Bedürfnis irgendetwas zu tun. Warum nicht einfach liegen bleiben? Blöd nur, dass ich noch nie die Person war, die stundenlang im Bett bleiben konnte. Nach mehrmaligen hin- und her wälzen, stand ich also auf und beschloss nach dem Frühstück erst einmal eine Runde zu joggen.

In der Küche hätte ich mich am liebsten direkt wieder herum gedreht und wäre gegangen. Dort stand Jan und hielt mir eine dampfende Kaffeetasse hin.

„Was willst du hier?", blaffte ich ihn an.

Er hob nur eine Augenbraue „ich wohne hier."

Mit Mühe verkniff ich mir den „aber doch nicht jetzt" Kommentar. Wir waren beide große Fans von Loriot und seinen Sketchen, aber das war eindeutig nicht der richtige Zeitpunkt. „Du bist hier nicht erwünscht" erwiderte ich stattdessen.

„Tamara, bitte. Lass uns wie zwei Erwachsene reden" mein Mann deutete mit der Hand auf den gedeckten Tisch.

Seufzend ließ ich mich auf meinem gewohnten Platz nieder. Ich wusste, dass das Gespräch unvermeidbar war, aber so richtig darauf vorbereitet war ich noch nicht. Der Appetit war mir vergangen, stattdessen hielt ich meine Tasse Kaffee fest umklammert und musterte Jans Gesicht. Ich suchte nach Anzeichen, dass er in der letzten Wochen genauso viel gealtert war, wie ich. Aber er hatte seine professionelle Politikermine aufgesetzt, die unlesbar war.

Er hatte die letzten Nächte auf dem Sofa geschlafen und seine Kleider aus dem Schlafzimmer geholt, als ich im Bad oder nicht im Haus war. Das musste ich ihn zugute halten - er respektierte meinen Wunsch nach größtmöglichen Abstand. Doch es stand zu viel auf der negativ-Seite, um zu verhindern, dass sich mehr und mehr Wut in mir aufbaute.

„Wir sollten darüber reden, wie wir jetzt weiter vorgehen. Wenn ich die Wahl gewinne, werde ich in ein paar Tagen nach Berlin fahren" fing er an es auszuführen. „Du kannst das Haus gerne behalten, wenn du willst. Wahrscheinlich solltest du einen Termin mit der Bank machen, ob du einen Kredit bekommst, um mich auszubezahlen."

Stumm hörte ich seinen emotionslosen Vorschlag zu. Wie konnte er nur so sein? So kalt, so distanziert? Und wie konnte mir das die letzten Jahre nicht auffallen?

Jan räusperte sich. „Vom Inventar, da müssen wir sehen, wie wir das machen. Wenn ich mir eine neue Wohnung nehme, dann kann ich mir hoffentlich ein Teil mitnehmen. Das erspart es uns, das finanziell regeln zu müssen."

Ich konnte nur nicken. Meiner Stimme traute ich in dem Moment nicht. Wenn ich den Mund aufmachen würde, könnte genauso Geschrei wie Weinen oder ein vernünftiger Satz herauskommen. Ich wagte es nicht, das auszuprobieren.

Dann sah er mich an „willst du dazu nichts sagen? So etwas, wie bis wann du dich kümmern kannst, oder ob das in Ordnung ist?"

Damit brach meine Selbstbeherrschung. „Ob es in Ordnung ist? Was genau soll in Ordnung sein? Du betrügst mich seit Monaten, gaukelst mir hier etwas vor und kommst eine Woche, nachdem ich das herausgefunden habe, mit so etwas? Du hattest vielleicht schon Zeit dir über eine Scheidung Gedanken zu machen. Ich nicht." Tränen flossen mir die Wangen herunter, doch ich wollte die Tasse nicht loslassen, um sie abzuwischen. Ich merkte wie ich anfing zu zittern.

Jan räusperte sich unbehaglich „ich wollte nie, dass du es so herausfindest. Ich dachte, dass wenn ich nach Berlin gehe, dass sich dann eine Möglichkeit findet das im gegenseitigen Einverständnis zu lösen."

Ich lachte bitter auf „du meinst, du hättest dann einfach anrufen können und hättest mir nicht in die Augen schauen müssen. Hattest du überhaupt vor mir etwas zu sagen? Oder hättest du es so lange weiter laufen lassen wie möglich? Mit der dummen Frau weit weg kann es ja nicht schwerer sein wie wenn sie im gleichen Haus wohnt."

Umständlich nahm sich mein Mann die Brille ab und begann sie zu putzen. „Das glaubst du jetzt nicht, aber ich habe es sehr wertgeschätzt, was wir uns hier aufgebaut haben. Und das wollte ich nicht aufgeben."

„Du wolltest doch nur deinen guten Ruf nicht aufgeben. Was das mit anderen macht, war dir vollkommen egal. Mein Gott, Jan – ist dir bewusst, dass wir Kinder hätten haben können? Einen Säugling? Und du... und du..." vor lauter Schluchzen fing ich an zu stottern und konnte nicht mehr weiter reden.

„Ich sehe schon, du bist emotional noch zu mitgenommen, um ein sinnvolles Gespräch zu führen. Nimm dir am besten einen Anwalt, besprich alles mit ihm. Ich werde jetzt noch meine Koffer packen und sie unten bei der Haustür hinstellen. Dann kann ich sie morgen direkt holen und weg fahren." Er stand auf und zögerte dann doch noch mal. „Es tut mir wirklich leid, wie es geendet hat. Das musst du mir glauben." Dann ging er und ließ mich alleine.

Ich versuchte erst gar nicht die Tränenflut zu stoppen. Ich war nie jemand gewesen, der nah am Wasser gebaut war, aber in dem Fall konnte ich nicht anders.


Zwischen Mann und MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt