46. Kapitel

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Mittwoch wurde ich überraschend in das Büro von Herrn Konz gerufen. Er war Chefredakteur und somit der Vorgesetzte der Ressortleiter – bisher war es Jana gewesen, aber seit ein paar Wochen Sven, der sie während ihrem Mutterschutz und Elternzeit vertrat.

Deshalb ging ich mit einem unguten Gefühl den Gang entlang. Gedanklich ging ich sämtliche Artikel durch, die ich in den letzten Wochen geschrieben hatte. War irgendeiner davon falsch gewesen? Jans Outing war von den Medien erstaunlich ruhig aufgenommen worden. Scheinbar war es keine große Sache, schwul zu sein. Auch als Politiker und obwohl man verheiratet war. Mir sollte es recht sein, dass es keinen großen Wirbel um uns gab.

Von der Assistentin wurde ich direkt weiter in das Büro gewunken. So ließ ich mich ohne wirkliche Taktik auf den Stuhl gegenüber von seinem Schreibtisch nieder. Herr Konz war ein Mann nahe an die 60 Jahre, dem man seine Liebe zum Essen ansah. Mit seinen Pullunder sah er so aus, als wäre er modisch vor ein paar Jahrzehnten stehen geblieben. Sein schütteres Haar war vollständig ergraut und er trug eine Brille, die fast die Hälfte seines Gesichts verdeckte.

Meine Hand wollte zu meinem Hals wandern, doch ich zwang sie zurück in meinen Schoß und hielt sie mit der anderen fest. „Sie wollten mich sehen?" Meine Stimme klang selbst in meinen Ohren dünn.

Zu meiner Überraschung lächelte der Chefredakteur. „Frau Gerlach, wie schön, dass Sie so kurzfristig Zeit hatten. Wie geht es Ihnen mit der aktuellen Konstellation?"

Leicht verwirrt überlegte ich mir eine möglichst diplomatische Erwiderung. „Ich habe mich ganz gut mit Herrn Schuhholz als Vorgesetzten arrangiert."

Herr Konz nickte lächelnd. „Das freut mich. Ich habe mir nach unserem letzten Gespräch ein paar Gedanken gemacht." Erstaunt blickte ich ihn an. „Nicht dass ich mit Herrn Schuhholz unzufrieden bin oder irgend etwas an der Situation ändern will" fügte er hastig hinzu.

Das hätte mich auch sehr gewundert. Das käme einen Schuldeingeständnis gleich und so etwas würde ihm nicht einfallen. Ich lehnte mich zurück und wartete auf seine weitere Ausführungen.

„Trotzdem finde ich, dass Sie einer meiner besten Mitarbeiter sind. Und ich würde Sie ungern verlieren, weil Sie sich nicht wertgeschätzt fühlen." Das kam einen Kompliment näher als vieles, was ich in den letzten Jahren von ihm gehört hatte. Nicht, dass wir viel miteinander zu tun hatten.

„Vielen Dank. Ich freue mich, dass mein Engagement wahrgenommen wird" bedankte ich mich höflich.

Der Chefredakteur räusperte sich unbehaglich. „Natürlich wird das wahrgenommen. Deshalb wollte ich Ihnen auch als einer der ersten erzählen, dass wir eine kleine Umstrukturierung planen. Da die digitalen und sozialen Medien wohl immer wichtiger werden." Seinem Gesichtsausdruck war anzusehen, dass er das nicht wirklich nachvollziehen konnte „werden wir die Abteilung für diesen Bereich stärken. Es ist geplant ein eigenes Ressort dafür zu haben – und sie nicht nur nebenbei mitlaufen zu lassen."

Ich nickte höflich. Das würde Anja und Nadja sicher freuen. Bisher hingen sie halb in der Luft und waren nicht gut repräsentiert. Aber obwohl mich Herr Konz erwartungsvoll ansah, wusste ich immer noch nicht, was er von mir wollte.

„Ich würde Ihnen gerne die Stelle als Ressortleiterin anbieten, Frau Gerlach."

Mir blieb für eine Weile die Luft weg. Verschiedene Gefühle rasten durch meine Adern. Erst Stolz, dann Angst zu versagen. Und mit einem Mal ein großes Misstrauen, dass sich so aufblähte, dass ich ohne weiteres mit „Warum?" herausplatzte.

Der Chefredakteur nahm seine Brille ab und steckte sich ein Ende des Bügels etwas in den Mundwinkel. „Nun, Sie haben dort während der Wahlkampagne ein paar Wochen sehr gute Arbeit geleistet. Es schien naheliegend es Ihnen anzubieten."

Irgendwie konnte ich das nicht ganz glauben. Aber ich zwang mich, meine Zweifel für mich zu behalten und stellte dagegen eher praktische Fragen nach Dauer, Gehalt und Arbeitsbedingungen. Es war keine befristete Stelle und ich würde in leitender Position mehr verdienen als jetzt – aber auch mehr Verantwortung haben. Ich bat um ein paar Tage Bedenkzeit.

„Wer weiß schon von den Plänen?", erkundigte ich mich, bevor ich das Büro verließ.

Herr Konz druckste etwas herum „eigentlich noch fast keiner – bis auf meine Vorgesetzten. Es hat sich erst in den letzten Tagen so herauskristallisiert."

Ich runzelte die Stirn. Dann nickte ich ihm zum Abschied zu und ging gerädert zurück zu meinem Platz.

Doch den Text, an dem ich saß, machte plötzlich keinen Sinn mehr. So wie alles, was gerade um mich geschah.

Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass ich heute meine Stunden bereits voll hatte. Deshalb beschloss ich pünktlich Feierabend zu machen. Dann war es beim Joggen noch hell und ich konnte meine Gedanken ordnen.

Ich packte meinen Laptop zusammen, falls ich abends noch etwas arbeiten wollte, und ging durch das Foyer. Dort hörte ich eine bekannte Stimme und sah mich suchend um. Noch konnte ich sie nicht genau zuordnen.

Dann sah ich Konrad, das Handy am Ohr, telefonieren. Wie automatisch bewegten sich meine Füße in seine Richtung und hörte gerade noch „ja, alles erledigt. Ich habe mich darum gekümmert."

„Worum?", verlangte ich zu wissen.

Der Beta hatte gerade aufgelegt und fuhr erschrocken zu mir herum. „Tamara, wie schön dich zu sehen" begrüßte er mich lächelnd. „Machst du heute früher Feierabend?"

„Worum hast du dich gekümmert?", fragte ich ihn noch mal.

Sein Lächeln verrutschte etwas „ach, um dies und das. Nichts Wichtiges." Die Tatsache, dass er mir dabei nicht in die Augen blickte, ließ meine inneren Alarmglocken läuten.

Wie gelähmt starrte ich ihn an, während sich in meinem Kopf alle Teile wie bei einem Puzzle zusammen setzten und plötzlich ein Bild ergaben.

„Ihr wart es, nicht war? Ihr seid dafür zuständig, dass ich jetzt die Möglichkeit der Weiterentwicklung habe."

Sein Schweigen sagte mir alles. Frustriert drehte mich um und verließ das Gebäude. Meine Person, meine Leistung – nichts war wichtig. Nur was ich war. Am liebsten hätte ich geschrien, doch irgendwie war alle Kraft aus mir gewichen. Und so setzte ich mich zu Hause aufs Sofa und vergrub den Kopf in meine Hände, anstatt zu laufen.


Zwischen Mann und MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt