Die Tage vergingen wie einen einzigen Rausch. Mein Terminkalender war prall gefüllt, abends saß ich noch lange an Artikeln und Recherchen. Dazu kam noch der Auftritt in den sozialen Medien, der gut angenommen wurde. Auf der einen Seite freute mich das natürlich. Der andere Effekt war, dass mehr Material von mir gefordert wurde. Wichtig waren regelmäßige, wenn möglich tägliche Beiträge.
Die etablierten Parteien taten sich gerade bei der jungen Wählerschaft schwer. Wenn man die Kurzbeiträge für uns betrachtete, wusste man auch warum. Sie konnten nicht kurz und prägnant hervorheben, wofür sie standen und eintraten. Das konnten eher die Emporkömmlinge. Stattdessen verloren sich die Kandidaten der großen Parteien, zu der auch Jan gehörte, eher in Phrasen und Ausflüchte.
Mein Artikel von der PENU wurde dieses Mal gedruckt. Allerdings erst, nachdem ich ihn mehrfach zusammen gestrichen hatte. Am Ende war es eine minimalistische Darstellung von den Themen, für die sie einstanden. Mit leichten Bedauern dachte ich an Arvid und sein Engagement mir die Fragen zu beantworten. Dass das nun nicht wertgeschätzt wurde, tat mir weh.
Immer wieder wanderten meine Gedanken zu dem athletischen, dunkelhaarigen Mann. Was er wohl machte, wenn er mir nicht gerade hinterher lief? Ich musste mir selbst bewusst machen, wie wenig ich von ihm wusste und wie schlecht ich ihn einschätzen konnte. Nur ganz selten hatte ich das Gefühl, dass er seine Maske fallen gelassen hatte. Mit einem Schauer dachte ich an unsere erste Begegnung, als er einfach so in mein Büro gestürmt war. Das war wohl einer der ehrlichsten Begegnungen – und er war voller angestauter Wut und Frustration gewesen. Was ich dort gesehen hatte, war nichts was ich von einem Partner erwartete oder wünschte. Und verdammt, ich wollte ihn sowieso nicht als Partner. Von meinen Gedankengängen verunsichert griff ich mir an den Hals.
„Endspurt, bald ist es geschafft. Warte nur, bis du die Zahlen von dieser Woche siehst – da machst du Luftsprünge" erleichtert sah ich einer grinsenden Nadja ins Gesicht. Das war genau die Ablenkung, die ich jetzt brauchte. Ich hörte auf in meinen Mittagessen herumzustochern und schob den Teller etwas von mir weg. Das brachte mir einen überraschten und besorgten Blick ein „du musst eindeutig mehr essen. Ich schwöre, in den wenigen Wochen, in denen wir uns kennen hast du bestimmt 5 kg abgenommen."
Da konnte ich nur den Kopf schütteln. „Du Drama Queen" neckte ich die Jüngere. Ich neigte dazu, in stressigen Zeiten weniger Appetit zu haben und deshalb etwas an Gewicht zu verlieren. Aber so viel nicht, da passte ich schon auf. „Ich verspreche dir, dass ich heute Abend eine ganze Tafel Schokolade verdrücken werde. Und jetzt zeig mir schon die tollen Zahlen!"
Mehr Aufforderung brauchte Anja nicht. Sie präsentierte mir anhand von Grafiken, wie die Klicks innerhalb kurzer Zeit nach oben gingen. Tatsächlich hatten wir 20% mehr Follower und fast doppelt so viele Aufrufe von unseren Videos. Mit den ganz großen konnten wir da natürlich nicht mithalten, aber wir schlugen uns nicht schlecht.
„Die Videos sind fast alle abgedreht. Ab nächste Woche startet dann noch die geht wählen Kampagne zusätzlich" informierte mich quirlige Blonde und strahlte mich an. „Das haben wir nur dir zu verdanken. Langsam werden wir innerhalb der Redaktion mehr wahrgenommen. Vielleicht werden wir noch etwas aufgestockt und müssen dann nicht immer in anderen Abteilungen Kapazitäten räubern."
Verträumt sah sie vor sich hin. Ich konnte da nur müde lächeln. Wir waren und blieben ein eher konservativer Herausgeber. Da würde sich auch nichts daran ändern, wenn unsere Internetpräsenz besser wird. Doch ich hatte in den letzten Wochen gelernt, dass es verdammt viel Arbeit war in den sozialen Medien zu agieren. Nicht nur Anja und Nadja, sondern noch einige im Hintergrund waren damit beschäftigt sämtliche Kommentare zu lesen. Beleidigende oder rassistische mussten gelöscht werden und die Nutzer wurden immer wieder daran erinnert höflich zu bleiben.
Es fröstelte mich leicht, was nicht an auf wundersame Weise gefallenen Temperaturen lag. Was manche in der Anonymität des Internets von sich gaben, war unfassbar. Das führte mir wieder vor Augen, dass man nicht alles haben musste – ein privater Account in den sozialen Medien gehörte dazu. Manche Trolle schienen dort nur zu sein, um andere nieder zu machen. Das musste ich mir wirklich nicht geben.
Ob Arvid wohl dort irgendwo vertreten war? Ich kam ins Grübeln. Das könnte ich mir gut vorstellen. Er wirkte so jugendlich, obwohl er wahrscheinlich ein paar Jahre älter war als ich. Wann ich ihn wohl das nächste mal treffen würde? Das letzte Mal hatten wir uns vor fünf Tagen gesehen, also eigentlich wäre es mal wieder Zeit. Ich erschrak. Nein, es war überhaupt nicht Zeit. Ich bin froh, wenn ich ihn nicht mehr wiedersehe. Das bringt nur meine Gedanken und Gefühle durcheinander.
„Erde an Tamara, bist du noch da?" Nadja fuchtelte mit der Hand vor meinem Gesicht und riss mich so aus meinen Gedanken.
Entschuldigend lächelte ich sie an. „Tut mir leid, ich war gerade etwas abwesend. Gibt es noch etwas zu besprechen?"
Die Jüngere unterzog mich einer genauen Musterung und sage ungewöhnlich ernst „wenn du jemanden zum Reden brauchst, dann stehe ich gerne zur Verfügung."
Leicht verstört schaute ich sie an. War ich so leicht zu durchschauen? „Bei mir ist alles klar, nur gerade etwas viel. Nach der Wahl wird es dann wieder besser – sowohl beruflich als auch privat." Ich setzte mein unverbindliches Lächeln auf.
Das schien sie etwas zu beruhigen. Zumindest hoben sich ihre Mundwinkel wieder etwas an. „Dann machen wir eine Riesenparty – okay?" Ich nickte zustimmend. Das ist bestimmt gut, um auf andere Gedanken zu kommen.
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Zwischen Mann und Mate
RomanceTamara war mit ihrem Leben zufrieden. Sie liebte ihren Job und hatte einen guten Ehemann. Doch dann tauchte Arvid auf. Und sie begann sich zu fragen, ob es noch etwas besseres als "zufrieden" gab. Triggerwarnung: Das Buch enthält Ehebruch, Gewalt un...