17. Kapitel

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Die Diskussion der verschiedenen Kandidaten war erstaunlich spritzig. Es wurde leidenschaftlich über strittige Themen geredet. Durch die zwei Moderatoren gab es keine Entgleisungen oder persönlichen Angriffe auf die einzelnen Personen und die Spitzen beschränkten sich auf sachliche Themen.

Jan wich geschickt unpopulären Fragen aus und betonte die Erfahrung der Traditionellen und von ihm in der Politik. Insgesamt war er meiner Ansicht nach der geeignetste Kandidat. Zumindest was die fachliche Perspektive angeht. Von den Sympathiepunkten waren andere besser. Sie wirkten nicht so glatt und somit authentischer. Dazu nahmen sie die Zuschauer emotional mit.

Bei ernsteren Themen, wie den Pflegenotstand, hatten sie nicht so überzeugende Antworten. Man merkte genau, in was für Problemen sich die kleineren Parteien schon gut eingearbeitet hatten und wo noch Wissenslücken waren. Deshalb stand für mich fest, dass Jan meine Stimme bekam. Nicht nur, weil er mein Ehemann war, sondern weil er mich hier insgesamt am besten überzeugt hatte.

Während der Veranstaltung versuchte ich die Stimmung mit einzufangen. Bei Befragung der Zuschauer, stimmten vor allem die Leute mittleren und höheren Alters mit meiner Ansicht überein. Die Jüngeren ließen sich eher von der Persönlichkeit überzeugen. Zudem war mein Eindruck, dass sie sich lieber ein Hauptthema suchten und dann die Partei, die das ihrer Meinung nach am besten vertrat. Das unterschied sie von Älteren, die eher das Gesamtpaket sahen. Ich machte mir über die Beobachtung eine Notiz. Vielleicht kann man daraus einen guten Artikel basteln oder es in einen einfließen lassen.

Nach der Podiumsdiskussion zerstreuten sich die Zuschauer recht schnell. Es gab zwar die Möglichkeit mit den Kandidaten zu sprechen, die sich unter die Menge mischten. Doch da jeder vorab Fragen an die Moderatoren geben konnte, schienen viele das nicht mehr nutzen zu wollen. Mir war das recht, so kamen Jan und ich eher nach Hause als erhofft.

Wir setzten uns auf das Sofa, wo ich meinen Mann die Eindrücke des Abends vermittelte. Auf meine Bemerkung, dass er bei den Neuwählern nicht so gut ankam, runzelte er nachdenklich die Stirn „die scheinen sich insgesamt nicht so sehr mit den Wahlprogrammen zu beschäftigen. Wenn ich die Leute überzeugen kann, die sich wirklich interessieren, ist das für mich mehr wert."

Ich schüttelte den Kopf „da machst du es dir zu leicht. Tatsächlich ist das Thema Klimaschutz bei den Traditionellen nicht so sehr im Fokus, wie es sich die Jugend wünscht. Das sollte man nicht einfach ignorieren."

Leicht angesäuert blickte er mich an „die Industrie hat unser Land groß gemacht. Das jetzt zu verteufeln ist ignorant. Nur deshalb können wir uns den Klimaschutz leisten. Sie rufen danach, dass mehr gemacht werden soll. Doch auf das Auto oder auf die nächste Flugreise will keiner von denen verzichten. Das ist scheinheilig."

Darauf konnte ich nichts mehr sagen. Teilweise musste ich ihm recht geben. Die Erstwähler kannten es nicht anders, als dass er der Wirtschaft gut ging. Somit gab es kaum Entbehrungen, die vorherige Generationen noch gut in Erinnerung hatten. Es war auch bekannt, dass die Leute andere Sachen taten als dass sie selbst für richtig hielten. Beim Fleisch wird oft das billigste genommen und nicht das ökologisch beste. Das allein war schon Beweis genug.

Jan machte sich bettfertig und danach erledigte ich meine abendliche Routine, bevor ich zu ihm unter die Decke kroch. Ich spürte, dass mein Mann immer noch etwas verkrampft war. Deshalb rutschte ich zu ihm und kuschelte mich an seine Seite. Sanft küsste ich ihn auf die Wange und zog mit den Zähnen an sein Ohr.

Lächelnd drehte er sich zu mir hin und umarmte mich. Er streichelte meinen Rücken und gab mir einen Kuss auf den Scheitel. „Habe ich dich verärgert?", wollte ich wissen.

Nach einer kurzen Pause kam ein einsilbiges „Nein". Geduldig wartete ich und wurde mit einer weiteren Erklärung belohnt. „Es ist nur so, dass manche fordern das Wahlalter zu senken. Aber gerade weil sich die Erstwähler so wenig mit den wichtigen Themen beschäftigen, ist das der falsche Weg."

„Für sie sind halt andere Themen wichtig als für dich und mich" widersprach ich sanft.

„Sie sehen nicht das große Ganze, sondern haben nur ein beschränkten Horizont. Deshalb können sie die Tragweite von Entscheidungen nicht nachvollziehen." Da ich keinen Streit anfangen wollte, schwieg ich dazu, obwohl ich anderer Meinung war. Sie fühlten sich nicht richtig repräsentiert – was angesichts der aktuellen Altersstruktur des Bundestages nicht verwunderlich war.

Statt einer Antwort ließ ich meine Hände unter das Schlaf-Shirt von Jan wandern. Meine Handflächen trafen auf nackte Haut und ich streichelte ihn. Dann wanderten meine Finger nach vorne und langsam nach unten. Als ich gerade den Gummizug der Boxerdshorts berührte, griff mein Mann nach meinen Handgelenk. „Ich bin müde, lass uns schlafen!"

Ich unterdrückte mir ein enttäuschtes Aufstöhnen. Natürlich war er müde. Er war den ganzen Tag auf den Beinen und die Podiumsdiskussion hat ihn sicher geschlaucht. Trotzdem spürte ich einen Stich und eine Leere in mir. Ich sehnte mich nach mehr Nähe. Jetzt wo die Wahl näher rückte, wollte ich die Zweisamkeit solange genießen, wie wir sie noch hatten.

Jan küsste mich zärtlich und machte anschließend das Licht aus. Bald schon waren seine Atemzüge regelmäßig und es ertönte ein leichtes Schnarchen. Ich rief mich selbst zur Ordnung. Ich durfte nicht so egoistisch sein. Es war bereits spät und wir brauchten beide unseren Schlaf. Trotzdem nagte eine Stimme in mir, die das nicht einsehen wollte. Die von einem Mann träumte, der so ein Angebot nicht ablehnte, mit dunklen Haar und einem Dreitagebart. Mit den Gedanken fiel ich in einen unruhigen Schlaf mit einem erotischen Traum.

Zwischen Mann und MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt