5. Kapitel

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Zu Hause angekommen schlüpfte ich aus meinen high heels in bequeme Hausschuhe. Jan hatte angekündigt, dass es später werden würde. Eine Versammlung, bei der er als Bürgermeister teilnehmen musste. Ich ging die Treppe hoch und betrachtete nachdenklich ein Hochzeitsbild von uns. Sanft strich ich mit den Fingern über den Rahmen und konnte nicht anders, als meinen Ehemann zu betrachten. Die aschblonden Haare, immer kurz geschnitten. Die glatt rasierte Wange, das etwas rundliche Gesicht. Damals war er noch schlanker – jetzt hatte sich schon ein Wohlstandsbauch gebildet. Eine deutliche Verbesserung zu damals war seine aktuelle Brille. Damals hatte er die Überlegung, eine dicke, schwarze Hornbrille als Markenzeichen zu etablieren. Die aktuelle mit unauffälligen Gestell sah da um längen besser aus.

Ich lächelte bei der Erinnerung an die vielen gemeinsamen Jahre. So vieles, was wir zusammen gemeistert hatten. Das Haus gekauft, komplett renoviert und den Garten neu angelegt – und damit einen Traum von mir verwirklicht. Gedankenverloren kam ich im oberen Stockwerk an und blickte auf die Türen von zwei unbelegten Schlafzimmern. Jetzt waren beide zu Büros umfunktioniert worden. Ein kleiner Stich traf mich – ein deutliches Zeichen, dass mich der heutige Tag mehr aufgewühlt hatte als ich wahrhaben wollte. Eigentlich hatte ich mich damit abgefunden, dass trotz mehrerer Hormonbehandlungen und künstlichen Befruchtungen der gemeinsame Nachwuchs ausblieb. Aber auch das gehörte dazu. „In guten wie in schlechten Zeiten" hieß es bei der Trauung.

Tief in mich versunken ging ich in unser Schlafzimmer, um mir bequemere Sachen anzuziehen. Sorgfältig hing ich die getragene Kleidung auf einen Bügel. Dann machte ich mich an die eigentliche Arbeit und verfasste den Artikel über das gerade geführte Interview.

Tief im Schreiben versunken, schreckte ich hoch, als ich zwei Arme auf meine Schultern legten und ich einen Kuss auf die Wange gedrückt bekam. „Hallo Liebling" ertönte die Stimme meines Mannes. „Du arbeitest zu viel."

Lächelnd wandte ich mich ihm zu, um ihn einen Schmatzer auf den Mund zu geben. „Wie war die Versammlung?"

Er zuckte mit den Achseln und löste dabei die Krawatte „langweilig, wie immer. Hast du schon etwas gegessen?" Mein Magen meldete sich laut zu Wort und beantwortete so die Frage für mich.

Lachend gingen wir in die Küche, um die Sachen für das Abendessen zu holen. „Wie lief das Interview?" erkundigte sich Jan.

„Ganz gut, er kann es weit bringen, wenn er möchte" informierte ich ihn. Wir unterhielten uns weiter über die jeweiligen Pläne für die folgende Woche.

„Denkst du daran, dass du mich am Donnerstag auf die Wahlauftaktveranstaltung begleiten sollst?" Ich runzelte meine Stirn. Stimmt, dort stellten sich die Kandidaten für die Bundestagswahl vor. Den Termin hatte ich vergessen, aber jetzt freute ich mich darauf. Eine Möglichkeit, mit anderen ins Gespräch zu kommen. Vielleicht konnte ich sogar einen guten Artikel darüber schreiben.

„Du hast es doch nicht vergessen, oder?" hackte Jan nach. Ich lächelte ihn an „es war mir nur kurz entfallen. Aber keine Sorge, der Termin steht in meinen Kalender im Handy und auf der Arbeit. Ich habe auf jeden Fall Zeit." Mein Ehemann war sichtlich beruhigt. Die anstehende Kandidatur zehrte wohl mehr an seinen Nerven, als er sich selbst eingestehen wollte. Sanft umfasste ich seine Hand, die er zur Faust geballt auf den Tisch abgelegt hatte. „Wir schaffen das, so wie alles. Du bist der beste, ich glaube an dich."

Ich blickte in seine Augen und versuchte die gemischten Gefühle darin zu deuten – Angst und Unsicherheit waren auf jeden Fall dabei. Scheinbar war ich nicht die Einzige, die zu viel arbeitete und dadurch versuchte die harte Realität zu verdrängen. Plötzlich hatte ich eine Idee „wie wäre es, wenn wir uns mal wieder ein paar schöne Tage machen? Nur wir zwei in einem guten Wellness-Hotel. Ein paar Nächte Zweisamkeit."

Verwirrt musterte er mich „Liebling, wie soll das gehen? Wir sind direkt vor der heißen Phase des Wahlkampfes, da kann ich nicht mal eben pausieren."

Resigniert schloss ich die Augen und lehnte mich zurück. „Natürlich, tut mir leid. Das war eine blöde Idee."

Sichtlich erleichtert nickte er mir zu „aber das können wir uns auf jeden Fall vormerken, wenn wir das nächste Mal etwas Luft haben." Ich rang mir ein erzwungenes Lächeln ab. Wir gingen beide voll in unserer Arbeit auf. Wir lebten für sie. Die Kehrseite, wenn man so engagiert im Beruf ist, sah man bei uns: die Urlaube wurden immer wieder geplant und verschoben – je nachdem, wie es gerade im Geschäft bzw. im Rathaus lief. Die Folge davon waren wenig gemeinsame freien Tage. Mit Jan als Bürgermeister und mir als Journalistin hatten wir dazu keine geregelten Arbeitszeiten und kaum freie Wochenenden. Die gemeinsamen Abende im letzten Monat konnte ich an einer Hand abzählen.

Nachdenklich musterte ich meinen Ehemann. Wann haben wir das letzte Mal richtig miteinander gesprochen? Seit wann waren unsere Gespräche so oberflächlich und drehten sich fast nur um Arbeit und Termine? War das schon so, bevor wir mit unseren Kinderwunsch abgeschlossen hatten und uns voll und ganz auf die Karrieren konzentrierten?

Unsicher fasste sich Jan in sein Gesicht. „Habe ich da etwas?" Er strich sich über die Wange.

Ich schüttelte den Kopf und weckte mich so aus den tranceähnlichen Zustand. „Nein, alles gut. Ich war nur im Gedanken. Es war ein anstrengender Tag. Ich gehe jetzt duschen und dann etwas eher ins Bett."

Mein Ehemann nickte mir zu „ich komme dann auch gleich."

Zwischen Mann und MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt