33. Kapitel

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In der Woche legte ich mir jeden Morgen einen Schutzpanzer zu, um für alles gewappnet zu sein. Sorgfältig wählte ich die Kleidung und ließ mir beim Schminken und der Frisur extra Zeit. Keiner sollte merken, wie erschüttert ich war.

Den Ehering hatte ich in eine Schublade gesteckt und stattdessen einen anderen angezogen, damit sich der Finger nicht so leer anfühlte. Jeden Moment erwartete ich, dass mich jemand darauf ansprach. Allerdings passierte nichts. Bis Mittwoch.

„Sieh mal einer an. Die Frau mit den besten schauspielerischen Talent ist hier. Warum bewirbst du dich nicht in Hollywood?" Ich hätte wissen müssen, dass Sven keinen Moment der Schwäche tatenlos verstreichen lässt. Zu gern hätte ich ihn ignoriert, aber natürlich ließ er nicht locker. „Jahrelang die perfekte Ehe imitiert – Respekt sage ich dazu."

Mit viel hatte ich gerechnet, aber nicht damit. Scheinbar dachte mein Kollege, dass ich es wusste und Stillschweigen bewahrt hatte. Ich sah keine Veranlassung dazu, das richtig zu stellen.

„Mein Privatleben geht dich nichts an, halt dich da gefälligst raus!", erwiderte ich kühl.

„Oh doch, das sehe ich anders. Du hast dir damit beruflich einen Vorteil verschafft, konntest immer zu den Veranstaltungen der Traditionellen. Jetzt fällst du über den Stolperstrick, privates mit geschäftlichen vermischt zu haben."

An das hatte ich nicht gedacht. Erschrocken fasste ich mir an den Hals. Wenn alle so dachten, steckte ich in der Klemme. Sollte ich mich lieber bloß stellen und zugeben, dass ich von nichts wusste – oder nicht. Ich atmete tief durch und entschied mich für ein professionelles „kein Kommentar." Sollten sie doch denken, was sie wollten.

Auf die Arbeit konnte ich mich nicht wirklich konzentrieren. Umso erfreuter war ich, als Ablenkung kam. Und zwar in Form von Anja und Nadja, die mich zum Mittagessen abholten. Wir gingen in ein kleines Bistro ein paar Straßen weiter.

Nach etwas small talk kam Anja schließlich zum Punkt „seit wann wusstest du von Jans Homosexualität?"

Ich seufzte innerlich. Es war mir klar, dass Nachfragen kommen würden. Da ich meine neuen Freundinnen nicht anlügen wollte, beschloss ich bei der Wahrheit zu bleiben „seit ein paar Wochen."

Erschrockenes Auf keuchen kam von meinen Begleiterinnen. Mitfühlend legte Nadja eine Hand auf meinen Unterarm. „Das tut mir ehrlich leid. Das muss hart sein."

Wenn ich nicht die letzten Wochen so viel geweint hätte, wäre ich in dem Moment wahrscheinlich wieder in Tränen ausgebrochen. Doch ich riss mich zusammen. Das konnte man jetzt wirklich nicht brauchen.

„Es ist in Ordnung. Wahrscheinlich wollte ich einfach nicht wahr haben, dass es in unserer Ehe schon lange nicht mehr rund läuft. Innerlich sind wir schon mehr oder weniger geschieden." Ich setzte ein falsches Lächeln auf und zuckte mit den Achseln.

An den Minen der beiden erkannte ich, dass ich an meinen neutralen Gesichtsausdruck noch etwas arbeiten musste. Und ich weit davon entfernt war, eine Karriere in Hollywood zu starten.

Doch dann grinste Anja spitzbübisch. „Das ist ja super, dass du das so locker siehst." Mir ahnte bei dem Beginn schlimmes, doch wappnete mich für alles, was da kommen möge. „Dann kannst du ja mit uns am Samstag Tanzen gehen. Es gibt eine Ü30 Party im Baileras und ein neuer DJ legt auf. Er soll ziemlich heiß sein." Sie hob anzüglich die Augenbrauen.

Unsicher wand ich mich auf den Stuhl. Doch aus der Nummer kam ich wohl nicht mehr raus und ich stimmte zögernd zu, sie am Samstag dort zu treffen. Verdammt, in was habe ich mich da nur reingeritten?

***

Mit einem roten Kleid kam ich pünktlich vor der Disco an. Für den Anlass war ich extra einkaufen und so ganz wohl fühlte ich mich nicht. Es ging mir nur bis zur Mitte der Oberschenkel und war damit kürzer als meine sonstigen Outfits, die mir bis zu den Knien reichten. Die recht hohen, silbernen high heels und eine farblich passende Clutch trugen nicht dazu bei, unsichtbar zu sein.

Anja und Nadja standen schon in der Schlange und wanken mich herbei. Ich gesellte mich zu ihnen und bei ihren strahlenden Gesichter, vergaß ich meine Bedenken. Heute war ich da zum Feiern und Spaß haben – das hatte ich mir mehr als verdient.

Innen war es voll und laut. Wir gingen zunächst zur Bar und genehmigten uns ein paar Drinks, bevor wir uns auf die Tanzfläche wagten.

Der Abend war wie ein Rausch. Vielleicht war ich auch bereits etwas angetrunken. Auf jeden Fall konnte ich mich nicht daran erinnern, wann ich mich das letzte Mal so gut amüsiert hatte. Ich sonnte mich in der Aufmerksamkeit von verschiedenen Männern, die mich zum Tanzen aufforderten.

Anja und Nadja wollten noch weiter ziehen, aber mir gefiel die Musik hier. Ich überzeugte sie, dass ich alt genug war, um auf mich selbst aufzupassen. Zögernd verabschiedeten sie sich. „Schreib, wenn etwas sein sollte – wir sind nicht so weit weg und können schnell zurück kommen!", forderte Anja mich auf.

Ich lachte nur – was sollte hier schon passieren? Dann stürzte ich mich wieder in das Getümmel.

Tanzend versuchte ich den Frust von mir abzuschütteln. Von meiner Ehe und der angespannten Situation auf der Arbeit.

Zu meinen Bedauern wurde irgendwann eine Ballade gespielt. Gerade wollte ich zur Bar, als mich jemand am Unterarm packte. „Wohin des Wegs, schöne Frau? Ich warte schon den ganzen Abend auf eine gute Gelegenheit, um zum Tanz zu bitten. Die lasse ich mir jetzt nicht entgehen."

Überrascht blickte ich in ein attraktives Gesicht mit erstaunlich grünen Augen. Seine blonden Haare waren etwas länger und in einem modernen Strubbel-Look. Er drehte mich so, dass wir uns gegenüber stand, legte die Arme um mich und bewegte sich im Takt der Musik.

Ich überließ ihm die Führung. Vielleicht hatte meine Mutter recht und ich sollte alles nicht so ernst nehmen und einfach etwas Spaß haben.

Nach dem Lied nahm der Fremde meine Hand und führte mich nach draußen. Die kalte Luft war wie ein Wirbelwind, der meine Gedanken klärte. Plötzlich stand ich mit den Rücken zur Wand und er Mann – von dem ich noch nicht einmal den Namen wusste – stand dicht vor mir. Eine Gänsehaut bildete sich, die nichts mit der Temperatur zu tun hatte.

„Vielen Dank für den Tanz. Man soll gehen, wenn es am schönsten ist. Deshalb ist jetzt der optimale Zeitpunkt..."

„Nicht so schnell meine Hübsche. Du wirst doch nicht gehen wollen, ohne einen Abschiedskuss?"

Ich blickte in entschlossene Augen und drückte mich noch stärker an die Mauer im Rücken. Wie war ich nur in so eine Situation gekommen?

Eine Hand von dem Mann wanderte meinen Oberschenkel hoch und hob dabei mein sowieso schon recht knappes Kleid an. Die andere zwang mein Kopf in seine Richtung. Zwischen ihn und der Wand war ich eingezwängt. Wobei ich wahrscheinlich auch ohne das mich nicht hätte bewegen können. Ich war wie erstarrt, eine Kälte breitete sich in meinen ganzen Körper aus. Ich wollte schreien, doch ein Kloß in meinen Hals verhinderte, dass irgendein Ton meiner Kehle entwich.

Langsam senkte der Unbekannte seinen Kopf, um mich zu küssen. Ich verkrampfte, schloss fest die Augen und betete, dass es schnell vorbei sein würde.


Zwischen Mann und MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt