Kapitel 14

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Eine angenehme Müdigkeit breitet sich in mir aus.
Der Schlaf beginnt mich zu übermannen und ich schließe erschöpft die Augen.
Vielleicht hat die Person, die in mein Zimmer kam, mir ein Beruhigungsmittel gespritzt.

Die Bilder in meinem Kopf beginnen sich langsam zu kolorieren und ich sehe die Umrisse einer Person.
Ich begreife sofort und blinzle ein paar Mal schnell.
Ich reibe mir die Augen und zwinge die Farben, sich schneller auszubreiten.
„Hey, geht es Dir gut?"
Die samtweiche Stimme klingt in meinen Ohren nach.
„VALENTIN!"
Ich richte mich auf und schlinge ihm die Arme um den Hals.
Er lacht erleichtert auf und schmiegt sein Gesicht in mein Haar.
In mein blondes Haar.
„Ich hatte echt Angst um dich.", meint er und löst sich von mir, um mir in die Augen zu sehen.
„Ich hab dich so vermisst.", seufze ich und drücke ihn erneut an mich.
„Du warst doch nur 10 Minuten weg. Und vor allem bewusstlos.", kichert er ungläubig auf.
Ich will gerade nicht darüber nachdenken.
Ich bin so froh wieder aus diesem Albtraum meines echten Lebens als Addison aufgewacht zu sein.
Ich habe schon gefürchtet so leben zu müssen, so unbeweglich und depressiv.
Valentin setzt sich zu mir.
Ich liege auf einer hölzernen Liege und die Sonne strahlt heiß vom Himmel auf uns hinab.
„Deine Haare riechen nach Meerwasser!", kichert er und kämmt mit seinen Finger sanft meine Mähne durch.
Ich schaue in seine nougatbraunen Augen und schmelze wieder dahin.
Ich bin so erleichtert, meine Beine bewegen zu können, dass ich sogleich aufspringe, um mich zu vergewissern, auch wirklich wach zu sein.
Probeweise gehe ich einige Schritte und springe ein paar Mal in die Luft.
Es fühlt sich gut an.
„Du bist manchmal echt merkwürdig."
Valentin kommt zu mir und nimmt meine Hände.
„Der Kuss auf dem Jetboot war wirklich schön.", gesteht er, „Wollen wir den wiederholen?"
Er schaut mir tief in die Augen.
„Gerne.", hauche ich.
Seine Lippen nähern sich meinen.
Der Kuss ist unglaublich.
Noch unglaublicher als beim letzten Mal und ich schließe die Augen.
Nein, denke ich plötzlich.
Nein, bitte nicht.
Eine fremde Kraft beginnt an mir zu ziehen.
Ich schlinge Valentin die Arme um den Hals und klammere mich an ihn.
Doch wie von Seilen gezogen stolpere ich rückwärts und falle.

Ruckartig setze ich mich auf.
Ein Schrei liegt in der Luft.
Mein Schrei.
Wieso?
Wieso muss es so kommen?
Wieso gaukelt mir dieses Betäubungsmittel etwas vor?
Wieso war das alles nur Fantasie?
Ich schluchze auf.
Es war alles nur ein Traum.
Ein verdammter Traum!
Ich schreie erneut.
Diesmal vor Wut.
Ich will dieses Leben nicht!
Es ist unglaublich gemein, dass die Narkose- und Betäubungsmittel mir eine ganze Welt zu Füßen gelegt haben, die gar nicht existiert!
Es fühlte sich alles so echt an...
Doch es war nur eine Illusion.
Die kalten nackten Krankenhauswände lassen meinen Zorn wieder aufbrodeln.
Entschlossen drücke ich den roten Klingelknopf und gleich darauf betritt eine andere Pflegerin mein Zimmer.
„Ja?", fragt sie mit tiefer Bassstimme.
Mit Tränen in den Augen bitte ich sie, mir etwas zu spritzen.
Irgendetwas.
Damit dieses Leben aufhört!
Gelangweilt erklärt sie mir, dass das nicht zugelassen sei und verlässt das Zimmer wieder.
Hektisch schaue ich mich um.
Dann eben anders.
Ich packe die Glasflasche, die neben meinem Bett auf einem Schränkchen steht und lasse sie klirrend an der Bettkante zerschellen.
Zitternd halte ich eine große Scherbe in der Hand.
„Huch? Also das habe ich jetzt nicht erwartet. An deiner Stelle würde ich das ehrlich lassen. Das tut echt weh. Hab da mal ausversehen nen Schnitt abbekommen und ich sag dir, das sind krasse Schmerzen!"
Die Scherbe entgleitet meinen Fingern.
Auf dem Boden zerspringt sie in tausend kleine Splitter, die sich zu den anderen gesellen.
Ich kann meinen Blick nicht von der kaputten Glasflasche wenden.
„Ich wollte dich ja eigentlich fragen, ob du was trinken willst, aber diese Frage klärt sich ja von selber. Wenn du schon mit Flaschen um dich schmeißt."
Ein brauner Zopf schiebt sich in mein Blickfeld.
„Ich glaube, da muss ich aber noch den Staubsauger holen. Aiaiaiai. Das sind viele Splitter."
Ich nehme am Rande wahr, wie das Dröhnen eines Handstaubsaugers ertönt und wie die Splitter einer nach dem Anderen im Rachen des lauten Geräts verschwinden.
Ich will nicht aufschauen.
Sollte dies wieder eine Ausgeburt meine Fantasie sein, möchte ich sie solange wie möglich festhalten.
„Du siehst wirklich nicht gut aus. Das war total gefährlich, was du da vorhattest. Ich weiß ja nicht wieso du dich umbringen wolltest, aber das solltest du nicht wieder versuchen."
Die Stimmfarbe.
Der Klang.
Die Resonanz.
Das ist nicht möglich...
„Dufour? Soll ich jemanden holen? Hast du...ich meine, haben Sie...einen Anfall oder sowas?"
Eine Anfall von Unglauben, ja.
Meine Augen wandern langsam aufwärts.
Ich traue mich kaum hinzusehen.
Als ich es doch tue, überkommt mich sofort die Enttäuschung.
Wie hatte ich auch so blöd sein können?
Valentin ist nur eine Erfindung meines verzweifelten durchgeknallten Gehirns.
Aber die Stimme...
Ist es möglich, dass ich sie irgendwann unbewusst gehört habe?
Der junge Mann vor mir zieht fragend eine Augenbraue hoch.
Alles an ihm ist anders.
Nichts ist so wie in meinen Traum.
Der Typ, der an meinem Bettende steht, ist korpulent, hat graue Augen, trägt seine langen Haare zu einem geflochtenen Zopf und seine Zähne werden von einer blitzenden Zahnspange in Form gehalten.
„Nein, ich will nichts trinken. Danke.", sage ich frostig und zupfe meine Bettdecke zurecht.
„Oke.", meint der komische Kerl belustigt und zuckt mit den Schultern.
„Können Sie jetzt bitte gehen?"
„Gut, wie du meinst. Aber ich muss dich enttäuschen, ich bin für dich zugeteilt. Du wirst mich wohl öfters sehen müssen."
Der Klang seiner Stimme jagt mir kalte Schauer den Rücken hinunter.
Dann schlägt die Tür hinter ihm zu und er ist weg.

𝕾𝖈𝖍𝖓𝖊𝖊𝖘𝖈𝖍𝖎𝖈𝖐𝖘𝖆𝖑Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt