Die kleine Rampe ermöglicht mir den nötigen Schwung, den ich brauche, um den holprigen Steinweg bis zum Torbogen bewältigen zu können.
Ich rolle in meinem Alltagsgefährt, meinem besten Freund dem Rollstuhl, die Straße hinab in das kleine Einkaufsviertel.
Der Lebensmitteleinkauf steht an und ich bin froh, ihn nach langer Regenerationszeit im Krankenhaus endlich wieder alleine tätigen zu können.
Inzwischen beherrsche ich viele Tricks, die mir den Alltag im Rollstuhl erleichtern und so stellen auch Bordsteinkanten und Türschwellen kein Problem mehr dar.
Das Einkaufsviertel ist an ausnahmsweise trockenen Tagen, wenn die Sonne durch die dichte Wolkendecke vom Himmel scheint und der Wind nur leicht weht, wie diesem, gut belebt und ich fühle mich augenblicklich unbehaglich.
Mitleidige Blicke streifen mich und es wird leise getuschelt.
So schnell mich die Räder tragen rolle ich zu dem kleinen Einkaufsladen, der von einer kugeligen Frau namens Misses Jones geführt wird.
„Da ist ja unser Sonnenschein! Wie geht es Dir, mein Kind? Wir haben dich hier alle sehr vermisst!"
Misses Jones schiebt sich hinter ihrem Tresen hervor, beugt sich zu mir runter und umarmt mich umständlich.
„Gut.", antworte ich steif und mustere mit scheuem Blick die Anwesenden im kleinen Lädchen.
Sie folgt meinem Blick und ruft erfreut alle zusammen, damit sie mich begrüßen können.
Die Atmosphäre allgemein ist angespannt.
Keiner weiß, was er sagen soll.
Alle schauen an mir herunter und ihre Blicke bleiben an meinen Beinen hängen.
An meinen Beinen, die so unmuskulös geworden sind und die ich nicht aus eigener Kraft bewegen kann.
Ich entwinde mich dem Begrüßungskomitee und nehme mir einen Korb, in den ich die Waren legen kann.
Zuerst ist es einfach, den Korb auf dem Schoß zu transportieren.
Die unteren Regale und die Gemüseauslage kann ich auch gut erreichen, doch dann fällt mein Blick auf ein hohes Wandregal.
Für mein geplantes Abendessen benötige ich die Zutat, die fast ganz oben steht.
Öl.
Denn ich habe es am Morgen verbraucht, aber meine Salatsoße nach eigenem Rezept kann ich nicht ohne Öl zubereiten.
Ich kaue auf meiner Unterlippe und beschließe erst einmal die anderen Lebensmittel einzukaufen, die ich benötige.
Vielleicht mache ich mir einfach etwas anderes zu Essen...
Der Korb auf meinem Schoß wird langsam schwerer.
Und dann stehe ich vor dem nächsten Regal.
Und wieder komme ich nicht selber an das, was ich kaufen möchte.
Dieses Mal werde ich nicht passen können.
Denn meine Katze Flora braucht neues Futter.
Langsam rolle ich zum Tresen, hinter dem Misses Jones ihr Kleingeld sortiert und spreche sie zaghaft an: „Entschuldigung, könnten Sie mir kurz behilflich sein, Misses Jones?"
Sie schaut zu mir hinunter und lächelt gnädig.
„Was brauchst du, mein Kind?"
Sie schiebt sich wieder hinter der Theke hervor, wobei sie aufpassen muss, nicht steckenzubleiben und ich bitte sie, mir Katzenfutter vom Regal zu reichen.
Alle Blicke sind auf mich gerichtet.
Ich ärgere mich, dass ich erneut auf fremde Hilfe angewiesen bin, wo ich gerade die anderen Alltagshindernisse selbstständig bewältigen konnte.
Die kleinen Nassfutterdosen sind nicht schwer, doch die große Trockenfutterpackung hat ordentlich Gewicht.
Ich bezahle meinen Einkauf und verstaue ihn in einer Tasche.
Mit ihr wie immer auf dem Schoß verlasse ich den Laden und kämpfe mich die Steigung der Straße hoch.
Ich bin noch nicht weit gekommen, da werden mir vom Wind die Töne eines lieblichen Musikstückes zugeweht.
Ich lasse die Reifen los und lausche.
Plötzlich beginne ich wieder zu rollen - allerdings rückwärts.
Mit einem erschrockenen Aufschrei fingere ich an den Bremsen herum und der Rollstuhl wird immer schneller.
Ich klemme mir den Finger zwischen der Bremse ein und schreie erneut auf, denn es schmerzt höllisch.
Vor dieser Situation hatte ich immer Angst und nun ist sie da.
Ich kann nur noch abwarten, dass mich jemand oder etwas stoppt.
Die Musik wird lauter und ich werfe erschrocken einen Blick über die Schulter.
Eine Gruppe von Musikanten gibt am Ende der Straße ein kleines Konzert.
Viele Zuhörer stehen um sie herum.
Und ich werde direkt in sie hineinrollen.
„ACHTUNG!", rufe ich laut und fuchtele hektisch mit der Hand.
Die Zuhörer stieben auseinander und die Musiker springen zur Seite.
Nur einer von ihnen bleibt stehen.
Ein großer Mann im schwarzen Anzug wirft seinem Kollegen seine Geige zu, geht leicht in die Knie und beschützt mich und meinen Rollstuhl vor dem Aufprall an der Steinwand.
Er ächzt als ihn die Wucht trifft.
„Danke.", seufze ich und atme tief aus.
„Das war knapp.", flüstert mir der Mann ins Ohr und der Klang seiner Stimme jagt mir wohlige Schauer über den Rücken.
Ich drehe den Kopf und sehe ich an.
„Nikola?!", hauche ich.
Ein kleines Lächeln breitet sich auf seinen Lippen aus.
Ich drehe meinen Rollstuhl schnell um und schaue ihn von oben bis unten an.
„Ich hätte dich kaum wieder erkannt! Du siehst gut aus.", sage ich.
Und ich meine Letzteres wirklich ernst.
Denn er hat sich enorm verändert in den Monaten, in denen ich ihn nicht gesehen habe.
„Danke.", meint er und lächelt charmant.
Ich besinne mich dem Anlass unseres Treffens und entschuldige mich bestürzt für mein Missgeschick.
Aber er lacht nur und lächelt immer noch.
Langsam erscheint seine gute Laune mir merkwürdig, denn schließlich hat er bei unserem letzten Treffen meine Entschuldigung zur Vergebung abgelehnt.
Plötzlich umringen mich die Zuhörer.
Er wird hektisch durcheinander gesprochen und alle sind aufgeregt.
„Komm, wir gehen.", kichert Nikola und schiebt mich aus der Menge heraus.
Ich bin so verwirrt von seinem Benehmen, dass ich kein Wort herausbringe.
Er bringt mich in das kleine Café um die Ecke, in der es den besten Kaffee unseres Dorfes gibt.
Nachdem er den Stuhl für mich beiseite gezogen hat, setzt er sich mir gegenüber und schaut mich an.
Weiterhin lächelnd.
Sein Lächeln erinnert mich an Valentin.
Nikola hat deutlich an Gewicht verloren.
Sein Zopf ist einem eleganten Haarschnitt gewichen und dunkle Strähnen fallen ihm ins Gesicht.
Die Ähnlichkeit mit meiner erfundenen Traumfigur ist verblüffend.
Wären seine grauen Augen und seine Stimme nicht gewesen, hätte ich ihn vielleicht erst nicht erkannt.
Ich erwidere seinen Blick schüchtern.
Wieso grinst er so?
Ich schaue an mir herunter.
Sehe ich irgendwie merkwürdig aus?
Mir stockt der Atem.
Verdammt...
Er lacht erneut, als ich ihn mit erschrockenem Blick anschaue.
„Hat echt lange gedauert, bis du das gemerkt hast.", meint er und reicht mir eine Serviette.
Pikiert tupfe ich den Joghurt von meiner Jacke.
Der Becher ist aufgeplatzt, als ich meine Einkaufstasche beim Aufprall mit Nikola fest umklammert habe.
Und ich dachte wirklich für einen Moment, dass er sich zu meiner Entschuldigung besonnen hat.
„Jetzt sind wir quitt."
„In wie fern das denn?!", frage ich empört und lege die Serviette beiseite.
Der große nasse Fleck auf meiner Jacke ist allerdings unübersehbar.
„Na, du wolltest mich richtig quälen! Zum Glück bin ich nicht drauf reingefallen."
Nikola lehnt sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkt die Arme vor der Brust.
Ich schaue ihn scheinbar so verwirrt und ahnungslos an, dass er mir erklärt was er meint.
„Ich habe eine Histaminintoleranz. Hätte ich deine Pralinen, die du aus der Cafeteria hattest, angenommen und gegessen, hättest du mich für die nächsten Stunden nicht gebrauchen können."
Ich verschränke ebenfalls die Arme vor der Brust.
„Woher hätte ich das denn wissen sollen?"
Nikola zieht eine Augenbraue hoch und erwidert gekränkt, dass er mir das im Krankenhaus erzählt habe.
Ich schaue zu Boden.
Die Bedienung kommt und wir bestellen beide einen Kaffee.
„Und?", frage ich nach langem Schweigen, „Wieso bist du hier?"
Ich bemühe mich meine Stimme uninteressiert klingen zu lassen, denn er soll keinesfalls denken, dass ich mich freue, ihn in meinem Dorf zu haben.
„Ich bin mit der Band hier. Ich habe einen Platz in einer Klassikgruppe erhalten, bin durch die Decke gegangen und hier mit auf einem der Straßenkonzerte. Wir spielen meine komponierten Lieder und sie gefallen den Leuten. "
Er zuckt mit den Schultern.
„Nichts Besonderes also."
Angeber, denke ich mürrisch und nehme einen Schluck von meinem Heißgetränk.
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𝕾𝖈𝖍𝖓𝖊𝖊𝖘𝖈𝖍𝖎𝖈𝖐𝖘𝖆𝖑
Teen Fiction𝖂𝖆𝖘 𝖎𝖒𝖒𝖊𝖗 𝖌𝖊𝖘𝖈𝖍𝖎𝖊𝖍𝖙, 𝖊𝖘 𝖑𝖎𝖊𝖌𝖙 𝖆𝖓 𝖚𝖓𝖘, 𝖉𝖆𝖗𝖎𝖓 𝕲𝖑ü𝖈𝖐 𝖔𝖉𝖊𝖗 𝖀𝖓𝖌𝖑ü𝖈𝖐 𝖟𝖚 𝖘𝖊𝖍𝖊𝖓. 𝒜𝓃𝓉𝒽ℴ𝓃𝓎 𝒹ℯ ℳℯ𝓁𝓁ℴ 𝑆𝑒𝑖𝑡 𝑚𝑒𝑖𝑛𝑒𝑟 𝐾𝑖𝑛𝑑ℎ𝑒𝑖𝑡 𝑤𝑜ℎ𝑛𝑒 𝑖𝑐ℎ 𝑖𝑛 𝑒𝑖𝑛𝑒𝑟 𝑑𝑒𝑟 𝑘ä𝑙𝑡𝑒𝑠𝑡𝑒...