Kapitel 24

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Ungeduldig rolle ich vor der Tür auf und ab.
Wie lange ist der denn da noch drinnen?
Mir wurde gesagt, ich könne gleich eintreten und nun - ich werfe einen Blick auf meine Armbanduhr - warte ich schon eine halbe Stunde hier draußen auf dem Flur.
Schon öfters hat man mich gegrüßt oder mich gefragt wie es mir geht, ob ich klar komme.
Und ich gebe immer dieselbe Antwort.
Ja, danke, alles bestens.
Dabei belüge ich mich mit dieser Aussage selbst.
Ich komme klar, ja, aber es geht mir noch immer nicht gut.
Ich würde gerne all die Dinge wieder alleine und eigenständig tun können, so wie vorher.
All diese Erinnerungen und Gedanken schleichen sich beim Anblick der kalkweiß verputzten Wände und des marmornen Bodens wieder aus ihren Käfigen, in die ich sie wohlweislich verfrachtet habe.
Hat dein Leben denn noch einen Sinn?, fragt eine leise kleine Stimme.
Willst du das nicht lieber doch beenden, wie du es eh vorhattest?
Das ist doch kein Zustand!
Ich presse mir die Hände an die Schläfen.
Diese Stimme hatte ich doch erfolgreich unterdrückt!
Setz dem Ganzen doch ein Ende.
Es ist doch so einfach.
Zum Glück wird in diesem Augenblick die Tür geöffnet und in meinem Kopf wird es still.
Der Mittdreißiger, der mich damals über meine Paraplegie aufgeklärt hat, tritt heraus, mustert mich kurz über seine Brille hinweg und geht dann an mir vorbei.
Ich spähe in den Raum.
Der Anblick erinnert mich schmerzlich an meine Zeit.
Ich blende die Umgebung aus, rolle langsam ins Zimmer hinein und schließe leise die Tür hinter mir.
Nikola schaut betont in die andere Richtung, als ich neben seinem Bett ankomme.
„Hey.", hauche ich.
Keine Antwort.
„Wie geht's?"
Schweigen.
Ob er seine Stimme verloren hat?
Hört er mich überhaupt?
„Deine Band hat dich rausgeschmissen. Du bist ihnen nicht gut genug.", meine ich probeweise und sofort schnellt sein Kopf in meine Richtung.
Was?!", ruft er entsetzt.
„Komm runter, natürlich haben sie das nicht."
Ich verdrehe die Augen und schüttele den Kopf.
Nikola brummt verärgert.
„Sorry. Wie geht's dir?"
„Bestens.", entgegnet er.
Er hypnotisiert die Zimmertür, als wolle er sie dazu bringen, sich zu öffnen, damit ein imaginärer Luftzug mich aus dem Zimmer befördert.
„Was hat der Arzt denn gesagt?", frage ich und ignoriere sein Desinteresse an meiner Anwesenheit.
„Was geht dich das an?", knurrt Nikola.
„Meine Güte, ich hab für dich den Krankenwagen gerufen und dich betreut, du Idiot!", keife ich und beiße mir sofort auf die Unterlippe.
Das Idiot war vielleicht wirklich suboptimal...
Er dreht seinen Kopf langsam zu mir und schaut mich aus seinen festen mausgrauen Augen an.
Ich schrumpfe geradezu unter seinem Blick.
„Erzähl doch keinen Scheiß.", donnert er und richtet sich in seinem Bett auf.
„Glaub was du willst oder frag die Sanitäter, die werden dir mein Gesagtes bestätigen.", erwidere ich und rolle langsam zur Tür.
Insgeheim hoffe ich darauf, dass er mich aufhält oder zumindest noch etwas sagt, doch in meinem Rücken bleibt es still.
Enttäuscht verlasse ich das Zimmer.
Damit ist meine Mission wohl grandios gescheitert.
Was ein Dickkopf...
Nun gut, er wird sich erkundigen oder er wird es lassen.
Wobei letzteres -
„Ach, Miss Dufour, wie geht es Ihnen?"
Ich schaue auf.
Vor mir steht ein mir komplett unbekannter Mann und sieht mich abwartend an.
„Entschuldigung, kennen wir uns?", frage ich skeptisch.
Nein, ich kenne ihn nicht.
„Ich habe Sie operiert?!"
Der Mann schaut mich entgeistert an.
Ja witzig, woher soll ich das denn wissen?!
Komische Menschen gibt es...
„Ah, oke, ja, ähm...mir geht's gut...sehr gut.", meine ich.
„Das freut mich, da haben sich meine Künste ja mal wieder bewiesen."
Selbstgefällig fährt er sich mit den Fingern durch seine gegelte Frisur.
Ich ziehe die Augenbrauen hoch und nicke einmal verwirrt.
„Wollen Sie nicht mal mit mir einen Kaffee trinken gehen? Die Cafeteria hier hat guten Latte Macchiato.", meint er.
Was?!
Bloß nicht!
Wieso sollte ich mich diesem merkwürdigen Typen treffen?
Wie kann der überhaupt Arzt sein?
Zu viele Gedanken schwirren durch meinen Kopf, also entgegne ich schnell: „Ich hab gleich noch einen wichtigen Termin."
Das muss Antwort genug sein.
„Ach wie schade."
Er scheint ehrlich enttäuscht sein im Gegensatz zu mir.
„Tschüss.", murmele ich und nehme schnell reißaus.
Bloß weg.
„Dann ein andermal.", ruft er mir noch hinterher, doch ich überhöre es.
Denn lieber springe ich von einer Klippe, als mehr Worte als nötig mit diesem Mann zu wechseln.


𝕾𝖈𝖍𝖓𝖊𝖊𝖘𝖈𝖍𝖎𝖈𝖐𝖘𝖆𝖑Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt