Ist das gerade wirklich passiert?
Einen Moment lang sitze ich stocksteif da, dann rolle ich so schnell mich meine Räder tragen zu dem am Boden liegenden Nikola herüber.
Er liegt komisch verdreht da und gibt keinen Mucks von sich.
Panik steigt in mir auf und lässt mich verkrampfen.
Hektisch krame ich in meiner Handtasche herum und ziehe schließlich einen kleinen Handspiegel heraus.
Ich halte ihm den Spiegel unter die Nase.
Erleichtert über das Beschlagen der Scheibe atme ich aus.
Schnell wähle ich mit meinem Handy den Notruf und berichte mit zitternder Stimme was geschehen ist.
Mit der Anweisung der Sanitäter drehe ich ihn in die stabile Seitenlage und harre bei ihm aus, bis der Krankenwagen vorfährt.
„Sind Sie eine Angehörige von Mister Walsh?", fragt eine Sanitäterin, als sie aus dem Krankenwagen springt.
Eigentlich ja nicht...
Aber hat er überhaupt jemanden, der mit ihm ins Krankenhaus fahren würde.
„Nicht direkt."
„Hat er jemanden, der mit ins Krankenhaus fahren würde?", fragt sie, als könne sie meine Gedanken lesen.
Ich zucke die Schultern.
Ich weiß ja nicht, ob er überhaupt eine Familie hier hat.
Ich weiß kaum etwas über ihn...
„Müssten Sie das nicht wissen? Er ist Pfleger bei Ihnen im Krankenhaus."
Meine Stimme zittert bedenklich.
„Ach das ist Nikola?!"
Einer der Sanitäter, der bisher noch nicht zu sehen war, springt hinter dem Krankenwagen hervor, so schnell, dass ich kurz zusammenzucke.
„Dann brauchen Sie nicht mit.", entscheidet er schnell.
Ich beobachte schweigend wie sie ihn auf eine Trage hieven, in den Krankenwagen schieben und an verschiedene Geräte anschließen.
Alle steigen wieder ein.
Die Sanitäterin winkt mir noch einmal kurz zu, dann fährt der Krankenwagen langsam vom geschotterten Hinterhof.
Es kommt mir auf einmal sehr still vor.
Die Einsamkeit wird beengend.
Ich kehre zurück in den Musiksaal, wo gerade die meisten Gäste an ihre Plätze zurückkehren.
Langsam kehrt wieder Ruhe ein.
Die Musiker betreten die Bühne und der Pianist nimmt das Mikrofon in die Hand.
„Leider gab es in der Pause einen kleinen Vorfall, sodass unser Violinist den zweiten Teil nicht mitspielen kann. Wir hoffen natürlich trotzdem, dass Ihnen die Vorstellung gefallen wird.", verkündet er und reicht das Mikrofon zurück an die Sängerin.
Sie beginnen wieder zu spielen, doch das eine Mitglied fehlt deutlich.
Die Stimmung sinkt.
Die Atmosphäre, die in der ersten Hälfte der Vorstellung alle verzaubert hat, kann das Quartett nicht wieder aufbauen.
Ich höre nur mit halbem Ohr zu.
Wie es wohl Nikola geht?
Ob er schon wieder aufgewacht ist?
Hoffentlich...
So sehr ich mich auch anstrenge, ich kann mich nicht mehr für die Musik begeistern.
Leise verlasse ich den Saal, lasse mir von dem verdutzten Security Wachmann meinen Mantel geben und rolle zurück an die kalte Nachtluft.
Nachdenklich ziehe ich mein Handy aus der Tasche und wähle Moms Nummer.
Sie nimmt fast augenblicklich ab. „Hey Maus, ist das Konzert schon vorbei?", fragt sie und ich höre die Verwirrung in ihrer Stimme deutlich heraus.
„Es gab einen Zwischenfall. Kannst du mich abholen, Mom?", antworte ich knapp und warte ungeduldig auf ihre Antwort.
„Klar.", meint sie und ich höre, wie sie im Hintergrund nach den Autoschlüsseln greift.
„Danke. Bis gleich."
Ich tippe auf den roten Hörer und beende das Gespräch.
Ich bin mir nicht sicher, was es ist.
Aber irgendetwas zieht mich hin zu dem Mann, der mir so lange die Nerven gestohlen hat.
Hätte ich diesen Konflikt damals nicht begonnen, was wären wir dann wohl jetzt füreinander?
Hätten wir uns nach meinem Krankenhausaufenthalt aus den Augen verloren oder wären wir jetzt vielleicht sogar gut befreundet, so wie Nikola es gesagt hatte?
Ich schüttele enttäuscht den Kopf.
Ich habe den Weg ohne ihn zurück ins Leben gefunden.
Die Therapien und die Zeit habe ich auch ohne ihn gemeistert.
Und doch habe ich mich augenscheinlich in eine Person verliebt, deren Stimme und Dasein ich im Traum wahrgenommen habe.
Nur dadurch entstand Valentin.
Wie er Nikola so ähneln kann, ist mir immer noch ein Rätsel, das ich bisher nicht lösen konnte.
Vielleicht sollte es einfach so sein...
Ein kurzes Hupen reißt mich aus meinen Gedanken und ich zucke zusammen.
Ich habe Mom nicht einmal vorfahren hören.
Sie steigt aus und hilft mir ins Auto.
„Kannst du mich zum Krankenhaus fahren?", bitte ich sie, als sie den Rückwärtsgang einlegt und wendet.
Sie drückt so hart auf die Bremse, dass ich kurz in den Gurt gedrückt werde.
„Ist dir was passiert?", fragt sie erschrocken und umklammert das Lenkrad mit beiden Händen.
„Nein, nein nein, bei mir ist alles gut."
Ich hebe abwehrend die Hände und erkläre ihr kurz, was geschehen ist.
Sie zögert erst und wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr, erklärt sich dann aber doch bereit, mich zum Hospital zu bringen.
„Ich werde aber draußen auf dich warten. Du musst ja auch irgendwie zurückkommen.", stellt Mom ihre Bedingung auf.
Ich zucke gleichgültig mit den Schultern.
„Meinetwegen."Eine halbe Stunde später lässt Mom mich vor dem hellerleuchteten, mir wohlbekannten Krankenhaus aussteigen, in dem ich so lange ausharren hatte müssen.
Am Empfang erkundige ich mich sofort nach Nikola.
Die übernächtige junge Dame hinter dem Tresen reibt sich genervt die Augen und schaut mich unwillig an.
„Solange Sie keine nahe Angehörige sind, kann ich Sie nicht zu ihm lassen.", erklärt sie mir und gähnt.
Ich starre sie an und will mir gerade eine Lüge zusammenbasteln, als sie genervt hinzufügt: „Morgen ab 10 Uhr können Sie es noch einmal versuchen, aber um diese Uhrzeit ist nun mal Nachtruhe. Keine Besuchszeit. Und jetzt gute Nacht."
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𝕾𝖈𝖍𝖓𝖊𝖊𝖘𝖈𝖍𝖎𝖈𝖐𝖘𝖆𝖑
Teen Fiction𝖂𝖆𝖘 𝖎𝖒𝖒𝖊𝖗 𝖌𝖊𝖘𝖈𝖍𝖎𝖊𝖍𝖙, 𝖊𝖘 𝖑𝖎𝖊𝖌𝖙 𝖆𝖓 𝖚𝖓𝖘, 𝖉𝖆𝖗𝖎𝖓 𝕲𝖑ü𝖈𝖐 𝖔𝖉𝖊𝖗 𝖀𝖓𝖌𝖑ü𝖈𝖐 𝖟𝖚 𝖘𝖊𝖍𝖊𝖓. 𝒜𝓃𝓉𝒽ℴ𝓃𝓎 𝒹ℯ ℳℯ𝓁𝓁ℴ 𝑆𝑒𝑖𝑡 𝑚𝑒𝑖𝑛𝑒𝑟 𝐾𝑖𝑛𝑑ℎ𝑒𝑖𝑡 𝑤𝑜ℎ𝑛𝑒 𝑖𝑐ℎ 𝑖𝑛 𝑒𝑖𝑛𝑒𝑟 𝑑𝑒𝑟 𝑘ä𝑙𝑡𝑒𝑠𝑡𝑒...