Gewissenslos

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Vier neue Seelen, die Isaac von meiner Liste streichen kann. Damit wären es Sieben von hundert insgesamt. Wenn es in dem Tempo weiter geht, dürfte ich schneller hier raus sein, als ich zunächst angenommen hatte. So schnell kann es eben gehen. In der einen Sekunde bereitet man sich noch darauf vor mit seiner Ehefrau essen zu gehen, die man zuvor betrogen hat und in der nächsten Sekunde wird einem die Kehle von einer daher gelaufenen Frau aufgeschlitzt.
Besagte Frau bin natürlich ich, das sollte sich von allein geklärt haben.

Als ich mich mit dem Finger von Maizel Bren und dem dazugehörigen Ehering wie ein Schatten unauffällig durch die nächtlichen Straßen auf den Weg zurück zu meinem Erpresser begebe, sinne ich etwas über meine bisherigen Morde nach. Ich habe schon einmal erwähnt, dass mich die Gründe, die zu dem Tod meiner Opfer führen, nicht im geringsten interessieren und so ist es auch besser. Denn man wäre überrascht oder vielleicht enttäuscht zu erfahren, was ihr Schicksal besiegelt hat. Meistens nämlich die kleinsten und banalsten Dinge. In einer Welt voller Bosheit und unkontrollierbaren Männern ist alles möglich. Nur kein Frieden. Nur keine Gerechtigkeit.
Es ist wichtig, kein Gewissen zu haben. Doch in dieser heutigen Nacht ist es anders. Irgend etwas in mir will es wissen. Warum wollte Isaac Maizel tot sehen?

War es ein geplatzter Deal? Verrat? Ein falscher Blick? Ging es um eine Schlampe, die der eine wollte und nicht gekriegt hat? Um was ging es bei diesem Hass, der Isaac dazu bracht, mich zu beauftragen den nicht allzu alten Mann zu töten. Warum hatte er es nicht schon vorher getan? War es überhaupt Hass oder einfach eine schlechte Laune? Oder wollte er mich vielleicht einfach nur ausnutzen und lässt mich wahllos Leute umbringen?
Ich weiß es nicht und es juckt mich zum ersten Mal. Ich will es wissen. „Sei nicht so eine Pussy.", schimpfe ich mir selber zu, als ich grade über einen Zaun springe, der mich auf eine Abkürzung führen wird.
Normalerweise fahre ich gerne mit einem Motorrad zu meinen Zielen, aber Maizel wohnt so nah bei Isaacs Quartier, dass ich mich dazu entschloss noch ein bisschen frische Luft zu schnappen. Wer weiß denn schon, wann ich das nächste Mal raus kann?

Also spaziere ich, als wäre ich eine ganz normale Person, wie jeder andere auch, die Straßen in einem gemütlichen Gang entlang. Heute habe ich mich gegen jede größere Waffe entschieden. Nur ein paar Wurfmesser, Dolche und größere Messer. Nicht zum ersten Mal bereue ich meine Waffenwahl, als es darauf ankam Isaac umzubringen. Ich hatte mein eigenes Schicksal schon immer selbst in der Hand, genau wie an diesem Tag und ich hab mal so richtig reingeschissen. Wer hätte auch wissen können, dass Isaac der einzige Mann ist, der aufmerksam zum Auto läuft und nicht vollkommen in seinen dreckigen Gedanken vertieft ist? Und dann konnte er sich noch verteidigen. Aber da war noch was. Er muss es gewusst haben. Er war einfach zu ruhig, zu gelassen, zu vorbereitet. Geschehen ist geschehen. Auch eine Sache, die mir beigebracht wurde.

Es bringt nichts in der Vergangenheit zu leben. Die Toten sind tot, die Lebenden leben, Geschehenes ist geschehen und nur noch die Zukunft ist veränderbar. Ich sollte mich nicht über meine dummen Fehler aufregen, sondern lieber daran arbeiten sie wieder aufzuheben.

Ich brauche insgesamt 10 Minuten vom Tatort zurück zum eindrucksvollen Gebäude, in dem sich Isaac mit seinen vielen Autos versteckt. Unten werde ich abgetastet und all meine Messer werden mir im Gang persönlich von meinem guten Kumpel Zane abgenommen, dessen Gesicht langsam abschwellt, aber noch immer nicht wirklich gesund ausieht. Er weiß, wie wichtig die Waffen eines Kämpfers sind und genau so behandelt er sie auch. Vorsichtig nimmt er sie mir ab, wischt noch einmal mit einem Tuch darüber, obwohl ich sämtliches Blut schon entfernt habe und schließlich legt er sie ordentlich auf ein samtiges Tuch, das danach zusammen gefaltet und weggetragen wird. „Folge mir.", wie immer klar und deutlich ohne irgendwelche Floskels. Ich muss sagen, mir gefällt seine Art. Sie hat was, er hat was, was andere nicht haben und damit meine ich nicht sein gutes Aussehen und seinen stählernen Körper.

Was denn? Darf eine junge Frau nicht einmal ihren Gelüsten und Gedanken frei nachgehen? Ich nehme ja wohl genug im Kauf, dass ich mal etwas über Zane fantasieren darf.

Zane sagt kein Wort, bis wir vor den Türen stehen, die uns geöffnet werden. Ich glaube ich sehe Isaac zum ersten Mal nach meinem Angriff nicht in seinem Stuhl sitzen. Stattdessen wandert er mit einem Drink, den er sich an der kleinen Bar an einer der Wände des Raum eingegossen haben muss, durch den Raum zurück zum Schreibtisch. Und statt sich hinzusetzen, stellt er sich genau vor den Tisch. Hinter ihm die riesige Glaswand, vor der selbst der fast Zwei Meter Mann klein aussieht. Er trägt ein Hemd, das er bestimmt schon Lage ausziehen wollte. Wir haben Zwei Uhr am Morgen und selbst wenn er ein Mann sein sollte, der Schlafmangel und lange Nächte gewohnt ist, ist ihm anzumerken, dass er müde ist. Im Gegensatz zu mir, die lernen musste mit dem Minimum an allem auszukommen. Minimum am Schlaf, Essen, Trinken, Bewegung, Sonnenlicht. Ich wurde aufs Töten ausgerichtet und man kann nicht töten, wenn an nicht überlebt.

„Bring mir gute Nachrichten, мой дьявол" Ich muss mich zusammenreißen. Das schöne an meinem Spitznamen war, er hat mir nichts bedeutet und niemand anderem etwas. Er war nicht persönlich, einfach nur eine Bezeichnung. Aber dieses moi diable ist schrecklich. Er verbindet etwas damit, er verbindet mich damit. Ich weiß nicht was mir lieber wäre, bei meinem hässlichen echten Namen gerufen zu werden, den mir meine Mutter bei meiner Geburt gegeben hat oder diese Schande мой дьявол.
Wenn der Tod eine gute Nachricht ist, hab ich gleich Vier."
Isaac klemmt sich seine linke Hand zwischen Rippen und rechten Arm und nickt zufrieden. „Ich sehe, du gehst vollkommen in deiner Aufgabe auf." Ich schnaube auf und verdrehe die Augen. Wären wir nicht nur zu dritt, hätte er meine Reaktion vielleicht nicht einfach unbestraft gelassen, was mich natürlich nicht aufgehalten hätte.

„Was denkst du, мой дьявол? Lass mich an deinen ausgeklügelten Gedanken teil haben.", fordert er mich mit eindringlicher Stimme und einer einladender Handbewegung mit Drink in der Hand auf.  „Es ist ja nicht so, als hätte ich eine andere Wahl.", bringe ich es knapp auf den Punkt und verlagere mein Gewicht etwas auf das recht Bein. Dabei spüre ich das Pieken des Metalls unter meiner Kleidung. Das kleine bisschen, was Zane nicht gefunden hat. „Sag mir, mein süßer Wind, was ist jetzt anders als vorher? Du lebst dein belangloses Dahinleben weiter, tötest, baust dir einen Ruf von Angst und Schrecken auf und ziehst über andere daher, als hättest du eine Stellung in dieser Welt? Ich habe dir ein Geschenk macht, also trete es nicht mit Füßen, sonst wirst du es noch bereuen." Ich ziehe gespannt die Augenbrauen zusammen. „Ich muss schon sagen, mein Lieber, in Drohungen spucken, bist du fantastisch." Sein rechter Mundwinkel zuckt kurz nach oben, sodass sein Grübchen kurz erscheint. „Wie nett von dir." Er trinkt einen tiefen Schluck seines goldenen Gesüffs, stellt es hinter sich ab und winkt mich dann zu sich.

„Der Finger." Ich trete voran. Spüre Zanes wachsamen Blick auf mir, aber wenn er bis jetzt nicht bemerkt hat, dass ich einen meiner Dolche mit herein schmuggeln konnte, wird er es auch jetzt nicht bemerken. Als ich nur noch zwei Schritte vor Isaac stehe, umspielt mich frischer, männlicher Duft zusammen mit dem beißendem Geruch von Alkohol, den ich als Whisky ausmache. Ich greife in meine Tasche und hole ein Stoffsäckchen hervor und halte es über  seine mir offen hingehaltene Hand. Dabei halten wir beide streng Blickkontakt. Bevor ich es fallen lasse, lecke ich mir über die Lippen. „Warum sollte ich ihn umbringen?", frage ich langsam. Isaac guckt nicht auf unsere Hände herab, sondern hält den Augenkontakt. „Wäre die Information für dich gedacht, hätte ich es dir bereits gesagt.", antwortet er.

„Warum? Ich will es wissen.", bestehe ich weiterhin und halten den Finger etwas fester in meiner Hand. „Was interessiert es dich, was diese Männer getan haben?", fragt mich Isaac mit interessierter Miene. Ich lehne mich ein Stück nach vorne. Spüre seine Wärme an meinem Körper noch durch die ledrige Kleidung. Und sein Atem trifft mit jedem Zug auf meinen. „Es ist meine Hand, die sie umringt. Ich will wissen, warum."

„Du bist meine Hand, мой дьявол. Seit wann interessiert es dich wen oder was du tötest? Du hattest noch nie ein Gewissen, noch nie eine Moral, also warum auf einmal?" Er pausiert und kommt mir ebenfalls etwas entgegen. „Ich kann es dir sagen, weil du Kontrolle brauchst. Ich hab dich in meiner Hand und du kannst es nicht ausstehe, wenn dir jemand etwas befiehlt. Noch weniger, wenn du keine Wahl hast, als zu gehorchen. Althea, du hast kein Herz, fang nicht jetzt damit an zu denken, du hättest eins." Ich hatte eines.

Der Teufel ist eine Frau |✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt