Wiedersehen

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Die Nacht war kurz, aber ich hab jede Sekunde Schlaf gebraucht.
Ich wache ganz von selbst am Morgen auf, nehme eine Dusche, ziehe mich an und lege meine Waffen an. Ich tue alles so, als wäre nichts passiert. Als wäre alles normal. Als wäre ich gestern nicht noch über Isaacs Schreibtisch gedrückt worden und hätt nur kurz darauf seinen Namen lauthals geschrien.
Ich rede mir ein, dass das nichts ändern wird. Dass ich alles wie bis her weiter mache. Dass nur weil ich mich meinem Verlangen und Trieben hingegeben habe und das sicher das ganze Haus weiß, das nicht heißt, dass ich jetzt ein anderer Mensch bin oder Isaac.
Es ist alles wie bisher, das muss es sogar sein.

Und weil alles wie bisher ist, steht Zane kurz nach meinem Aufstehen auch pünktlich vor meiner Tür. Die Tür ist zwar nicht mehr abgeschlossen und auch die Wachen vor ihr fehlen, aber irgendwas treibt mich dazu, trotzdem noch auf ihn zu warten, um mit ihm in den Tag zu starten. Bei dem Gedanken an Luca und David, die beiden Männer, die nicht nur den Auftrag hatten, mich zu bewachen, sondern mich auch an Francessco verraten und geschützt haben, schießen auch sofort die Bilder der Geschehnisse des Tages in den Sinn, an dem Isaac für eine Art Gerechtigkeit gesorgt hat. Eben auf seine eigene, brutale Art und Weise.
Statt dass mich eine Gänsehaut überkommt oder sowas wie Mitleid, Schuldgefühle oder auch nur ein Funken eines schlechten oder traurigen Gefühls, schleicht sich die Spannung zurück in meinen Körper.

Die Spannung, die ich gestern für einen kurzen Moment verloren habe. Diese Spannung, die ein elektrisierendes Kribbeln in mir hervorruft, denn genau wie bei den beiden Hinrichtungen, kann ich nur Isaac sehen.

Wie sich seine Muskeln anspannen, als er nur davon er erfahren hat, was geschehen ist. Wie er wie ein gefährliches Raubtier durch den Raum zu seinem Opfer geschreitet ist. Wie flink, geschickt und tödlich alles ablief. Es war wunderbar. Doch nichts im Vergleich zu gestern.

Als ich die Tür öffne und von einer ernsten, schönen Miene begrüßt werde, verbanne ich all diese Gedanken tief im hintersten Teil meines Kopfes. Es wird keinem etwas bringen, wenn ich weiter über Isaac oder uns nachdenke. Es gibt kein uns, ermahne ich mich schnell selbst.
Wir laufen sofort in Richtung Speisesaal. Genau auf Schritthöhe Zane und genau der gleichen aufrechten Haltung, auch wenn er noch immer viel göttlicher aussieht, als ich. Mir brennt die Frage auf der Zunge, wie lang er gestern noch da war, schluck die aber lieber wieder runter.

„Was steht heute auf dem Plan?", frag ich stattdessen, nachdem ich ihm einen guten Morgen gewünscht habe, den er mit einem Nicken quittierte. „Frühstück, Training und Isaac hat mich informiert, dass du dich heute Abend schick anziehen sollst. Ich soll dich abholen." Ah, ja da war ja was. „Davon hab ich auch schon erfahren.", murmle ich und frage mich weiter, was genau Isaac vor hat. Ein Abendessen oder sowas in der Art sicher nicht, denn das ist es nicht, wofür ich da bin. Das wissen wir beide und ich bin nicht so dumm, mir was anderes einzubilden.
Ich schüttle mich kurz. „Egal, erstmal muss ich ein dickes Schoko Croissant essen, davor passiert gar nichts." Plötzlich macht er ein ganz komisches Geräusch, ein das sich schon fast wie ein Schnauben aus Freude oder Lachen anhört. Ich gucke erschrocken zu ihm rauf. Ich sehe noch das Grinsen auf seinen Lippen, bevor er spricht.

„Gestern Abend war ja auch ziemlich anstrengend." Keine Zweifel, dass das eine fette Anspielung war, auf das, was gestern Abend im Büro ablief. Ich starr ihn erst nur einen Moment an mit offenen Mund. Er zaubert das Grinsen schnell wieder weg und zuckt mit den Schultern, als könnte er meine Gedanken und Fragen lesen. „Ich meine ja nur, ein Wunder, dass du nicht weiter erschöpft bist." Ich schnaufe selbst und laufe wieder etwas schneller, sodass ich ihn nur kurz ein paar Zentimeter hinter mir lasse. „Natürlich lernst du erst jetzt zu sprechen, nachdem du was hast, womit du mich nerven kannst.", murre ich und glaube zu wissen, dass er wieder grinst, während ich die Augen verdrehe.

Der Teufel ist eine Frau |✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt