Heaven - Teil 4

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Wir fahren ins Zentrum der Stadt, wo alle Tribute - erst jetzt wird mir bewusst, dass auch ich einer von ihnen bin - von Präsidentin Paylor noch einmal in Empfang genommen werden, bevor es zum Trainingslager geht, wo wir die nächsten Tage wohnen werden. Als wir den Platz erreichen, bin ich ganz nervös, weil ich die anderen Tribute kennenlernen werde. Der Wagen hält und ich steige aus. Das, was dann passiert, nehme ich nur wie durch einen Schleier war. Paylor schüttelt mir die Hand und ich stelle mich zu den anderen Tributen. Ein Junge, den ich flüchtig aus der Schule kenne - ich glaube er heißt Wisdom- grinst mich an und unterhält sich leise mit mir, während Paylor weitere Ankündigungen macht. Erst, als ich das verweinte Gesicht und die erschrockenen Augen der kleinen Memory sehe, wird mir wieder klar, dass sie alle nun meine Gegner sind. Sofort wende ich mich von ihm ab und lausche wieder den Worten der Präsidentin.

"Da die meisten Sieger tot sind werden kampferfahrene Männer und Frauen aus unserem Distrikt 13 eure Mentorenrolle übernehmen. Sie warten schon in eurem Apartment. Eure Betreuer werden euch alles weitere erklären."

Wir nicken alle langsam und werden dann zurück zu unserem Wagen geführt. Dort wartet die gute alte Cecilia aus dem Waisenheim und grinst mich an. "Es gab eine kleine Planänderung, ich werde nun die Rolle der Betreuerin übernehmen". Ich seufze.

Bevor ich mir darüber Gedanken machen kann, warum zur Hölle sie hier ist, ruft jemand meinen Namen und ich drehe mich um. Der Junge, der mich vorhin angesprochen hat, läuft auf mich zu und winkt. Ich glaube er will, dass ich auf ihn warte. Also gehe ich nur noch langsam weiter und warte, dass er mich einholt.

"Hey, wir konnten ja gerade nicht so viel reden. Ich weiß nicht, ob du mich überhaupt kennst, aber wir sind in der selben Stufe. Ich heiße Wisdom."

Also hatte ich Recht gehabt.

"Naja, so halb", sage ich und muss unwillkürlich grinsen.

Er lächelt zurück. "Es ist wohl nun doch so, dass für jede Kapitolstadt ein Junge und ein Mädchen antreten sollen. Deine Partnerin wurde zu einer anderen geschickt, stattdessen bin ich nun hier. Ich hoffe das stört dich nicht."

Plötzlich, ohne eine Antwort abzuwarten, greift Wisdom nach meiner Hand und ich zögere. Ist das eine gute Idee? Naja, was soll's...ich zucke mit den Schultern und lege meine Hand in seine. Dann zieht er mich mit, hinter Cecilia her und wir steigen hinten in den Wagen ein. Wisdom ist so nett und setzt sich zwischen Cecilia und mich, sodass ich nicht so viel Kontakt zu ihr habe. Allerdings ist der Wagen sehr klein und wir quetschen den Jungen ein bisschen ein; Cecilia scheint es nicht zu bemerken. Ich versuche nur so viel Platz wegzunehmen, wie nötig und lehne mich gegen die kühle Fensterscheibe. Ich stelle die Gedanken ab und rufe die Erinnerungen. Noch ist nicht die Zeit, sich über die Arena und die Gefahr Gedanken zu machen und ich brauche jetzt etwas, an dem ich mich festhalten kann.

Als der Wagen hält, bin ich schon fast eingeschlafen und Wisdom rüttelt mich solange, bis ich wieder hellwach bin. Ich sehe, wie Cecilia die Augen verdreht und uns dann befiehlt, uns zu beeilen. Da ich sie kenne, folge ich ihr so schnell ich kann. Ich möchte mich ihr nicht widersetzen, dafür kenne ich ihre Bestrafungen zu gut.

Ich habe das Trainingslager noch nie gesehen, es wurde bei den Spielen im Fernsehen nie gezeigt, doch es wundert mich, wie gut es aussieht. Ich habe gehört, dass es während der Rebellion fast vollkommen zerstört worden sein sollte, doch danach sieht es ganz und gar nicht aus.

"Ich frage mich, ob sie es wieder so gebaut haben, wie es immer war, oder ob sie etwas verändert haben", flüstere ich.

Ich weiß nicht, ob Wisdom mich nicht gehört hat oder mich ignoriert. Zumindest antwortet er mir nicht. Vielleicht ist er auch einfach nur fasziniert und mit den Gedanken wo anders.

Wir betreten das Trainingslager und ich kann sofort nachvollziehen, wie sich die ehemaligen Tribute gefühlt haben mussten, als sie das erste Mal hier waren. Die Eingangshalle ist fast 8 Meter hoch, oben hängt ein riesiger, mit Diamanten besetzter Kronleuchter, der ein strahlend weißes Licht verströhmt. Die Wände sind mit verschiedensten Bildern und Mustern geschmückt. Alleine die Eingangshalle muss für sie ein einziges Paradies gewesen sein.

Ich bin zwar die Tochter des ehemaligen Bürgermeisters von Distrikt 12, doch das heißt nicht, dass ich luxuriös gelebt habe. Ich hatte immer genug von allem, das ja, aber mehr auch nicht. Auch im Waisenhaus habe ich kein bisschen Luxus genießen dürfen, doch ich bin durch meine Umgebung daran gewöhnt. Hätte ich nicht in letzter Zeit hier gelebt, wäre ich wahrscheinlich sprachlos. Es ist atemberaubend schön.

Wir durchschreiten die Halle. Vor den Aufzügen bleibt Cecilia stehen und wir laufen fast in sie hinein.

Sie schaut den Jungen neben mir an.

"Wie war dein Name nochmal?", fragt sie mit einem barschen Unterton in der Stimme.

"Wisdom"

"Okay Wisdom, Heaven. Ich möchte euch nur einmal kurz vorwarnen. Eure Mentorin hat nicht mehr alle Tassen im Schrank, also erhofft euch nicht so viel Hilfe von ihr."

Ohne weitere Erklärung steigt sie in den Aufzug. Wisdom und ich schauen uns beide ratlos an, dann zucken wir gleichzeitig die Schultern und folgen unserer Betreuerin.

Als die Aufzugtüren sich öffnen und wir im Penthouse, wo damals die Tribute aus Distrikt 12 gelebt haben, angekommen sind, zeigt uns Cecilia schnell, wo unsere Zimmer sind und sagt, dass wir ihr in den Wohnraum folgen sollen, wo unsere Mentorin auf uns wartet.

Ich stehe noch im Türrahmen, als ich sie erkenne. Die langen, braunen Locken und die verwirrten grünen Augen können niemand anderem gehören. Unsere Mentorin ist Annie Cresta.




Die Tribute von Panem - Die Rache der DistrikteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt