Heaven - Teil 26

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Ich habe keinen Schimmer, wie lange ich weg war, doch als ich die Augen aufschlage, fühle ich mich alles andere als ausgeruht. Die Sonnenstrahlen, die mich daran hindern, klar zu sehen, verraten mir jedoch, dass die Nacht vorbei ist. Ich gähne einmal ausgiebig, dann setze ich mich auf. Das heißt: Ich versuche es. Meine Hände, nein meine Arme, gehorchen nicht, als ich mich mit ihrer Hilfe vom Boden abstoßen will, um aufzustehen. Auch jeder weitere Versuch scheitert. Sie sind taub und rühren sich nicht vom Fleck. Ein weiterer Trick der Spielemacher. Ich schwinge meinen Oberkörper nach oben, sodass ich sitze und ziehe meine Beine an, damit ich nicht sofort wieder nach hinten kippe. Meine Augen haben sich mittlerweile an das Licht gewöhnt. Mir fällt auf, dass ich mich nicht mehr dort befinde, wo ich weggetreten war. Zwar ist dies hier zweifellos immer noch ein Labyrinth, doch die Wege sind breiter und die Wände irgendwie... grüner. Auf dem Boden erkenne ich etwas, das ich als Lianen identifiziere. Dieser Teil des Irrgartens ist also neu. Ich stelle fest, dass sie mir auch meinen Rucksack abgenommen haben, ich meine Waffe aber immer noch bei mir trage. Mein Blick fällt auf den Gürtel, in dem mein Degen steckt. Er ist auch neu. Auf der linken Seite ist eine Flasche befestigt, doch ich merke sofort, dass sie leer ist. Wieso sollten sie uns auch etwas zu trinken gönnen? Ich seufze. Ich bin so erschöpft, dass ich hier am liebsten den ganzen Tag und somit vermutlich den Rest meines Lebens herum sitzen möchte, doch Austrocknen war noch nie die Art, auf die ich dieses Leben verlassen wollte. Andererseits kann ich mir noch eine kleine Pause gönnen, bevor ich aufbreche. Was habe ich schon zu verlieren? Ich habe da so eine Ahnung, dass es den anderen Tributen nicht viel besser geht als mir. Solange wir alle gehandicapt sind, wird niemand von uns einen Kampf beginnen.


Als die Sonne fast im Zenit steht, höre ich wieder dieses Knistern, das eine Durchsage Seitens der Spielemacher ankündigt. Gespannt lausche ich den Worten aus dem Kapitol, die mir sicherlich verraten werden, wieso ich meine Arme nicht bewegen kann und wie es nun weitergehen wird.


Wie ihr bestimmt schon gemerkt habt, hat sich an eurer Umgebung etwas geändert. Die Arena hat sich verändert und ihr euch mit ihr. Um wieder voll Einsatzfähig zu sein, müsst ihr bis Punkt Mitternacht am Füllhorn sein und euch eure Freiheit auf dem Weg dorthin verdienen. Am Füllhorn wartet auf euch dann ein Präsent, verpackt in einer Schatulle mit eurem Namen darauf.

Viel Erfolg. Und möge das Glück stets mit euch sein.


Dann herrscht wieder Totenstille. Ich brauche einen Moment, bis ich die Nachricht verarbeitet habe. Ich muss also zurück zum Füllhorn. Und das möglichst schnell, sonst war es das. Wenn ich doch nur wüsste, wo das Füllhorn ist...

Die Sonne blendet mich und instinktiv möchte ich meine Augen mithilfe meiner Hände schützen, doch noch immer hängen meine Arme schlaff herab und rühren sich nicht. Ich kneife die Augen zu und schaue zu Boden. Das ist die Idee! Die Sonne hilft mir dabei, mich zu orientieren! Da ich am ersten Tag die ganze Zeit gegen die Sonne gelaufen bin, ist das Nebelgebiet also im Süden, wir sind am Mittag gestartet. Entweder laufe ich nun also wieder gegen die Sonne, oder ich laufe nach links oder rechts...

Entschlossen wende ich mich nach links. Die Arena ist gar nicht so groß, dass ich im Notfall nicht die Möglichkeit hätte, noch schnell umzukehren.

Die Stille ist erdrückend und augenblicklich sehne ich mich nach Joes Gesellschaft. Wäre das hier auch passiert, wenn ich bei ihm geblieben wäre? Geht es ihm gut? Das ist das schlimmste daran, wenn man alleine ist: Man beginnt, zu grübeln. Kann ich es schaffen? Werde ich dieses Todesspiel überleben? An jeder Ecke bleibe ich stehen, aus Angst, dass mich die Mutationen überfallen. Wie soll ich denn gegen jemanden kämpfen, ohne meine Arme bewegen zu können? Plötzlich überkommt mich die Furcht. Ich fürchte mich, dass ich diesen vermutlich letzten Tag nicht überstehen werde und schon bald ein Versuchskaninchen bin. Mit der Furcht kommt aber auch die Entschlossenheit. Ich kann es schaffen, ich werde es schaffen, rede ich mir immer wieder ein.

Doch dann geht es nicht mehr weiter. Ratlos stehe ich vor einem Fluss. Er ist eindeutig zu breit, als dass ich ohne die Hilfe meiner Arme hinüber schwimmen könnte. Außerdem: Was wäre, wenn das Wasser giftig ist? Es schimmert grünlich. Oder noch mehr Gefahren im Wasser lauern? Mutationen, die nur so darauf warten, anzugreifen und zu töten. Ich schüttle den Gedanken ab und suche verzweifelt nach einer Idee, während ich langsam den Fluss entlang gehe. Wenn ich nur weit genug laufe, komme ich vielleicht an dem Fluss vorbei. Doch nach einer Weile stehe ich vor einer Hecke des Irrgartens. Ich gestehe mir ein, dass mir keine andere Wahl bleibt, als den Fluss irgendwie zu überqueren, wenn ich hier nicht auf die Mutationen warten will. Könnte ich meine Arme benutzen, wäre das alles gar kein Problem. Ich würde einfach die Hecke hinaufklettern und auf der anderen Seite wieder hinunter... Ich schaue mich um. Es muss doch noch einen anderen Weg geben! Die Spielmacher haben sich sicherlich etwas dabei gedacht. Die Aufgabe ist nicht unlösbar. Erst jetzt fällt mir auf, dass hier nicht nur die Hecken stehen, sondern auch einige Bäume gepflanzt sind. Große, kleine, frische und halb umgeknickte...Das ist die Idee! Wenn ich es schaffe, den Baum dort, der so oder so schon halb daneben hängt, umzutreten, dann könnte ich, wenn ich Glück habe, den Fluss so überqueren. Ich laufe hinüber und trete einmal feste gegen den Stamm. Sofort knickt dieser ab und fällt so über den Fluss, dass er die andere Seite erreicht und fest aufliegt. Als wäre genau das seine Aufgabe. Der Gedanke bringt mich zum Schmunzeln. Der Stamm ist breit genug, dass ich hinüberlaufen kann, doch ich zögere einen Moment. Ohne meine Arme wird es schwierig, das Gleichgewicht zu halten. Und doch muss ich es versuchen. Kurze Zeit später stehe ich auf der anderen Seite. Zitternd und sehr erleichtert. Ich laufe weiter, nicht so recht wissend, ob ich überhaupt in die richtige Richtung laufe. Ab und zu laufe ich in eine Sackgasse, dann wieder merke ich, dass ich im Kreis laufe. Als es schließlich dunkel wird, merke ich auch, dass mir die Umgebung wieder vertraut vorkommt. Das Labyrinth hat sich verändert, ich bin zurück im alten Teil. Bis zum Füllhorn kann es nicht mehr weit sein. Ich habe Durst, mein Magen knurrt, ich bin erschöpft.

Doch aufgeben wäre zu leicht. Ich schleppe mich weiter voran, hoffnungsvoll. Und tatsächlich: Schon bald habe ich das Füllhorn erreicht. Ich schleiche hinüber, aus Angst, dass die anderen Tribute nun auch hier sind und mich angreifen. Es ist niemand dort. Vor dem Füllhorn steht ein runder Metalltisch, auf dem vier kleine Kästchen stehen. Ganz links steht mein Name drauf. Ich will es öffnen, doch meine Arme rühren sich nicht. Da ich mir nicht anders zu helfen weiß, trete ich einmal dagegen. Das Kästchen fliegt gegen das Füllhorn und öffnet sich. Ich laufe hinüber. Eine winzige Tablette liegt in ihm drin. Ich bezweifle, dass es Gift ist, doch trotzdem zögere ich einen Moment. Dann knie ich mich hin, beuge mich nach vorne und schlucke sie hinunter. Ich spüre, wie meine Arme leicht werden, wie ein Kribbeln durch meinen ganzen Körper fährt. Im Gegenzug werden meine Augen schwer. Ich versuche, sie aufzuhalten, doch letztendlich siegt die Erschöpfung und ich schlafe schutzlos ein.

Die Tribute von Panem - Die Rache der DistrikteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt