Ich muss mich verhört haben. Ja, ich bin mir beinahe sicher, dass ich mich verhört habe. Ich bin noch viel zu aufgewühlt und noch gar nicht ganz bei der Sache. Vielleicht war die Tatsache, dass meine ehemalig beste und einzige Freundin Katniss meinen richtigen Namen genannt hat, ganz simples Wunschdenken.
Es ist eine Ewigkeit her, dass jemand meinen Geburtsnamen benutzt hat. "Madge" - der Name klingt so fremd. So weit entfernt, dass ich ihn beinahe vergessen hätte.
Madge gehört nicht länger hierher. Dies ist ein anderes Leben, ein neues Leben, ein grausames Leben. Aber es ist mein Leben. Ich bin Heaven. Siegerin der 76. Hungerspiele. Siegerin der Kapitolspiele. Der Spiele, in die mich Katniss geschickt hat.
Erst jetzt wird mir klar, dass es ihre Schuld ist. Haben die Distrikte nicht dafür gekämpft, die Spiele zu beenden? Ist es nicht das gewesen, für das Tausende und Abertausende gestorben sind? Präsident Snow ist tot. Doch die neue Regierung ist kein Stück besser.
Diese Spiele hätten niemals stattfinden dürfen. Es sind 23 weitere, unschuldige Kinder gestorben. 24, wenn man Memory mitrechnet. Niemals hätte Blut an meine Händen kleben müssen. Alles hätte anders geregelt werden können.
Doch die Distrikte waren auf Rache aus. Es ging ihnen niemals darum, in Panem ein Gleichgewicht zu schaffen. Sie wollten Rache für das, was über Jahrzehnte ihren Kindern angetan wurde. Und nun haben sie dasselbe mit den Kindern aus dem Kapitol gemacht. Es ist falsch, einfach nur falsch.
Ohne zu wissen, wie mir geschieht, stürze ich mich auf Katniss.Katniss schreit erschrocken auf, ist aber nicht vorbereitet genug, um meinem Überfall auszuweichen. Zusammen taumeln wir nach hinten, sodass ich über ihr liege. Mit Fäusten schlage ich auf sie ein, verfluche sie und wünsche ihr das Schlimmste. Sie übernimmt einige schwache Versuche, mich von sich wegzudrücken, aber abgesehen davon lässt sie es geschehen. Ich spüre, wie Jasper mich sanft von ihr wegzieht und versuche, seine Hände von meinem Körper zu lösen - doch vergeblich. Im nächsten Moment sitze ich wieder auf dem weichen Bett, während mir etwas Feuchtes die Wangen hinunterläuft. Jasper zieht mich auf seinen Schoß und wechselt ein paar unverständliche Worte mit Katniss, die sich wieder aufgerappelt hat und erhobenen Hauptes in der Tür steht, als sei nichts passiert. Währenddessen schmiege ich mich an meinen Stylisten und orientiere mich erneut an seinem Atem. Einatmen, ausatmen. Es gelingt mir sogar beinahe, mich zu beruhigen.
"Wir sehen uns dann bei der Siegerkrönung", sagt Katniss. Dann verlässt sie den Raum, nicht ohne mich noch einmal mitleidig anzublicken, und die Tür fällt hinter ihr ins Schloss. Ich bin allein mit Jasper. In seinen Armen breche ich zusammen.Der Termin für die Siegerkrönung wurde ein paar Tage nach hinten verschoben, als ihnen klar wurde, dass sich mein psychischer Zustand nicht allzu bald verbessern würde.
Tag für Tag lerne ich, mit dem Vergangenen umzugehen. Dann nachts, wenn sich die Stille über Panem legt, erleide ich einen Zusammenbruch nach dem nächsten. Jasper weicht mir kaum noch von der Seite. Ich bin froh, dass er bei mir ist. Er fängt mich jedes Mal wieder auf. Es ist schwer zu sagen, ob ich ohne ihn viel länger durchhalten würde. Vielleicht hätte ich auch schon längst aufgegeben. Doch wie Jasper schon sagte: Sie brauchen einen Sieger.
Es stellte sich heraus, dass Distrikt 13 in dem alles entscheidenden Finale die Kontrolle verloren hat. Die Spielmacher, die aufgrund ihrer jahrelangen Vorbereitung und Erfahrung noch immer vom Kapitol gestellt wurden, schienen sich gegen das neue Regime aufzulehnen. Aus diesem Kampf wurde ein Kampf um die Macht über die Mutationen. Es geriet alles außer Kontrolle. Beinahe hätte es keinen Sieger gegeben. Beinahe, aber wirklich nur beinahe, hätte es Aufstände im Kapitol gegeben.
Ich war mir noch nie so sicher, dass ich hätte sterben sollen. Es wäre das Beste für dieses verdammte Land gewesen. Aber ich bin immer noch hier.Das Kleid, das ich zur Krönung tragen soll, gleicht einem Bettlaken. Aus einem unbekannten Grund war es Jasper untersagt, mir ein Kleid zu schneidern und das ist leider nicht zu übersehen. Als mein Name aufgerufen wird und ich die Bühne betrete, habe ich eher das Gefühl, auf dem Weg zu meiner eigenen Beerdigung zu sein. Ich strecke das Kinn nach oben und versuche, nicht in die Menschenmenge zu schauen, als ich zu meinem Sarg stolziere. In Wahrheit stolpere ich verängstigt und eingeschüchtert zu dem großen Thron hinüber. Aus der Menge ist vereinzelt Applaus zu hören, aber die Stimmung ist deutlich gekippt. Das Kapitol scheint endlich begriffen zu haben, was die Spiele wirklich bedeuten. Traurig nur, dass man erst ihre eigenen Kinder zur Schlachtbank führen musste.
Von der Zeremonie bekomme ich wenig mit. Begonnen wird mit der Zusammenfassung der Spiele, bei der ich mich mit meinen Gedanken absichtlich ablenke. Danach fällt es mir schwer, mich aus meiner Traumwelt zu lösen und den Worten des Moderators zu folgen. Wie die Landschaft bei einer Zugfahrt zieht die ganze Zeremonie an mir vorbei und ehe ich mich versehe, werde ich, ein kleines Krönchen auf meinem Kopf, von Jasper von der Bühne geleitet.
Als wir uns ein Stückchen entfernt haben, fällt es mir wieder leichter, frei zu atmen. Jasper zieht mich in eine Umarmung und seine Wärme umgibt mich, wie ein Schutzschild. Ich bin dankbar, dass er für mich da ist.
Plötzlich spannt sich sein Körper an und er schiebt mich sanft von sich weg. Ich drehe meinen Kopf, um seinem Blick folgen zu können.
Ein Mädchen, kaum älter als ich, kommt auf uns zugeschlendert. Im ersten Moment denke ich, dass sie aus den Distrikten kommt, doch bei genauerem hinsehen erkennt man einige Tattoos, die ihre helle Haut schmücken.
Jasper scheint sie zu kennen. Ich trete einen Schritt zur Seite, um ihr Platz zu machen, als ich erkenne, dass sie auf mich zukommt und nicht auf meinen Freund. Sie wirft ihre langen, schwarzen Haare zurück und hält mir eine Hand hin. Verwirrt schüttle ich sie.
"Hallo Heaven. Es freut mich sehr, dich endlich kennenzulernen. Mein Name ist Daphne und ich bin gelernte Spielmacherin. Ich bin hier, weil ich deine Hilfe brauche."Ende des 1. Teils
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Die Tribute von Panem - Die Rache der Distrikte
FanfictionVor der Bombardierung von Distrikt 12 floh Madge in die Wälder Panems. Dort wurde sie von dem Kapitol aufgelesen und durch verschiedene Experimente geführt. Die Folge: Unsterblichkeit. Mit dem festen Willen, eine Möglichkeit zu finden, sich das gra...