Ich halte meine Waffe fest in der Hand, ausgestreckt. Der Junge, der mindestens einen Kopf größer ist als ich, funkelt mich böse an. Dann stürzt er sich auf mich. Ich ducke mich und sein Faustschlag verfehlt mich nur knapp. Allerdings habe ich währenddessen meine Waffe fallen gelassen. Ich bücke mich, um sie aufzuheben, als der Tribut sich wieder auf mich wirft. Ich hole aus und ramme ihm meinen Ellbogen in den Magen und er taumelt zurück in Richtung Labyrinth. Schnell greife ich nach meinem Degen und schaue zu, wie der Junge aufsteht. Dann hole ich aus und versetze ihm mit der Klinge meiner Waffe einen Schlag gegen den Kopf. Er blickt mich einen Moment schief an, als könne er nicht begreifen, was gerade geschieht, dann kippt er um. Ich stelle fest, dass sich der Boden sofort rot färbt. Ohne noch mehr Zeit zu vertrödeln, setze ich mich wieder in Bewegung und renne weiter. Fort vom Füllhorn, fort vom Kampf. Ich weiß nicht, ob der Junge tot ist oder ob er stirbt. Wenn es so ist, dann habe ich nun zwei Leben auf dem Gewissen. Dann habe ich schon zwei Leben beendet. So oder so habe ich das getan, was ich unbedingt vermeiden wollte: Ich habe getötet.
Während ich mir einen Weg durch das Labyrinth suche, versuche ich den Gedanken daran zu verdrängen. Doch genau dies beherrscht meine Gedanken. Mir verschwimmt die Sicht und ich stütze mich an der Hecke ab. Dann übergebe ich mich, atme einen Moment tief durch und taste mich an der Wand weiter. Als das grün sich lichtet, stolpere ich über einen Gegenstand und falle auf den Boden. Ich habe keine Kraft mehr aufzustehen. Ich bleibe liegen und schließe die Augen. Sollen mich die anderen doch finden. Sollen sie mich doch töten. Sollen sie mich als Versuchskaninchen benutzen. Ich bin fertig.
Und doch kommt niemand. Es herrscht Totenstille und irgendwann wird mir klar, dass ich aufstehen muss. Eigentlich hänge ich doch zu sehr an meinem Leben. Und man hat mir noch eine Chance gegeben, sonst wäre hier schon längst jemand aufgetaucht. Mir fällt es schwer, aufzustehen, doch es gelingt mir, wenn auch mühsam. Erneut muss ich meinen Magen entleeren. Na super, das wird bestimmt jede menge Sponsoren anlocken. Dann bemerke ich den Gegenstand, der mich zu Fall gebracht hat. Es ist ein Rucksack. Ich knie mich hin und ziehe den Rucksack zu mir heran und umklammere ihn so fest, als hinge mein Leben daran. Ich öffne den Reißverschluss, um zu sehen, ob dort wirklich etwas Brauchbares drin steckt, oder ob es eine Falle ist. Erleichtert atme ich auf, als ich den Inhalt sehe. Schnell ziehe ich den Verschluss wieder zu und hänge mir den Rucksack über die rechte Schulter. Dann setze ich schließlich meinen Weg fort und verlasse das Labyrinth.
Sofort verschwimmt mir die Sicht. Dicker Nebel umgibt mich und meine Augen fangen zu tränen an. Ich kneife die Augen zusammen und gehe ein Stück. Ich drehe mich zu allen Seiten, doch ich kann einfach nichts sehen. Es ist, als sei ich blind. Und den Irrgarten kann ich auch nicht mehr sehen. Panisch laufe ich weiter, in der Hoffnung, dass der Nebel sich noch lichtet, doch egal, wie weit ich gehe: Ich kann nichts sehen.
Ich fange am ganzen Körper zu zittern an. Man kann mir doch nicht meine Sehkraft nehmen. Alles, aber nicht meine Sehkraft! Ich ziehe die Jacke zu, damit meine Sachen darunter nicht nass werden oder kaputt gehen. Wer weiß, was das für ein Nebel ist. Dabei fällt mir auf, dass ich ja die Taschenlampe habe. Ich ziehe sie aus der Tasche raus und schalte sie ein. Den Lichtstrahl richte ich auf den Boden und stelle erleichtert fest, dass ich so wenigstens den Boden erkennen kann und aufpassen kann, wohin ich trete. Ich laufe weiter, auf der Suche nach...
Ja nach was eigentlich? Wohin laufe ich? Wieso bleibe ich nicht einfach hier und ruhe mich aus?
"Weil du dich verstecken musst", erinnert mich meine innere Stimme. Wovor soll ich mich verstecken? Hier ist keine Menschenseele. Und wenn, dann finden sie mich sowieso nicht. Wenn ich nicht sehen kann, dann kann das auch niemand anderes. Aber irgendetwas treibt mich weiter. Die Arena der letzten Spiele war nicht groß. Und genau in dieser Arena befinde ich mich gerade. Wenn ich immer weiter laufe, dann sollte sich der Nebel doch lichten, oder?
Ich kämpfe mich weiter durch den Nebel, als ich gegen harten Stein laufe. Ich halte die Taschenlampe drauf gerichtet und entdecke einen kleinen Eingang. Ich habe eine Höhle gefunden.
Schnell schlüpfe ich durch das Loch. Es ist stockfinster hier drin, doch hier kann ich dem Nebel entkommen. Ich lege die Taschenlampe auf den Boden und den Degen beiseite, jedoch griffbereit. Dann nehme ich das Päckchen und falte es auseinander. Es ist ein Schlafsack!
Ich breite ihn auf dem Boden aus und setze mich drauf. Dann ziehe ich die Daunenjacke aus und Decke mich damit zu, als mir einfällt, dass ich ja noch die Äpfel und das Verbandzeugs in den Taschen habe. Ich ziehe es heraus und lege es neben mir auf den Schlafsack. Dann öffne ich den Rucksack und schaue, was ich noch erbeutet habe.
Zuerst entdecke ich einen Dolch, den ich sofort zu meiner anderen Waffe lege. Dann ziehe ich eine Flasche heraus. Sie ist leer. Ich muss mich zusammenreißen, um sie nicht ans andere Ende der Höhle zu schmeißen. Plötzlich ertönt ein Knall, ich zucke zusammen und greife reflexartig nach meiner Waffe. Das Füllhorngemetzel ist vorbei. Die Kanone ertönt noch acht weitere Male, dann herrscht erneut Totenstille. Ich starre die Wand an, während wieder Übelkeit in mir aufkommt. Neun Menschen sind tot. Neun Menschen wurden heute umgebracht und es werden noch weitere folgen. Ich habe heute mindestens ein Leben beendet. Ich lebe noch. Womit habe ich das verdient?
Meine Augen füllen sich mit Tränen, die ich aber ganz schnell wieder wegwische. Hier sind überall Kameras. Nach meinem Zusammenbruch vorhin darf ich keine weitere Schwäche zeigen. Ich möchte schreien, ich möchte toben und mich dann wieder in meine Ecke verkriechen, aber ich darf nicht. Sie beherrschen mich hier. Sie sagen mir, was ich tun darf und was ich lassen muss. Ein Fehltritt würde meinen sofortigen Tod bedeuten.
Ich ziehe die Beine heran und versuche mich zu beruhigen. Nach einer Gefühlten Ewigkeit wird mein Atem langsamer und plötzlich knurrt mein Magen. Ich schmunzle, während ich mich wieder an meinem Rucksack zu schaffen mache, als hätte es keine Unterbrechung gegeben. Ich finde noch eine kleine Flasche, die ich öffne und daran rieche. Ich verziehe das Gesicht und lege das Jod zu den anderen Sachen auf meinen Schlafsack. Außerdem habe ich noch ein Seil, eine Packung Streichhölzer und 3 weitere Äpfel erbeutet. Ich stopfe alles zurück in den Rucksack und schalte die Taschenlampe aus, denn die Batterie hält nicht ewig. Dann ziehe ich meinen Schlafsack zum Höhleneingang und lege meine Sachen daneben, sodass ich sie im Notfall schnell nehmen und wegrennen kann. Ich lehne mich gegen die Wand und schließe halb die Augen, als mein Magen erneut knurrt. Ich seufze und krame das einzige Essbare heraus, was ich habe: Einen Apfel.
Während ich langsam esse, scheint durch den Nebel plötzlich ein Symbol. Ich kneife die Augen zusammen und versuche es zu erkennen. Es ist ein Spotttölpel. Darunter steht etwas, das ich leider nicht erkennen kann. Sie haben wohl das Kapitolwappen durch einen Spotttölpel ersetzt. Natürlich. Als mir klar wird, dass ich jetzt erfahren werde, ob ich den Jungen auch getötet habe, klopft mein Herz wieder schneller. Ich schaue in den Himmel und versuche ruhig zu bleiben. Den angebissenen Apfel lege ich beiseite und versuche das üble Gefühl in mir drin zu ignorieren.
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Die Tribute von Panem - Die Rache der Distrikte
FanfictionVor der Bombardierung von Distrikt 12 floh Madge in die Wälder Panems. Dort wurde sie von dem Kapitol aufgelesen und durch verschiedene Experimente geführt. Die Folge: Unsterblichkeit. Mit dem festen Willen, eine Möglichkeit zu finden, sich das gra...