Heaven - Teil 16

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Das Training verlief relativ gut. Ich bin sehr geübt mit dem Degen, sodass ich wenig Zeit bei den Waffen verbracht habe und mich anderen Überlebenstechniken widmen konnte. Überrascht stellte ich fest, dass ich mit meinem gewonnenen Wissen sogar recht gute Chancen haben könnte. Von Wisdom habe ich in den Trainingstagen wenig gesehen. Er schien nicht länger interessiert daran, unsere Freundschaft zu vertiefen. Vielleicht ist es besser so. In der Arena werden wir früher oder später sowieso zu Feinden. Selbst wenn ich wollte, könnte ich ihm den Sieg nicht ermöglichen. Niemand anderes außer ich wird lebend aus dieser Arena herauskommen. Der Gedanke versetzt mir einen Stich, wenn ich daran denke, dass meine beste Freundin und 22 weitere unschuldige Kinder mit mir in der Arena sein werden und wegen mir sterben müssen.
Nachdem ich nach dem Aufwachen noch länger als eine halbe Stunde in dem Bett verbracht habe, schaffe ich es nun endlich aufzustehen. Während ich leise ein Lied trällere, um meine Sorgen zu vergessen, mache ich mich fertig. Es hieß, ich solle meinen Mentor ungefähr gegen 10 Uhr früh treffen. Für meine Verhältnisse bin ich heute viel zu früh aufgestanden. Ich meine, welcher normale Mensch steht schon um 9 Uhr auf? Niemand. Naja vielleicht doch die Distrikte. Für alles gab es eine Ausnahme und es waren auf der Seite des Kapitols immer die Distrikte. Ich erwische mich dabei, wie ich mich selbst zu dem Kapitol zähle. Bin ich das wirklich? Der Gedanke ist falsch. Absolut falsch. Würde man jedoch aus einem Distrikt kommen, würde man natürlich das Kapitol als Ausnahme in Betracht ziehen. So wie ich früher. Ja, das Leben ist schon kompliziert. Ich ziehe mir eine rote Jeans und ein weißes T-Shirt an und schleiche mich leise aus meinem Zimmer. Vielleicht ist der Mentor ja schon da? Und tatsächlich. Am Frühstückstisch sitzt Annie. „Ah, da bist du ja!", zwitschert sie fröhlich. Skeptisch hebe ich eine Augenbraue. Ich habe sie selten so gut gelaunt erlebt.

„Na, wie geht's dir heute? Kannst du schon mit irgendwelchen Waffen umgehen? Weißt du was man in den Hungerspielen am besten gebrauchen kann? Kennst du dich mit Pflanzen aus? Freust du dich schon auf das Interview?" Ich fühle mich wie eine gepresste Zitrone, als der Schwall von Fragen mich begräbt. „Ähm. Mir geht es relativ gut, wenn man bedenkt das ich bald sterbe." Der Reihe nach erkläre ich ihr, was ich vom Training der letzten Tage mitgenommen habe und dass ich zwar mit dem Degen recht gut umgehen kann, jedoch trotzdem ziemlich nervös bin. Auf das Interview hingegen, gestehe ich, freue ich mich schon sehr. Sie drückt meine Schulter, zwinkert mir zu und verlässt den Raum. Ich schlinge schnell mein Frühstück hinunter und werde dann von Jasper abgeholt. Als ich ihn sehe, hüpft mein Herz wie verrückt hin und her. Ich bin so froh ihn zu sehen und merke, wie sehr er mir gefehlt hat. Dieses Mal werde ich in meinem Zimmer für das Interview fertig gemacht. Er schminkt mich leicht und ich ziehe das Kleid über, das er mir mitgebracht hat. Es ist ziemlich kurz mit ganz viel Spitze und ist komplett schwarz. Ich zögere, als ich in den Spiegel schaue, doch es hat etwas. Meine Schuhe sind viel zu hoch, als dass ich damit laufen könnte und bei meinem ersten Versuch falle ich direkt in Jaspers Arme. Wir lachen. Dann steckt er mit geschickten Händen meine Haare hoch und wir fahren nach unten. Jasper begleitet mich noch bis zu dem Raum, in dem wir warten, bis wir an der Reihe sind. Dann verabschiedet er sich und lässt mich alleine.

Es ist komisch, denn ich bin fast gar nicht nervös. Ich vertraue darauf, dass mein Auftritt bei der Parade Eindruck hinterlassen hat und niemand merkt, wie schüchtern ich eigentlich bin. Langsam gehe ich gehe zu meinem Platz. Die ersten Tribute treten auf die Bühne und ich höre nur mit halbem Ohr zu. Irgendwann stehe ich auf und laufe im Raum herum, da mir das Sitzen und Nichtstun nicht bekommt. Gleich bin ich dran. Immer und immer wieder überlege ich mir die verrücktesten Fragen und die dazugehörigen Antworten. „Einfach so sein wie du bist.", murmle ich immer wieder und höre wie die einzelnen Tribute aufgerufen werden. Nun bin auch ich an der Reihe. Mit zitternden Knien und eiskalten Händen gehe ich auf die Bühne und kneife im ersten Moment wegen dem schroffen Licht die Augen zu. Es fühlt sich an als wollten meine Beine mich nicht mehr lange tragen, als ich schon auf dem weichen Sessel neben Plutarch, der die Interviews führt, sitze und nervös mein Kleid zurecht zupfe. Mein Atem geht schnell und mein Herz pumpt laut Blut in meinen Kopf, was meine Wangen sofort erröten lässt. So ein Gefühl habe ich noch nie gespürt. Ich habe nicht viel Zeit, um mich zu beruhigen und mich an die Situation zu gewöhnen, da Plutarch schon mit der ersten Frage auf mich einhämmert: "Na, Heaven. Ungewohnte Situation, nicht?"Ich nicke leicht und beiße mir auf die Unterlippe. Was soll ich darauf schon antworten? Plutarch fährt fort. "Wie fühlst du dich so? Auf der anderen Seite des Spiels, meine ich." Geschockt schaue ich ihn an. Sein Mund zuckt und formt ein Lächeln. „Wir haben nur drei Minuten Heaven. Also wie fühlst du dich so auf der anderen Seite der Spiele?", wiederholt er noch einmal langsamer. Ich nicke. „Ich bin nervös, aber ich denke ich werde es schaffen. Zu gewinnen meine ich. Immerhin kenne ich Tricks von den Distrikten und ich schätze die vorherigen Tribute für ihre außerordentlich gute Arbeit.", antworte ich und sehe dann zur Bestätigung das Publikum an. Sie jubeln mir zu. Fast hätte ich gelächelt, aber ich schaffe es nicht. Ich bin verdammt nochmal nicht auf der anderen Seite der Spiele! Ich war immer auf der Seite, musste immer um mein Leben bangen. Musste Freunden beim sterben oder beim gewinnen zu sehen. Ich blinzle die Tränen weg.

„Und ich freue mich natürlich nun auch zeigen zu können, dass ich stark bin und sie alle besiegen kann.", lüge ich weiter. Plutarch antwortet mit einem "Ja das bist du wohl. Gefährlich, wie eine Mutation, nicht?" Er lacht und findet es wahrscheinlich witzig. Ich hingegen habe sehr viel Angst. Ich hasse die Spiele und habe sie mir damals, wie wir alle, nur aus Zwang angeschaut. Mehr war da nicht. Ich bin keine Killermaschine. Doch wie heißt es so schön? Gute Miene zum bösen Spiel. Er nickt und ruft meinen Namen in die Menge. Dann verabschiedet sich Plutarch von mir und ich danke ihm. Ich erhebe mich von dem Stuhl und laufe geradewegs hinter die Tribüne. Mein Danken galt nur Plutarch. Ich mag ihn, denn ohne ihn wäre ich total aufgelaufen und hätte nur stumm dagesessen. Meine Lügen waren gut, hätten aber ohne Plutarchs Hilfe nicht echt geklungen, auch wenn mich seine Frage ziemlich schockiert hat. Wer weiß? Vielleicht hatte das Interview doch etwas Gutes an sich und hat meinen gefährlichen Auftritt bei der Parade noch verstärkt und sie schätzen mich. Wer weiß, wer weiß...

Die Tribute von Panem - Die Rache der DistrikteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt