Heaven - Teil 29

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Ein schriller Schrei. Ein Knall. Motorengeräusche. Ein Wimmern.
Dann verschluckt mich die Dunkelheit.

Ist dies das Ende? Fühlt sich so der Tod an? Schwarze Finsternis und unendliche Leere?
Doch wieso bin ich noch immer hier? Wieso spielen meine Gedanken verrückt? Wurde mein Körper auseinander gerissen und das hier ist alles, was blieb?
"Ich denke, also bin ich." Ein Echo in meinem Kopf. Nein, ich war ganz gewiss nicht tot. Wie könnte ich?

Der Raum ist lichtdurchflutet, als ich wieder zu Bewusstsein komme. Mit weit aufgerissenen Augen starre ich an die Decke. Es fällt mir schwer, mich zu bewegen. Jede Faser meines Körpers schmerzt. Ich höre Schritte, höre leise flüsternde Stimmen. Dann erscheint über mir ein bekanntes Gesicht.
"Sie ist wach!", ruft Jasper und seine Mundwinkel deuten ein leichtes Lächeln an.
Wärme durchströmt mich, als ich ihn sehe und es fühlt sich so an, als würden meine Gliedmaßen langsam auftauen. Jasper hilft mir dabei, mich aufzusetzen und ich lehne mich vorsichtig an ihn, als er sich zu mir aufs Bett setzt.
Ich möchte etwas sagen, doch meine Zunge ist bleischwer und so sitzen wir nur da.
Das Zimmer, in dem wir uns befinden, kommt mir bekannt vor, doch ich kann es nicht zuordnen. Mein Kopf ist leer, als wären die Erinnerungen genommen worden. Panisch suche ich nach der Lösung des Rätsels, das mich wie ein Käfig umgibt, bis es mir wie Schuppen von den Augen fällt: dies ist mein Zimmer im Trainingslager.
Panisch fange ich an zu zittern, mein ganzer Körper bebt. Ich spüre kaum, wie Jasper mich zu beruhigen versucht. Verstehe nicht die Worte, die er mir ins Ohr flüstert.
Alles Schreckliche bricht auf einen Schlag auf mich herein.
Ich war in den Hungerspielen. Ich habe getötet. Ich habe nicht ein einziges Leben genommen - ich habe viele genommen. Ich lebe. 23 Kinder sind gestorben, damit ich leben kann.
Ich wimmere, ich weine. Ich schreie vor Verzweiflung.
Meine beste Freundin ist tot. Mein Partner Wisdom ist tot. Mein Verbündeter - tot. Sie sind alle gestorben. Alle wegen mir gestorben. Warum bin ich nicht tot?

Mir verschwimmt die Sicht, als ich langsam vor und zurück wippe. Es tut so weh, es tut alles so weh.

Es dauert eine ganze Weile, bis ich mich einigermaßen beruhigt habe. Jasper ist noch immer hier, hält mich noch immer in seinen beschützenden Armen. Meine Augen sind leergeweint, meine Kehle schmerzt vom Schreien.
Ich drehe mich zu Jasper und schaue ihn an. Ich weiß, wie schrecklich ich aussehen muss, doch er ist immer noch hier und schaut mich mit seinen wundervollen Augen an. Beinahe verliere ich mich in ihnen. Ich lege die Arme um seinen Hals und er zieht mich an sich. Seine Umarmung hat etwas beruhigendes.
"Wieso lebe ich?", frage ich ihn und unterbreche somit die Stille, die uns umgibt. Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern.
Jasper antwortet nicht gleich. Stattdessen lausche ich seinem gleichmäßigem Atem und versuche mich an ihm zu orientieren. Einatmen, ausatmen. Wieder einatmen, ausatmen.
"Der Vogel hätte mich zerfleischen müssen", stelle ich fest, als ich merke, dass mit keiner Antwort auf meine Frage zu rechnen ist. Ich versuche mein Zittern zu überspielen, aber Jasper merkt es und drückt mich noch fester an sich.
Bedächtig und langsam sagt er: "Die Mutationen gerieten außer Kontrolle, aber sie brauchten einen Sieger. Du, die letzte Überlebende, wurdest zur Seite gerissen und der Vogel flog geradewegs aufs Kraftfeld zu. Wir haben dich da schnell rausgeholt, bevor noch größerer Schaden entstehen konnte."
Das, was er sagt, ergibt Sinn. Aber irgendwie auch nicht. In seiner Stimme schwingt etwas mit, das darauf deuten lässt, dass er mir etwas verschweigt. Etwas sehr Bedeutendes.
"Was noch? Was ist noch passiert?"
Jasper zögert und ich merke, wie meine Gedanken erneut durcheinanderwirbeln. Es fällt mir schwer, einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Die Angst kriecht an mir hinauf und flüstert mir ins Ohr. Ich schüttle den Kopf, versuche sie abzuschütteln. Es rauscht in meinen Ohren und ich höre, dass jemand schreit. Meine Kehle brennt, sie brennt wie Feuer. Ich schlage um mich.
In dem Moment, als mir klar wird, dass es meine eigenen Schreie sind, geht die Tür auf. Jasper hat noch immer nicht geantwortet, aber ich erschrecke so sehr, dass ich verstumme und mich schwach gegen Jasper sinken lasse.
Ich starre die Person an, die nun im Türrahmen lehnt. Ich verspüre eine Mischung aus Abscheu und Sehnsucht; spüre pure Verzweiflung.
"Hallo Madge. Ich bin froh, dich wiederzusehen."
Direkt vor meinen Augen steht Katniss Everdeen.

Die Tribute von Panem - Die Rache der DistrikteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt