Heaven - Teil 19

327 18 0
                                    

Ich merke, dass ich mehr durch das Labyrinth stolpere, als dass ich renne. Immer wieder laufe ich gegen eine Hecke, die sich wie aus dem Nichts vor mir auftürmt. Ich sehe nur noch grün und komme mir vor, als sei ich blind. Am Ende führt dies dazu, dass ich mich an den Wänden entlangtaste und nur schleppend voran komme. Ich achte darauf, dass ich weiterhin in die Richtung des Füllhorns gehe, doch bei den verwirrenden Gängen ist es schwer zu sagen, ob ich nicht doch in die völlig verkehrte Richtung laufe.

Immer wieder schaue ich mich nervös um, doch bisher bin ich keinem einzigen Tribut begegnet. Ab und an stolpere ich über irgendwelche Dinge, die hier verstreut liegen, doch ich ignoriere sie und laufe immer weiter. Das wichtigste ist jetzt erst einmal, dass ich mich bewaffne und so schnell wie möglich wieder vom Füllhorn wegkomme. Ich kann auf dem Rückweg immer noch ein paar Sachen mitnehmen. Als ich das Ende des nächsten Ganges erreicht habe, verharre ich auf der Stelle. Es wird lauter und ich höre die Schreie. Ich habe das Füllhorn erreicht.

Panisch wirbele ich herum. Mein Herz klopft schneller und das Blut schießt mir in den Kopf. Ich bin vollkommen unbewaffnet, wie soll ich mich denn verteidigen, falls ich direkt am Anfang angegriffen werde?

Ich laufe wieder ein Stück zurück und hebe den ersten Gegenstand auf, der sich mir in den Weg legt: Eine Taschenlampe. Ich fange beinahe hysterisch an zu lachen. Nun gut, die könnte ich zumindest als Wurfgeschoss verwenden. Ich umklammere sie mit der rechten Hand, dann atme ich einmal tief durch und gehe zurück. Als ich um die Ecke biege, bietet sich mir ein zugleich beeindruckendes und erschreckendes Schauspiel. Vor mir ragt das Füllhorn in den Himmel, so groß und prächtig, wie es auch auf den Bildschirmen immer dargestellt wurde. Es ist vollgestopft mit allen möglichen Dingen und drumherum liegen noch mehr. Soweit das Auge reicht. Ich lasse meinen Blick umherschweifen und zucke zusammen, als ich meine ersten Gegner erkenne. Ich weiß nicht wie sie heißen oder aus welcher Kapitolstadt sie stammen, aber es interessiert mich auch nicht sonderlich. Am Boden liegen tote Körper verteilt. Menschen, jünger als ich oder in meinem Alter. Tot. Alle.

Ich weiß, dass ich das nächste Opfer sein werde, wenn ich mich nicht schleunigst bewege, doch ich kann meinen Blick nicht losreißen. Was tue ich hier? Ich muss hier weg!

Immer wieder ermahne ich mich selbst, doch ich kann mich einfach nicht bewegen.

Plötzlich huscht ein Schatten an mir vorbei und holt mich zurück in die Wirklichkeit. Mit einem Satz bin ich beim Füllhorn und suche fieberhaft nach einer Waffe, die ich gebrauchen kann. Da! Ein Schwert. Oder nein, noch besser: Ein Degen!

Ich springe über Kisten und Netze und greife mir die glänzende Waffe. Ein Gefühl des Triumphes macht sich in mir breit. Ich drehe mich um, um mir noch ein paar andere Sachen zu schnappen, doch ein Tribut stellt sich mir in den Weg und im nächsten Moment taumele ich rückwärts, bis ich gegen das metallene Horn pralle. Ich kenne sie nicht, aber ihre Faust hat mich fest erwischt und das Blut sammelt sich schon in meinem Mund. Ich atme einmal tief durch, dann springe ich auf und halte den Degen fest umklammert, die Taschenlampe, die ich nicht hergeben möchte, nun in der linken Hand. Ich schleiche langsam auf das Mädchen zu, das wohl nicht mit einem Rückschlag gerechnet hat. Ich spucke ihr den kompletten blutigen Inhalt meines Mundes entgegen und stelle überrascht fest, dass ihre Klamotten schon blutgetränkt sind. Heaven, das sind die Hungerspiele, erinnere ich mich selbst. Was erwartest du anderes? Du bist hier nicht alleine.

Ich beobachte, wie das Mädchen erneut zum Schlag ausholt und strecke meine Waffe nach vorne. Die Klinge zielt direkt auf ihr Herz. Ich atme viel zu schnell und ich merke auch, dass ihr Atem immer schneller wird. Sie sieht mich mit großen Augen an. Einen Moment lang überlege ich, den Degen sinken zu lassen und so schnell wie möglich zu verschwinden. Dann plötzlich umklammert ihre Hand meine Waffe und ich realisiere, dass ich kein Mitleid mit ihr haben darf. Sie ist ein Gegner. Sie würde mich ohne zu zögern töten.

Ich reiße die Waffe nach unten, pariere ihren nächsten Schlag und steche zu. Das Mädchen taumelt nach hinten und ihr Shirt saugt sofort das Blut auf. Ein riesiger roter Fleck bildet sich über ihrem Herzen. Sie schnappt noch einmal nach Luft, dann starren mich ihre Augen glasig an. Sie ist tot. Ich habe jemanden ermordet. Ich starre den toten Körper noch einen Moment lang an, dann reiße ich meinen Blick los. Ich muss weiter, sonst bin ich das nächste Opfer. Ich renne auf den Eingang ins Labyrinth zu, der mir am nächsten ist, doch dann fällt mir auf, dass ich noch immer keinen Proviant habe. Ich blicke mich um. Die anderen Tribute sind alle in Kämpfe verwickelt oder viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Mein Blick fällt auf einen Sack, aus dem ein Apfel nach dem anderen kullert. Ich springe erneut über Kisten und Säcke, stecke die Taschenlampe in meine linke Hosentasche, dann greife ich mir schnell die drei Äpfel, die ich am schnellsten erreichen kann und laufe dann weiter. Im Gehen quetsche ich die Äpfel in meinen leeren Rucksack, den Jasper mir gegeben hat, als ich stolpere und der Länge nach hinfalle. Ich rapple mich schnell wieder auf und ohne lange zu zögern klemme ich mir den Gegenstand, der das Hindernis gebildet hat unter den linken Arm und laufe weiter. Ich habe keine Ahnung, um was es sich hierbei handelt. Womöglich eine Decke oder eine Plane. Außerdem hebe ich noch zwei Rollen Verband auf, auch wenn ich nicht vor habe, mich verwunden zu lassen. Man kann ja nie wissen.

Ich laufe zum ersten Eingang in den Irrgarten, den ich erreichen kann, doch genau in diesem Moment stellt sich mir ein Tribut in den Weg. Ich schaue mich hektisch um. Ich habe jetzt keine Zeit, zum nächsten Zugang zu laufen. Ich muss hier rein, ich muss an dem Tribut vorbei.

Die Tribute von Panem - Die Rache der DistrikteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt