Heaven - Teil 10

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Ich fange nervös zu zappeln an, räuspere mich leise und versuche den Kloß hinunter zu schlucken, der sich in meinem Hals gebildet hat. Dann frage ich unsere Betreuerin, wie lange wir noch fahren werden. Sie schaut mich nur böse an und ich zucke zusammen. Warum ist sie jetzt böse? Gerade eben war sie noch super gut gelaunt und jetzt ist sie sauer auf mich? Ich sollte diejenige sein, die sauer ist! Ich soll umgebracht werden, nicht sie! Man kann mich zwar nicht töten, aber das weiß sie ja nicht! Ich bin jetzt ein Tribut. Heißt das, dass es mir nicht einmal mehr erlaubt ist, eine simple Frage zu stellen? Habe ich nun neben meiner Freiheit auch alle anderen Rechte verloren? So sieht es wahrscheinlich aus. Ich bin eine Gefangene, die wie ein Schwein zum Schlachten aufgezogen wird. Sie werden uns trainieren lassen, wir werden uns alle miteinandernanfreunden, nur damit sie uns dann in eine Arena stecken und gegeneinander aufhetzen. Habe ich überhaupt eine Chance? Ich kann zwar ziemlich gut mit einer Waffe, dem Degen, umgehen, doch wird es mir irgendetwas nützen? Ich bin zu klein, zu schwach. Das weiß ich.

Memory ist tot. Wisdom, der wohl nun mein neuer Freund ist, wird sterben. Mein eigenes Schicksal ist mir für diesen Moment egal.

Ich lasse meinen Blick durch die getönten Scheiben nach draußen schweifen. Alles sieht ganz normal aus. Also das, was für das Kapitol eben normal ist. Gelbe Balkone an grünen Häusern, babyblaue Dächer, lilafarbene Straßenlaternen. Am Ende der Straße erstreckt sich ein hoher Zaun vor uns. Wir fahren direkt auf ein Tor in diesem Zaun zu und Cecilia drückt auf einen Knopf, den ich zuvor gar nicht bemerkt habe. Das Fenster fährt hinunter und als der Wagen zum stehen kommt, hält sie eine quietschgelbe Karte vor einen Systemcomputer. Rote Stacheln tasten das Plastik ab, dann öffnet sich das Tor und wir fahren auf einen riesigen Platz. Einige hundert Meter weiter steht ein relativ großes Gebäude. Das Erneuerungsstudio. Hier haben früher immer die Eröffnungsparaden stattgefunden, doch der Platz ist abgesperrt und menschenleer. Wieso ändern sie plötzlich alles? Warum verlängern sie den Weg für die Parade? Warum fahren wir überhaupt den Weg bis hierhin mit dem Auto? Wir hätten genauso gut zu Fuß gehen können, schließlich ist es nun wirklich nicht so weit gewesen! Durch die früheren Spiele kenne ich diesen Platz - die Kameras haben fast jedes Detail gezeigt. Aber warum wurde das hier alles abgesperrt? Wozu ist der Zaun?

Während wir langsam in Richtung des Erneuerungsstudios fahren, betrachte ich die Umgebung durch Wisdoms Fenster, der zurückweicht, als ich ihn leicht mit meinem Arm streife. Was ist nur auf einmal los mit ihm? Er dreht sich weg und ich zucke die Schultern. Dann eben nicht.

Es kommt mir hier alles so vertraut vor, obwohl ich noch nie hier gewesen bin. Ich schüttle mich, als ich von diesem Gedanken eine Gänsehaut bekomme. Mit zu Schlitzen verengten Augen und bei genauerem Hinsehen glaube ich, sogar die Umrisse der Arena erkennen zu können. Mich beschleicht ein mulmiges Gefühl. Mir kommt hier alles viel zu bekannt vor und dass ich die Arena von hier mit bloßem Auge sehen kann, macht mir Angst. Früher waren sie doch immer viel weiter entfernt. Aber bevor ich weitere bekannte Plätze sehen kann, wird es plötzlich dunkel. Panik steigt in mir auf, bis ich andere Autos sehe. Wir sind in der Tiefgarage unter dem Erneuerungsstudio. Cecilia steigt aus dem Wagen und fordert uns auf, ihr zu folgen. Ich steige aus dem Auto und runzle die Stirn. Hier ist außer uns keine Menschenseele. Wo sind die anderen Tribute? Und wo sind die ganzen Menschen, die die Tribute sonst immer begrüßt und bejubelt haben? Haben sich unsere Leute wirklich schon so verändert, dass auch sie jetzt gegen die Spiele sind? Weil es plötzlich ihre eigenen Kinder sind, die in die Hungerspiele müssen und nicht mehr welche von außerhalb? Ich schüttle den Kopf. Das ist doch verrückt.

"Heaven, kommst du jetzt endlich?", ruft Cecilia und erst da fällt mir auf, dass ich immer noch an Ort und Stelle stehe. Wisdom ist schon weg. Er hätte ruhig warten können. Mit raschen Schritten laufe ich hinüber zu meiner Betreuerin und verdränge das mulmige Gefühl, dass mich einfach nicht los lassen will. Ich werde immer nervöser. Wer sind denn nun die anderen Tribute?



Die Tribute von Panem - Die Rache der DistrikteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt