Heaven - Teil 17

334 18 0
                                    

Zisch! Zisch! Zisch! Ich sehe zu, wie ein Tributmädchen ein Messer nach dem anderen in eine Puppe schleudert. Sie trifft immer perfekt. In den Bauch, ins Herz, durch den Kopf. Nebenan wirft ein anderer Tribut Speere und auch er ist treffsicher. Es erfüllt mich mit Angst und Eifersucht die Talente der anderen zu sehen. Ich persönlich komme mir so vor, als könne ich gar nichts. Meine Pfeile durchbohren bestenfalls einen Arm, mit der Axt schaffe ich es nicht einmal, einer Puppe die Hand abzuschlagen und die Schwerter schlagen mir die Trainer reihenweise aus der Hand. Jemand kommt mit erhobener Waffe auf mich zu. Ich halte die Arme schützend vor meinen Kopf und stoße einen schrillen Schrei aus.


Als ich mit einigen anderen Tributen aus der Tür auf das Dach trete, blendet mich die Sonne und ich spüre einen leichten Windhauch durch meine Haaren pusten. Schützend halte ich die Hände über meine Augen und ziehe diese zu Schlitzen zusammen. Ich schaue mich um. Von hier oben kann man das komplette Kapitol überblicken und die dahinter liegenden Berge, über denen die Sonne gerade aufgeht. Langsam gewöhne ich mich an das Licht und lasse die Hände sinken. Es ist komisch, aber ich bin innerlich so ruhig, wie lange nicht mehr. Noch.

Wisdom erscheint urplötzlich neben mir. „Sieht es nicht wunderschön aus?" Ich nicke. Tatsächlich glitzern die Gebäude fabelhaft in allen Farben und die aufgehende Sonne lässt alles so wunderbar wirken. So wunderbar... Bis die Hovercrafts landen. Wisdom und ich klammern uns aneinander, damit der starke Wind uns nicht umwirft. Als die beiden silbernen Flugzeuge vor unseren Augen stehen, ist die Ruhe dahin. WIR WERDEN GLEICH IN EINE ARENA GEWORFEN, IN DER WIR UNS UMBRINGEN SOLLEN!, schreit es in meinem Kopf. Ich fange am ganzen Leib an zu zittern und greife mit meiner Hand nach Wisdom, fasse aber ins Leere. Er ist schon vorgegangen. Der kurze Moment, in der wir unsere Ängste und Sorgen teilten, ist vorbei. Erst jetzt bemerke ich, dass alle anderen weiter gegangen sind, zu den Hovercrafts.

„Okay. Die Tribute von K1-6 fliegen mit dem ersten Hoverplane und K7-12 mit dem zweiten. Ihr sitzt euch immer weiblich männlich aus dem gleichen Abschnitt gegenüber, also K1 männlich gegenüber K1 weiblich und so weiter. Als erstes kommen also die beiden aus 1 dran." Die Tribute treten vor und alle anderen sehen ihnen dabei zu, wie sie auf die Leitern zu gehen, sie betreten, sich nicht mehr rühren und nach oben gehoben werden. Als sie oben angekommen sind, treten Story und ihr Mittribut vor. Ich will noch nach ihr fassen, aber sie beachtet mich nicht, besteigt die Leiter und wird auch nach oben gefahren. So geht es immer weiter, bis wir dran kommen. Mit wackeligen Knien gehe ich vor und trete mit dem ersten Fuß auf die unterste Sprosse. Sofort ist mein Körper wie gelähmt und ich kann nicht einmal mehr meine Augen schließen. Als wir nach oben gefahren werden, packt mich die Panik und ich wehre mich mit aller Kraft, aber es reicht nicht einmal, um meinen kleinen Finger zu bewegen. Ich bin völlig gelähmt, habe keine Kontrolle über meinen Körper. Endlich kommen wir oben an, aber der Strom ist immer noch nicht aus. Hilflos sehe ich dabei zu, wie eine kleine Frau mit grünen Haaren im weißen Kittel auf mich zukommt. Ich sehe die riesige Spritze in ihrer Hand und merke, wie sich meine Pupillen weiten. Sie sieht meinen Blick und meint: „Das ist dein Aufspürer, ein kleiner Chip. Wir pflanzen ihn dir in das Handgelenk. Mit ihm können wir dich orten und deinen Puls kontrollieren. Halt am besten still, dann kann ich ihn am wirkungsvollsten einsetzen." Wenn ich könnte, würde ich sogar auflachen. Als ob ich mich bewegen könnte. Jetzt wird mir auch bewusst, wie sie immer alles so genau unter Kontrolle hatten. Diese Aufspürer ermöglichen es den Spielmachern, immer alles über die Tribute zu wissen. Wo sie sind, wie schnell ihr Herz schlägt, ob wie Angst haben, schlafen oder gerade sterben. Meine Gedanken werden von dem stechenden Schmerz an meiner Hand unterbrochen und schlagartig lässt mich der Strom los. Ich stöhne auf und reibe mir das Handgelenk. Man spürt diesen Chip kaum, nur eine kleine Delle verrät ihn. Es ist soweit. Jetzt wissen sie immer wo ich bin. Ich kann mich nicht vor ihnen verstecken. Der Schmerz lässt langsam nach und ich werde zu meinem Platz gebracht. Als ich an Story vorbeikomme, lächelt sie mir zu. Wie kann sie denn jetzt noch lächeln? Ich bringe nur ein trauriges Nicken zustande und setze mich in meinen Sessel. Sofort schließen sich Sicherheitsgurte um meinen Bauch. Wollen wohl, dass keinem etwas passiert. Als die Motoren starten, bricht mir der Schweiß aus. Bestimmt dauert der Flug nicht lange, schließlich konnte man die Arena vom Kapitol aus sehen. Es wird nicht einmal mehr eine Stunde dauern bis die Spiele beginnen. Ich schließe meine Augen, versuche das Nerv tötende Geräusch der Maschinen, den Druck der Gurte und das Gewimmer der anderen Tribute auszublenden. Es sind gerade zehn Minuten vergangen, als die Gurte nach hinten schnellen und ich weder richtig atmen kann. „Los! Wir sind da. Aufstehen und zur Tür gehen! Alle nacheinander. Draußen werdet ihr von Wärtern in die Starträume gebracht. Dort zieht ihr euch um und könnt noch etwas essen." Alle stehen auf und fangen an zu murmeln. Auf dem Landeplatz umzingeln mich gleich eine Horde Wächter. Ich versuche Story zu entdecken, damit ich mich von ihr verabschieden kann, sie noch einmal drücken kann, ihr sagen kann, wie sehr ich sie vermissen werde, dass sie meine beste Freundin ist. Aber dazu komme ich nicht. Ich werde nach vorne gedrängt und am liebsten würde ich zusammen brechen. Tränen steigen mir in die Augen. Vielleicht werde ich Story nie wieder sehen. Ganz wahrscheinlich sogar. Sie wird wegen mir sterben müssen.

Die Tribute von Panem - Die Rache der DistrikteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt