Story [10]

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Seo Changbin hasste die Ungewissheit, wie Flammen den Regen. Und vor allem hasste er es, wenn jemand aus seinem Team, Geheimnisse vor ihm hatte. Sie mussten einander ihr Leben anvertrauen. In Situationen, die ihren Tod fordern konnten. Sie bildeten eine Einheit, eine eigentlich gut geölte Maschine. Doch seitdem Felix bei ihnen war, fühlte Changbin sich, als würde er die Kontrolle über sein Team, seine Familie, verlieren. Als würde ein Eindringling zwischen ihren Reihen sitzen und ihre Synergie zerstören. Der Detective schüttelte den Kopf und versuchte seinen Gedanken eine Pause zu gönnen. Jetzt hieß es Konzentration. Gemeinsam hatten sie sich im Konferenzraum zusammengefunden, der ihre Basis säumte. Der Fae nahm am Ende der großen Tafel Platz und deutete Felix an, dass zu erzählen, was er ihnen schon die ganze Zeit verschwieg. Und zwar die Tatsache, warum er hier war, warum sein Chef ihm einen Neuen aufbürdete, obgleich dies nicht notwendig war. Changbin bemerkte, dass der Blonde die Schultern nach hinten zog, eine Angewohnheit, die ihm schon mehrfach aufgefallen war. Scheinbar spendete es dem Jüngeren Kraft.
Nachdem auch Minho Platz nahm, räusperte sich ihr gegenüber und holte ein kleines Notizbuch aus seiner hinteren Hosentasche. Der Schwarzhaarige wollte schon fragen, was dies bedeuten sollte, da fing Felix an, etwas zu rezitieren:
"Come little Children
I'll take thee away,
Into a land of Enchantment
Come little Children
The Time's come to play
Here in my garden of Shadows

Follow sweet Children,
I'll show you the Way
Through all the Pain and the Sorrow
Weep not poor Children
For life is this way,
Murdering Beauty and Passions."

Der Detective verstand kein Wort, doch ein Blick zu Chan reichte aus, um ihm zu erklären, dass der Ältere die vorgetragenen Worte begriff. Natürlich wusste der Fae, dass es die englische Sprache war, für den Dämon ein Kinderspiel, da seine Heimat die gigantischen Weiten des australischen Kontinents waren. Der Blonde blätterte weiter in seinem Buch und begann einen weiteren Vers in einer anderen Sprache zu sprechen. Wenn er sich recht entsinnte, müsste es Französisch sein.
Und so ging es weiter und weiter. Nach dem fünften Beispiel stoppte der Australier und blickten ihnen in die Augen und das, was Changbin darin sah, erschreckte ihn. Es war Hass, purer abgrundtiefer Hass, dessen Ausmaß sich in den Augen von Felix manifestiert hatte.
"Das sind Kinderlieder", sagte Chan in die Runde, wohingegen der Blonde nickte. Ehe sich noch jemand äußern konnte, sprach der Jüngere mit einer Stimme, die nicht ihm selbst gehören konnte. So dunkel, so rau und so tief. Nicht von dieser Welt, säuselte seine innere Stimme. Uralt und mächtig.
"Vor sieben Monaten wurde ich zu einem Tatort gerufen. Dass, was ich sah, hatte nichts gemein mit jedweden Monstern, die ich bis dato gejagt habe. Es war ein Miasma an Zerstörung und Wut, die man mit einem Ausdruck, mit Worten, nicht einmal annähernd beschreiben konnte."
Kleine Ameisen krochen seinem Rücken hinunter. Die Temperatur im Raum sank und so unheilvoll es auch klang, dass vor ihm, konnte nicht Lee Felix sein. Es war, als hätte jemand anderes besitzt von dem Australier genommen.
"In Australien nannten wir ihn den Schlächter, denn genau das hat er getan. Er entführte junge Frauen, die gerade ein Kind zur Welt gebracht hatten, vorzugsweise Alleinerziehende. Er lässt sich Zeit beim Foltern, beendet die Leben dieser Blüten, in dem er sie vergewaltigt, zerstückelt, einfach alles von diesem Planeten tilgt. Er hinterlässt keine Spuren. Nur rasende Apokalypse."
Der Detective dachte an die Leiche der Menschenfrau zurück, an das, was von ihr übrig blieb. Und er dachte an die Autopsie und an das Kind.
"Was, was geschieht mit den Säuglingen?", hauchte Jeongin. In seinem Stuhl wirkte er unendlich klein. Die Farbe, welche er gewonnen hatte, nachdem er den Autopsiesaal verließ, wich ihm erneut aus den Gliedern. Hyunjin hinter ihm drückte seine Schulter. Changbin wandte den Blick wieder zu Felix, dessen Augen eine Distanz aufwiesen, die er noch nie erlebt hatte. Der Blonde wirkte so, als würde er sich in die hintersten Abgründe seines Seins zurückziehen, um nicht mit dem konfrontiert zu werden, was er seit Monaten wusste. Der Neue öffnete den Mund, schloss ihn wieder und setzte erneut zum Sprechen an, doch kein Wort verließ ihn. Der Fae konnte es sich denken.
"An jedem Tatort fand man ein Kinderlied. Es sind stets andere und oftmals unterschiedliche Sprachen. Doch das ist eins seiner Markenzeichen."
Ihr Gegenüber atmete mehrmals ein und aus, um seiner Stimme etwas Kraft zu spenden.
"Und deswegen bin ich hier. Vor einem Monat hat Herr Kim mich angefordert, da er zufällig auf einen Mord ähnlich wie die meinen hier im District Nine gestoßen ist und jetzt wurde ein weiteres Opfer gefunden."
Die folgende Stille ließ Changbin Platz zum Nachdenken. Das Gesagte des Neulings warf einige Fragen auf.
"Wie lange mordet der Schlächter schon?", fragte Jisung und beugte sich näher zum Tisch heran. Seine rote Iride zuckte im Schein der Neonlampen wie ein Rubin.
Er wirkte interessiert.
Für Changbins Geschmack zu sehr.
Felix schien auf den ersten Blick irritiert über diese Frage. Seine Augen wanderten zur Decke, bevor er sich dem Vampir widmete. Jetzt wirkte er wieder wie der, dem er am Tatort begegnet war.
Als hätte er Körper getauscht, schnurrte sein Innerstes.
Changbin wusste, dass der Neuankömmling ihm noch immer etwas vorenthielt. Etwas, was ihn innerlich gebrochen hatte, etwas, dass mehr Zeit brauchte, um an das Tageslicht zu treten.
Und der Fae wollte es wissen.
"Der erste Mord wurde vor sieben Monaten entdeckt", wiederholte der Blonde, worüber Jisung sogleich den Kopf schüttelte.
"So wie du den Mörder beschreibst, wirkt er auf mich wie jemand, der sehr organisiert ist. Er muss schon Jahre vorher begonnen haben, solch eine Präzision legt man nicht durch sieben Morde an den Tag."
Der Blonde lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Sexualmörder sind in zwei Gruppen einzuteilen. Da gibt es den organisierten Täter, der meist hochbegabt ist. Er ist sozial integriert, geht arbeiten und führt in der Öffentlichkeit ein scheinbar normales Leben. Er sucht sich seine Opfer und Tatorte genau aus und entfernt seine Spuren gründlich. Er optimiert - in seiner Meinung - von Tat zu Tat seine Vorgehensweise. Ihm gefällt es, dominant über das Opfer zu sein und ergötzt sich an ihren Schmerzen. Er nimmt sich Gegenstände als Souvenir von den Opfern mit. Außerdem ist es ihm wichtig, in den Medien von seinen Taten zu hören. Diese Sexualmörder schicken meist auch Bekennerbriefe an die Polizei. Unser Täter schreibt zwar keine Briefe, aber er hinterlässt unheimliche Kinderlieder. Der desorganisierte Täter spielt in diesem Fall keine Rolle, denn wir können mit Sicherheit sagen, dass er das nicht ist."
Felix nahm ebenfalls Platz.
Es war Jeongins Stimme, die Changbin dazu brachte, sich von dem Neuen abzuwenden.
"Du sagst also, dass nicht jeder Serienmörder in der Kindheit missbraucht und nicht jeder aus rein sexuellen Motiven tötet? Es heißt doch oft, dass das soziale Umfeld in Form von Demütigungen, Drohungen, Gewalt und Ähnlichem viel dazu beiträgt, sodass jemand später zum Serienmörder wird, oder nicht?"
Jisung nickte, bevor er jedoch Antworten konnte, funkte ihm Hyunjin dazwischen. Mit einem entschuldigenden Blick wandte er sich an den Vampiren.
"Vielleicht haben wir es ja mit einem ganz neuen Typus zu tun. Vielleicht handelt es sich um einen Mörder, der am 'Reißbrett' erschaffen wurde."
Der Blick des Faes wurde nachdenklich, als er über die Aussage der Sirene philosophierte. Natürlich war diese Hypothese äußerst erschreckend, denn wenn tatsächlich jemand Monster erschuf, um für sich töten zu lassen, würde das ihren ganzen District über den Haufen werfen. Früher war er immer davon ausgegangen, die Große Mutter habe alles Leben erschaffen. Ihn und seine Familie. Damals wusste er nicht, dass die Vereinigung von Sonnen- und Mondlicht zu der Veränderung ihrer Körper geführt hatte. Mittlerweile huldigten sie zwar Göttern wie der großen Mutter, welche Balance zwischen den Schattenwesen und Lichtwesen brachte. Doch es gab auch düstere Seiten. Manch eine verlorene Seele glaubte an den Gott der Unterwelt Ukufa und verpflichtete sich ihm. Derer, die sich diesem Grauen widmen, verändern sich, werden zu Wesen der Dunkelheit, die er und sein Team jagten. Diese Gruppe gehörte zu einen von vielen und er war froh, bisher keinem dieser Wesen seit langer Zeit begegnet zu sein. Denn sie waren lästig, ungemein stark und widerwärtig in ihren Tricks und ihrer Magie. Changbin dachte an jenen Moment zurück, wo er beinahe ein Stück seiner Schulter verloren hatte. Noch immer spürte er die Zähne des Monsters an dieser Stelle.
Der Fae kehrte ins Hier und Jetzt zurück, als es an der Tür klopfte.
Kim Namjoons Kopf schlüpfte durch einen Spalt.
"Ah, gut, Sie alle hier anzutreffen. Es gibt ein Problem."

Children Songs {ChangLix}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt