Almost [28]

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Jisung fixierte die Teetasse, als könne er ihr Schmerzen zu fügen. Leider funktionierte dies aber nur bei Lebewesen.
"Schätzchen! Sitz gerade und sieh nicht mit diesem Mörderblick auf das Blut in der Tasse, dadurch wird das Tier auch nicht wieder lebendig."
Der Blonde verdrehte die Augen, wobei er versuchte ein Seufzen zu unterdrücken. Wie gerne würde er jetzt von dieser Gesellschaft verschwinden. Allerdings würde das seine hochgeschätzte Mutter nicht zulassen. Eher würde sie ihn an den Stuhl ketten, damit er diese trockenen, öden Sitzungen über sich ergehen ließ.
Stattdessen schweiften seine Gedanken ab.
Und wie so oft in den letzten zwei Monaten landeten sie bei Lee Minho, der Wolf, der ihm das Leben gerettet hatte.
Und wohlgemerkt eine gewisse Hochachtung seiner Mutter errungen hatte. Was nicht hieß, dass sie ihn mochte, jedoch schien seine Akzeptanz in nähere Umgebung gerückt zu sein.
Der Größere und er hatten eine Art Waffenstillstand zwischen sich ausgehandelt und Jisung musste ehrlicherweise zugeben, dass Lee Minho eine äußerst schmackhafte Partie war. Natürlich nicht im wortwörtlichen Sinne, aber seine Gedanken, seine Ausdrucksweisen und sein Auftreten bildeten eine Person, die Jisung gern in seiner Nähe hatte. Sie konnten über medizinisches Fachwissen sprechen, aber auch über psychologische Aspekte, welche ihm selbst sehr wichtig waren. Sie trafen sich oft in einer Bar inmitten des Sirenen und Meerjungfrauen Gebietes, wo Anonymität großgeschrieben wurde, zumindest für jene, die dort nicht beheimatet waren, wie neunzig Prozent der Fälle. Jisung sah sehnsüchtig nach draußen und erhoffte sich einen Whisky, der natürlich nicht plötzlich in seiner Hand auftauchen würde. Dafür hatte seine Mutter mit einem Schutzbann um diesen Raum gesorgt, weshalb keine Magie nach drinnen oder draußen drang. Sie verhinderte, dass Jisung irgendwen zu Tode folterte oder das er getroffen wurde. Er seufzte leise. Wie gern er jetzt in der Bar mit Minho wäre, einen Whisky in der Hand und ein Gespräch über neuronale Verbindungen im Gehirn haltend.
Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Jisung konnte sich an vieles nicht erinnern. Nach seiner Entführung, Folterung und Rettung übertünchte der Nebel des Vergessens seine Erinnerungen. Es war wie ein Blinder Fleck in seinem Kopf. Alles verschwommen, nichts kam durch. Doch das, was er gemerkt hatte, war, dass Minho ihn bei sich zuhause absetzte und mit unheilvoller Stimme verkündete:
Die Entführung und Folterung des Prinzen wurde mit sieben Toden der Wölfen gesühnt.
Bis heute lief ein Schauer über den Rücken des Vampires, wenn er daran dachte. Danach musste Jisung erstmal genesen, was wesentlich schneller ging als bei Felix. Innerhalb einer Woche war er wieder fit, konnte zur Arbeit gehen und sich bester Gesundheit fühlen. Wäre da nicht ein gewisser braunhaariger Gerichtsmediziner, der ihm den Kopf verdreht hatte.
Eigentlich war Jisung schon immer der festen Überzeugung sich nicht verlieben zu können. Schließlich war er ein Vampir und untot noch dazu. Nichtsdestotrotz entwickelten sich Gefühle bei ihm und das machte ihm Angst.
Han Jisung hatte normalerweise vor nichts Angst.
Den Tod hatte er irgendwie überwunden, er trank Blut von Tieren und konnte einen Kugelhagel überleben. Aber die Liebe und all ihre Emotionen, welche damit einhergingen, raubten ihm den letzten Nerv.
"Die Sitzung ist für heute beendet", hörte der Blonde mit halben Ohr.
Mit einem Satz war er auf den Beinen und ließ die Zusammenkunft der Vampire zurück. Und dann rannte er und rannte und rannte, bis seine Füße ihn aus dem Schloss, dem Anwesen und der Stadt getrieben hatten, bis das karge Ödland begann und er mir einem Mal Bekanntschaft mit einem felligen, weichen Körper machte, der ihn und seinen Gegenüber zu Fall brachten. Jisung wusste auf Anhieb, um wen es sich handelte. Er sprang auf und vergrub sich in dem flauschigen Fell des Wolfes, dessen Farbe wie die dunkelste Nacht schimmerte.
Gemeinsam traten sie den Weg zu ihrem Stammlokal an, welches sie die letzten Wochen beinahe als zweite Heimat betiteln konnten.

Minho starrte ihn an und Jisung wusste, dass er wissen wollte, was sich unter seiner Augenklappe verbarg. Sie hatten nie darüber gesprochen. Um es besser zusammenzufassen, hatte der Blonde noch niemanden gezeigt, was mit seinem linken Auge passierte. Es war eine dunkle Erinnerung, die er tief in sich vergraben hatte. Dicke Mauern aus Obsidian verbargen jedweden Einblick in diesen Abgrund. Denn daran war er zerbrochen. Und er schwor sich, nie wieder ein Wort darüber zu verlieren. Selbst unter Folter. Aber bei Minho war es etwas anderes.
Die Hand des Wolfes strich über die Seine und für einen Moment sehnte sich Jisung nach Liebe. Auch wenn er untot war und eigentlich keine Liebe verspüren sollte, war die große Mutter gnädig mit seiner Gattung. Sie tranken zwar Blut und konnten im Rausch hunderte Menschen töten, aber der Liebe wurde ihnen glücklicherweise nicht entsagt. Ein zittriger Seufzer löste sich aus seinem Mund und er starrte hinauf zur Decke. Der Whisky in seiner Hand rüttelte ihn mit der Kälte der Eiswürfel aus seinen Erinnerungen. Die Galle bahnte sich einen Weg in seine Speiseröhre, welche er sofort mit einem Schluck der rauchigen Flüssigkeit bekämpfte.
Vielleicht hätte ich vorher etwas essen sollen.
Er schüttelte den Kopf und betrachtete Minho, der ihn nicht aus den Augen ließ, wie ein Wachhund der seinen Herren beschützte. Der Vampir merkte wie der Alkohol seine Zunge löste und er das Verlangen besaß sich dem Wolf mitzuteilen. Jisung sah sich um. Es war kaum eine Seele an diesem späten, sommerlichen Abend in der Bar, was merkwürdig war, denn normalerweise gab es kaum einen Platz für die beiden.
Er nahm nochmal einen großen Schluck seines Getränkes und setzte sich auf. Die Nische in der sie kauerten, bot genügend Platz, um seine Augenklappe zu lösen, ohne das irgendjemand etwas mitbekommen konnte. Tausende Gedanken strömten über den Blonden hinein. Würde Minho schreiend wegrennen? Würde er sich abwenden, sich ekeln, nie wieder mit ihm reden? Das Gefühl der Angst begann sich durch seinen Körper zu fressen.
Millimeter für Millimeter nagte sie an seinen Gedanken, seinem Körper.
Die Augenklappe fiel mit einem stumpfen 'Plopp' auf den Tisch zwischen ihnen.
Und gab das frei, was Jisung seit Jahrhunderten versteckte.
Für das er sich seit Jahrhunderten schämte.
Das typische Surren tönte lauter als sonst durch seinen Kopf, als er Minho beobachtete. Seine Reaktion überwachte.
Würde er verschwinden?
Doch ehe sich der Blonde versah, führte Minho seine große, grazile Hand zu seinem linken Auge.
Zu seiner goldenen Prothese.
Sie war genau da, wo sein echtes Auge hätte sein sollen, nur das es mit filigranen Metallstücken, welche sich wie Narben über den Wimpernkranz und das Augenlid fächerten, festgehalten wurde.
Das Klicken, wenn er das Metallauge bewegte, hallte zwischen ihnen.
"Du bist atemberaubend."
Minho starrte ihn fasziniert an, weder angeekelt noch verschreckt.
"Wie ist das passiert?"
Der Vampir schluckte, während die Vergangenheit über ihn zusammenbrach wie ein überraschender Regenguss, der zu einem Hagelsturm anschwoll.
Jisung sah auf die braune Flüssigkeit vor sich und trank den letzten Rest mit einem Ruck aus. Dann drehte er das Glas in seiner Hand hin und her.
"Mein Vater-", er schluckte abermals und fühlte wie die Trockenheit seine Kehle befiel.
"Als ich geboren wurde, und die große Mutter mich zum Nachfolger des Vampirclans auserwählte, war mein Vater fuchsteufelswild. Er wollte immer das mein älterer Bruder dieses Amt übernimmt."
Er seufzte und verkreuzte die Arme, ehe er sie keine zwei Sekunden wieder ablegte und in einander verschränkte.
"Eines nachts, zumindest ist das die Geschichte meiner Mutter, stand mein Vater bei mir am Kinderbett und wollte mich umbringen."
Auch wenn er ein Baby gewesen war, konnte er sich noch immer an dieses gierige Grinsen erinnern. Diese falschen Augen und den Hass, der durch seinen ganzen Körper triefte.
"Mum hat mich gerettet. Sie kam in der letzten Sekunde, bevor mein Vater mich umgebracht hätte. Am Ende war er nur noch Asche. Mein Auge konnte man damals nicht retten. Das ist das einzige Andenken an den Vampirkönig, dessen Blut durch meine Adern fließt."
Minho hörte ihm aufmerksam zu, schenkte ihm Beachtung.
Er würde nicht gehen, säuselte eine Stimme in seinem Inneren. Doch Jisung ertrug den Blick des Braunhaarigen nicht.
Es brannte wie tausend Sonnen.
Er war entblößt, nackt.
"Ich wünschte, du würdest mich nicht so ansehen", murmelte Jisung irgendwann in die Stille hinein..
"Wie?", fragte Minho und starrte ihm in sein wunderschönes, rotes Auge, das wie ein Rubin glitzerte, als hätte es ein Eigenleben, wobei das goldene, mechanische Auge surrte wie eine Katze, wenn er hin und her sah.
Es war wunderschön.
Jisung war wunderschön.
"Ich weiß nicht", zögerte er.
"Als könntest du mich lieben..."
Minho starrte ihn eine ganze Weile stumm an, bevor er seine kalte Hand griff und sanfte Kreise darüber malte.
"In dieser Blase, die wir für uns geschaffen haben, kannst du alles sagen und ich werde dich nicht im Stich lassen. Erzähl mir all die schrecklichen Dinge, Gedanken, Erinnerungen, die dich plagen. Sieh mir zu, wie ich ihnen standhalte, wie ich nicht einmal zusammenzuckte, weil ich weiß, wie es ist, ein Außenseiter zu sein, weil ich weiß, wie du dich fühlst. Und, weil ich dich liebe."

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Guten Abend meine lieben Leserinnen und Leser! Ich habe mehrere erfreuliche Nachrichten! Zum einen bin ich seit Freitag negativ. Ihr glaubt gar nicht, was das alles für ein Scheiß war. Ich bin Montag zum freitesten gegangen, und war immer noch positiv, nach sechs Tagen! Dann bin ich am Mittwoch nochmal zum testen gegangen und war immernoch positiv. Am selben Tag habe ich einen PCR Test gemacht, weil meine Chefin drauf bestanden hat, da man auch trotz positiven Schnelltest nicht mehr ansteckend sein kann, aber dafür muss der CT-Wert im PCR-Test über 33 sein, das war bei mir nicht der Fall, also musste ich noch bis Freitag in der Isolation bleiben.
Freiheit ist sooo schön, rausgehen, Sachen machen, auch wenn es nur Bahn fahren ist oder Einkaufen. Die einfachen Dinge sind schon wirklich klasse.
Glaubt mir.

Die nächste erfreuliche Nachricht ist: Mir fehlt nur noch ein Kapitel, dann ist die Story vorgeschrieben und quasi beendet!
Was zur Folge hat, dass ich jetzt wieder alle zwei Tage posten werden! Ich freue mich sehr darüber Euch jetzt wieder mehr präsentieren zu können!

Und nun zu den ganz wichtigen Themen!
Was haltet Ihr von dem Kapitel? Ich finde es so süß, wie sich Minho und Jisung nahe gekommen sind!

Feel free to comment!

Erin 🌸

Children Songs {ChangLix}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt