Soft [21]

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Das Jaulen, welches er von sich gab, verschwand in den Weiten des nächtlichen
Waldes. Er hatte sich gegen Changbins Rat alleine auf den Weg gemacht, um den Vampiren zu finden. Seine Pfoten bohrten sich tief in den feuchten Boden des Unterholzes, während er die Fährte von Jisung aufnahm. Der schwache Duft von Lavendel und Zimt flog durch die Luft. Minho konnte sich noch gut daran erinnern, als der Jüngere freudestrahlend von seinem neuen After Shave berichtete. Damals hatte der Wolf sich nur angewidert abgewandt. Doch heute war er wirklich froh, dass dieser dumme, naive Junge stets zu diesem Duft griff. Es war wie ein Leitfaden, der das Tier in ihm durch den Wald lotste. Bisher hatte er noch keinen Gedanken daran verschwendet, wie er Seinesgleichen gegenübertreten sollte.
Er mied seit Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten, den Kontakt mit diesen Wesen. Nicht weil er es verabscheute ein Wolf zu sein, nein, auf sein Dasein war er stolz. Aber nicht auf Lebensweise seiner Rasse. Sie waren in vielerlei Hinsicht durch und durch Tiere. Manchmal überkam Minho das Gefühl durch ihre Riten und Stammeslegenden seien Sie eine der rückschrittlichsten Gattungen im District Nine. Natürlich gab es Ausnahme, jene, die ebenfalls geflohen waren. Doch die Mehrheit bekannte sich zu ihrem Stamm, zu deren Wahnvorstellungen durch ihre Vielzahl irgendwann an die Macht zu kommen. Nicht jeder der Werwölfe war mit Magie gesegnet, deswegen wurden diejenigen, die von der Großen Mutter auserwählt wurden, geheiligt, gepriesen, als Gott verehrt. Und Minho gehörte dazu.
Als seine Familie merkte, er habe magische Fähigkeiten, wurde er sofort zu den Ältesten gebracht. Dort hatte man ihm weismachen wollen, er war geboren wurden, um ihren General zu spielen, ihre Marionette zu sein, damit sie in den Krieg ziehen konnten und gewinnen würden. Aber Minho wollte nicht.
Also entschied er sich zu gehen. Bisher hatte ihm niemand verziehen, nicht einmal seine Eltern. Und das sollte schon etwas heißen.
Er wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen, als ein schwarzer Wolf auf ihn zugerast kam. Ohne aus seinem Tempo zu fallen, sprintete Minho seinem Gegenüber entgegen. Er sprang, kurz bevor ihre Körper aufeinander krachten, mit einem Satz in die Luft und verkeilte seine Zähne in dem Fell des Gegners. Das Jaulen kreischte durch den Wald, während Minho ihn zur Seite schleuderte. Keinen Moment zu früh tauschte er seinen Wolfskörper gegen seinen Menschlichen. Zwar war er nun deutlich angreifbarer, aber er hatte noch ein Ass im Ärmel.
Magie.
Minho griff in die Luft, atmete tief ein und horchte in sein Innerstes. Als er dies das erste Mal getan hatte, fühlte es sich an, wie nach Hause kommen, denn sein echtes Zuhause, hier in den Wälder, im Gebiet der Wölfe, fühlte sich seit seiner Geburt nicht heimelig an. Stets musste er irgendwelche Verpflichtungen erfüllen. Und seine Magie, das, was ihn ihm leuchtete und funkelte, war, neben seiner Wolfsform, seine psychische Heimat.
Vielleicht würde er nie eine richtige Heimat besitzen, einen Ort, wo nach Hause kommen real war.
Und dann erfasste Minho das, was in der Zwischenwelt auf ihn wartete.
Schwerter, Sensen, Äxte und Hämmer. Überdimensionale Waffen, welche nur er beschwören und führen konnte.
Er liebte es.
Ein schelmisches Grinsen schlich sich in sein Gesicht. Es war teuflisch und beängstigend, denn das strahlte er aus. Angst und Verderben. Wenn er sich recht entsann, wäre er ein großartiger General geworden.
Seine Begrüßung rappelte sich wieder auf und stürmte in seine Richtung. Doch Minho war die Ruhe in Person. Er änderte seine Fußposition, riss die Sense, die er seit einigen Sekunden in der Hand hielt, aus dieser Zwischenwelt und wartete gespannt auf die einsetzende Erkenntnis seines Gegenübers. Dieser versuchte abzubremsen, dafür war es jedoch zu spät. Minho hob zum Hieb an und schlug dem Wolf, der geradewegs auf ihn zu gerannt kam, den Kopf ab. Das Adrenalin pumpte durch seinen Körper, als die arteriellen Spritzer sich auf seinem Körper verteilten.
Er blickte nur eine Sekunde auf den noch zuckenden Körper, ehe er sich abwandte und weiterging.
Er hatte sein Ziel fast erreicht.
Und er sollte sich nicht irren. Hinter einer großen Lichtung kam eine alte Hütte zum Vorschein, die weder wettertauglich noch irgendwie fest im Boden verankert zu sein schien. Minho zuckte die Achseln. Mittlerweile müssten die Wölfe wissen, dass er da war, schließlich war sein Geruch unverkennbar.
Ein Außenseiter.
Der Braunhaarige musste die Tür gar nicht öffnen, sondern wurde gleich erhaben begrüßt. Er zog die Sense zu sich heran, bevor die Wölfe auf ihn zu stürmen konnten und ließ sie kurzerhand auf den Boden sausen. Eine minimale Druckwelle erschütterte die Hütte, stieß seine Gegner zurück und machte ihm Platz.
Er trat ein. Blutbesudelt. Grinsend.
Bis seine Gesichtszüge entglitten, als er Jisung sah.
Gefesselt an einen Pfahl, blutüberströmt. Holznägel ragten aus seinen Armen und Beinen hervor. Minho ließ die Sense sinken und betrachtete die sieben Werwölfe im Raum. Sein linkes Auge begann zu zucken und die Wut, welche sich bei dem Anblick des Jüngeren in ihm ausbreitete, suchte nach einer Gelegenheit sich zu entladen. Der Griff um seine Sense wurde stärker, der Holzgriff schien seiner Stärke nicht gewachsen zu sein, denn er splitterte. Vielleicht merkten seine Opfer, dass sie es zu weit getrieben hatte, vielleicht rochen sie, dass der Tod nun auf sie wartete. Jedenfalls ließ Minho keine Sekunde mehr verstreichen. Er schmiss die Sense, sodass sie einem Wolf in Menschenform in zwei Teile halbierte. Dann griff er in die Luft, in die Zwischenwelt hinein, um einen Morgenstern und ein Langschwert hinauszubefördern. Während er all seine Wut und seinen Hass in die Schläge seiner Gegner investierte, achtete ein klitzekleiner Teil seines Seins darauf, Jisung nicht zu verletzen. Auch wenn er voller Rage und Zorn war, konnte er nicht riskieren ein weiteres Teammitglied zu verlieren.
Nein, das würde er nicht zulassen.
Nicht noch einmal.
Und vielleicht versuchte sich sein Innerstes auch auf die Wahrheit vorzubereiten, die schon seit einiger Zeit in ihm rumorte.
Doch jetzt schlug er nur Köpfe ab und riss Gedärme auseinander, um einem Vampir das Leben zu retten.
Und es gefiel ihm.
"Also mit dir hätte ich am wenigsten gerechnet, Hündchen", gurgelte der Vampir, nachdem der Wolf alles und jeden in die Hölle befördert hatte, und begann Blut zu spucken. Minho löste den Blonden sanft von seinem Pfahl und fing ihn ab.
"Deine ehemaligen Nachbarn und Freunde scheinen mir nicht sonderlich gut gestimmt zu sein", versuchte der Jüngere seine Schmerzen zu überspielen. Minho grummelte genervt, doch anstatt irgendetwas zu sagen, nahm er Jisung auf seine Arme und führte sie, über Leichen und Blut und Gedärme hinweg, nach draußen in die Morgendämmerung. Das farbenfrohe Spiel des Himmels passte überhaupt nicht in ihre Szenerie, wo die Dunkelheit des Waldes hinter ihnen her kroch und Minho in Blut getränkt hindurch spazierte, wobei aus Jisungs Wunden noch immer welches austrat. Er setzte den Kleineren ab und checkte ihn einmal von oben bis unten durch, um dann einen Entschluss zu fassen.
Binnen einer Sekunde begannen seine Knochen zu knacken, seiner Haut wich Fell und aus seinen zwei Beinen wurden vier Pfoten. Mit seiner feuchten Schnauze stupste er den Vampiren an, welcher ihm zärtlich, beinahe liebevoll über seine Ohren strich. Für einen Moment ließ ihn der Ältere gewähren und genoss diese Aufmerksamkeit.
Dann stieg Jisung mühselig auf seinen Rücken, und sankt mit dem Kopf zwischen seine Schulterblätter.
Mit einem kräftigen Sprung setzte sich Minho in Bewegung und sie ließen das Grauen und das Unheil zurück. Irgendwann, nachdem sie das Waldgebiet fast verlassen hatten, hörte er die Stimme des Vampires.
"Weißt du, was ich selbst, nach all diesen Jahren, verstanden habe? Jeder sagt, wir werden leiden. So ist das Leben, sagen Sie. Aber Sie erklären dir nicht, dass du auch diese wunderschönen Freuden erleben wirst. Du wirst die Geburten und die Tode von den größten aller Lieben erleben. Und die Sonne, wie sie dein Blut nach einem kalten Winter erwärmt. Und den Regen, der gegen das Fenster prasselt, um dich in den erholsamsten Schlaf zu wiegen. Es wird Momente geben, wo deine Seele glüht, als würde ein Stern darin geboren und selbst das Universum wird sich in deinem Glück sonnen."
Das klägliche Röcheln eines Hustens riss den Vampiren aus seinem Redeschwall, während Minho seine Schnauze in die Luft streckte, um zu riechen, ob der Jüngere okay war.
"Ja, du wirst leiden, aber du wirst glücklicher sein, als jemals in deinen kühnsten Träumen. Und du merkst, dass es dieses Leiden wert ist. Denn genau das sagt dir niemand. Diese Balance macht uns aus, macht uns zu dem, wer wir sind.
Und zwar zu wundervollen, sanften Wesen."
Für einen klitzekleinen Augenblick erwärmte sich Minhos Brustgegend wie ein Leuchtfeuer. Vielleicht, aber nur vielleicht verstand der Vampir ihn tatsächlich. Vielleicht merkte er, dass der Wolf selbst eine verlorene, umhertigernde Seele war, die ein Zuhause suchte, einen Platz in dieser Welt.
Zu wundervollen, sanften Wesen.
Gehörte er dazu? Konnte er ein sanftes Wesen sein, obwohl er fast über eindutzend seiner eigenen Rassen abgeschlachtet hatte? Für einen Vampiren?
Das Streitgespräch in seinem Kopf zwischen dem Moral-Ich und dem Trieb-gesteuerten-Ich ließen ihn unwohl fühlen, wobei er versuchte sich diese Gedanken für später aufzuheben. Erstmal musste er den Verletzten zu einem Arzt bringen. Das Beschleunigen seiner Geschwindigkeit führte dazu, dass sich minimale Krater in den Boden furchten, dort wo seine Pfoten landeten. Das gleichmäßige Atmen auf seinem Rücken verriet ihm, dass Jisung eingeschlafen war.
Und zum ersten Mal seit langer Zeit lächelte Lee Minho ehrlich.
Zu wundervollen, sanften Wesen.

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Guten Abend meine lieben Leser und Leserinnen!

Also, ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber ich liebe dieses Kapitel.
Es hat ein sympathisches Gleichgewicht zwischen brutaler Gewalt und kitschiger Zärtlichkeit, dass ich mir nicht sicher bin, wie man es anders beschreiben könnte. Ideen?

Was haltet Ihr von diesem Kapitel?

Feel free to comment!

Erin🌸

Children Songs {ChangLix}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt