Car [12]

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Die Stille im Auto trübte Changbins Gehirn klare Gedanken zu fassen. Elektrisierende, unsichtbare Kraft pulsierte durch die Luft, wobei der Fae nicht wusste, wie er diese ganze Situation händeln sollte. Es war offensichtlich, dass er den Neuen nicht mochte und, dass er jetzt mit ihm allein in einem Auto saß, war umso anstrengender, denn er war sich nicht im Klaren, wie und ob er überhaupt mit ihm reden sollte.
Ob er es konnte, ohne ihn zu molestieren.
Ein schweres Seufzen glitt über seine Lippen. Er bemerkte natürlich, dass der Blonde zu ihm hinüber starrte, doch er konzentrierte sich lieber auf das schleppend, langsame Vorankommen auf der Straße vor ihm. Sie waren auf dem Weg zu der Wohnung des Opfers, welches wohlmöglich vom Schlächter getötet wurde. Changbin schloss nicht aus, dass es sich ebenfalls um einen Nachahmungstäter handeln könnte. Doch selbst das beruhigte ihn keineswegs. Er fragte sich, wie die Nachrichten in Übersee kein Bericht darüber erstattet hatten, und auch keiner bis in den District Nine durchgedrungen war.
Diese Frage brannte ihm schon seit dem Gespräch im Konferenzraum auf seiner Zunge.
"Hat deine Abteilung die Medien in Australien nicht eingeschaltet, um den Schlächter zu jagen?"
Das Widerhallen des Namens, sobald er das Monster benannte, widerte den Detective an. Er empfand es als bescheuert, Mördern bestimmte Rufnamen zuzuordnen.
Darüber freuten sich diese Dreckskerle, wahrscheinlich holten sie sich sogar einen runter, um dieser Achterbahnfahrt des Wohlgefühls nachzugehen. Den faden Beigeschmack auf seiner Zunge, wie er ihm beim Schlächter hatte, verging selbst nicht, als Felix im eine Antwort gab.
"Medienpräsenz hat mein ehemaliger Chef mit Absicht verhindert, um dem Täter nicht das zu geben, was er wollte und zwar Aufmerksamkeit. Wir haben stets im Hintergrund agiert, schwammen unter dem Radar, damit das System uns nicht entdecken konnte."
Changbins Kopf löste sich bei dieser kryptischen Aussage von der Straße, hinüber zu dem Blonden. Einmal mehr fragte er sich, was für Magie der Neue besaß. Sein Geruch roch so nichtssagend, wie die eines Menschen. Und doch brodelte etwas hinter einer riesigen Mauer in ihm.

Selbst nach zwei Tagen stank die Wohnung noch immer nach Tod, Verwesung und Blut. Auch wenn alle sichtbaren Spuren vernichtet wurden, so würde der Hauch des Grauens auf Ewig an dieser Wohnung haften. Changbin erschauderte. Ein Gefühl des Beobachtetseins glitt über seinen Körper. Er klopfte sich einmal mit der flachen Hand gegen das Bein, um zurück in die Realität zu kehren. Sein Blick huschte über die verhüllten Möbelstücke, über den dunklen Fleck an der Wand, wo einst der Spiegel hing. Man hatte in eingesteckt, um die blutige Nachricht zu analysieren. Der Detective dachte an das Gesagte von Jisung und Felix. Ihr Mörder hinterließ keine Spuren, keine Fasern, keine DNA, nichts. Er war vorsichtig, ja beinahe penibel und trotzdem herrschte dahinter eine Raserei, welche in einem Blut getränktem Zimmer resultierte. Das passte nicht zusammen.
"Gab es je Hinweise auf zwei Täter?", wollte er wissen, während der Fae die Wände betrachtete.
Felix' Kopf ruckte zu ihm und der Schwarzhaarige schaute ihn zum ersten Mal wirklich an. Wieder verschlug es ihm den Atem, als er sah, was er so anziehend fand. Der markante Unterkiefer, die schiefergrauen Augen, die gebieterische Ausstrahlung. Changbin konnte ihn so viel erniedrigen, wie er wollte, stets würde er das Gefühl haben, sein Gegenüber konnte nichts erschüttern. Was nicht hieß, er würde ihn mögen oder sein Anschluss befürworten.
Das Aufblitzen in den Augen des Blonden, reichte dem Detective als Antwort aus.
"Mein alter Chef schenkte meinen Berichten nie glauben, es könne mehr als einen Täter sein. Er war sehr auf das Image der Polizei bedacht, weswegen es nicht in den Rahmen passte, dass zwei Täter infrage kämen, die unsere ausführende Staatsgewalt nicht fangen konnte."
Changbin nickte und verfluchte innerlich die Bürokratie. Er erinnerte sich an die Autopsie und diesen jungen, gesunden Körper, dessen Wachstum zum Stillstand gekommen war. Und an das Kind.
"Denkst du, der oder die Mörder haben das Kind mitgenommen?", murmelte er dem Größer entgegen. Er vermied Augenkontakt. Vielleicht weil die Frage ihn verunsicherte, vielleicht weil er vor Felix Stärke wahren wollte. Jedenfalls stand fest, dass es ihm eiskalt den Rücken hinunterlief, sobald er auch nur an die Möglichkeit dachte, dass Neugeborene sei entführt wurden. Abertausende Szenarien rissen Krater in seine Gedanken, ließen Changbin in sich kehren, trieben ihn zu einer Starre, die er selbst von sich nicht kannte.
Vielleicht wurde es gefoltert, Gliedmaßen abgeschnitten, mit Zigaretten verbrannt, in Plastik gehüllt oder zum Ersticken in eine Wanne gepresst. Es gab unendliche Möglichkeiten und der Fae hatte das Gefühl jede Einzelne zu durchleben. Er schluckte und schluckte und schluckte. Manchmal fragte er sich, warum er sich dieses Grauen jeden Tag antat, warum er jeden Tag Tatorte begutachtete, um erneut einer Jagd beizuwohnen. Und dann traf ihn jedes Mal der Schlag, so simpel es auch war.
Er war gut darin. Verdammt gut.
Er war ein Soldat, der darauf getrimmt war, zu jagen und zu eliminieren.
"Mir ist diese Tatsache auch schon durch den Kopf gegangen. Bisher hat man nie die Neugeborene gefunden. Wir sollten vom Schlimmsten ausgehen."
Der Detective nickte.
Doch die unausgesprochene Vorstellung hing schwer in der Luft.
Monster konnten sich weiterentwickeln.
Sie befanden sich um uns herum, immerzu und überall. Sie sangen leise ihre Lieder, die nur sie selbst hören konnten, oder andere Ihrer Sorte. Es waren Lieder über den Tod, den Schmerz und die Angst. Lieder über Blut, leuchtend rot, verteilt auf weißer Wand, und von gebräunter Haut, die nass und aschfahl an dunklen Orten verweste.
Sie sangen.
Und manchmal kamen sie aus den Schatten, traten hinaus in das Licht und taten das, was ihnen aufgetragen wurde. Morden.
Es waren stets Klagelieder, Trauergesänge. Jedes dieser Lieder bestimmte eine Einzigartigkeit. Möglich, dass sie sich ähnelten, aber gleich konnten sie niemals sein.
Changbin wusste wovon er sprach.
Er lauschte diesen Sängern der Lichtlosigkeit, und er sammelte diese Lieder. Er gehörte nicht zu ihnen, war kein Teil von ihnen, aber er konnte sie verstehen. Der Fae fühlte sich von jenen Gesängen angezogen, von ihrer Musik, wie ein Schiff von den Felsen.
Er hörte, wo andere nichts hörten, weil er die Wahrheit gesehen hatte.
Ja, er hatte die Klänge dieser Kreaturen gehört und die Fähigkeit, diese Gabe zu erhalten, erforderte einen Preis. Denn der Unterschied zwischen dem nüchternen Wissen und dem emotionalen Erkennen lag im Sehen. Solange man das Monströse nicht erblickte, konnte man es anzweifeln. Der Verstand möchte nie glauben, dass es solche Abgründe gab, bevor die eigenen Augen sie nicht erfassten. Genau das sah Changbin.
Und er sah, dass Felix diesem Abgrund ebenfalls entgegenblickte, vielleicht sich niemals davon losgerissen hatte, wie er selbst.
Das Erschreckendste war jedoch, dass der Detective und er sich auf dieser Ebene, wo er meistens alleine umherstreifte, verstanden.
Er hatte jemanden gefunden, der ebenfalls ein Sammler war.
Ein Sammler für Grauenhaftes.
"Eine andere Möglichkeit wäre, dass sie das Kind entbunden und weggeben hat. Dann müssten wir in den umliegenden Krankhäusern nachfragen, ob in jenem Zeitraum ein Kind dorthin gelangt war."
Changbin gab ein zustimmenden Laut von sich, welcher eher einem Grummeln glich, anstatt einer Antwort. Doch daran schien sich Felix nicht zu stören. Er streifte durch den Raum, blieb hier und da stehen, um sich Bilder oder Dekoration anzuschauen.
"Was ich mich frage, ist, warum sie das Kind wegegeben hat", äußerte der Schwarzhaarige und trat von dem dunklen Fleck zurück, wo zuvor der Spiegel seinen Platz fand. Vielleicht konnte sie sich ein Kind nicht leisten, fühlte sich nicht bereit oder wollte es nicht. Es gab Gründe, die er niemals beantworten konnte, obwohl er es gerne würde. Und diese Tatsache war ihm lieber, als wenn der Schlächter sich an den Kind vergriffen hatte.
"Manche Leute werden in einem furchtbar jungen Alter traurig. Es gibt keinen besonderen Grund, aber sie scheinen fast so geboren zu sein. Sie bekommen leichter blaue Flecken, ermüden schneller, weinen öfter, erinnern sich länger und werden, wie gesagt, früher trauriger, als jeder andere auf der Welt. Vielleicht war sie Eine von Ihnen."

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Guten Abend, meine lieben Leser und Leserinnen! Weiter geht's. Wir tauchen tiefer in die Materie ein, tiefer in Changbins Gedankenwelt und Sehnsüchte.

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Erin🌸

Children Songs {ChangLix}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt