Denn aus Zufall fliegt Lorenzo, Lenas italienischer Freund, heute nach Berlin. Und ich bin, als die beste Freundin, selbstverständlich dazu verpflichtet mitzukommen und Mr. Ach-so-toll abzuholen. Aber ganz ehrlich, wäre Pauls Flug nicht heute gewesen, wäre ich ganz bestimmt zu Hause geblieben. Ich habe einfach keine Lust, dass mein Blickfeld von stürmischer Umarmung und schmatzenden Küssen bedeckt wird. Es ist hundertprozentig sicher Lena so etwas bei Lorenzos Ankunft tun zu sehen. Das Wort Zurückhaltung ist in Lenas Wortschatz leider nicht erhalten. Sie macht das was ihr gefällt und Punkt.
Klar will ich Lorenzo schon kennenlernen. Laut Lena scheint er perfekt zu sein: Temperamentvoll, lieb und total gutaussehend. Trotzdem bin ich skeptisch. Man sagt doch immer, dass Liebe blind macht. Nun, Lorenzo ist 27 und damit zehn Jahre älter als Lena. Sie kennen sich grad mal knapp drei Monate lang. Er wohnt in Florenz und sie in Berlin. Abgesehen von dem Jahresunterschied und der Distanz: Wie ist Lorenzo wirklich? Ist er so scheinbar nett und süß wie er sich ausgibt oder ist er in Wahrheit ein Schwindler? Vielleicht benutzt er Lena nur für-
STOP.
Werde ich eben ernsthaft rassistisch? Seit wann denke ich so subjektiv und pessimistisch? Langsam aber sicher muss ich lernen, Vertrauen in meinen Mitmenschen aufzubauen. Sonst laufe ich irgendwann nur noch mit Vorurteilen durch die Gegend und das macht mich nicht sehr sympathisch.
Durch hunderte verreisen-wollenden Menschen und ihr Gepäck schlängelnd, erreiche ich nach einer halben Ewigkeit endlich den Ausgang. Ich blicke suchend auf die Masse und entdecke schließlich Lena in den Armen eines dunkelhaarigen Typen. Sekunden später fangen sie mitten in der Menschenmenge an sich heiß und innig zu küssen.
Genau wie ich es vermutet hatte ... Es ist eine gute Frage, warum Lena mich überhaupt dabei haben wollte, wenn sie nach Lorenzos Ankunft eh nur noch Augen für ihn hat.
Ich bin neidisch.
JA!
Ich verleugne es nicht. Schließlich muss ich mich um ihren fünfjährigen Bruder kümmern, während sie sich amüsiert.
Aber komm, Ella. Mit Leo kannst du dich auch ganz toll amüsieren. Dinosaurier Bücher lesen, Verstecken spielen, oder Lego oder ... Memory.
Was für einen Trost! Bei der Erinnerung des Memory-Abends mit Leo ist an meiner Niedergeschlagenheit nichts mehr zu retten.
Die vergangene Woche verlief ebenso mühsam und stressig. Latein-, Englisch-, und Mathe-Klausur standen an. Die sprachlichen Fächer meisterte ich fast problemlos. Aber Mathe bleibt einfach meinem Feind. Ich habe ein mulmiges Gefühl was die Klausur angeht. Die gute Nachricht ist, dass ich alle Aufgaben geschafft habe. Die schlechte Nachricht ist, dass ich überhaupt nicht einschätzen kann, was richtig oder falsch sein könnte. Ich habe einfach wie wild drauf losgerechnet, nachdem die Arbeit ausgeteilt wurde.
Egal. Was vorbei ist, ist vorbei.
Keine Ahnung ist auch eine Ahnung.
Da bis zum Notenschluss noch knappe zwei Monate sind, bestehen noch Hoffnungen, meine Mathe-Note aufzubessern. Sonst ist eine Vier auf Zeugnis eine echt traurige Vorstellung.
Ich beobachte das knutschende Paar für eine Weile. Schließlich entscheide ich mich dagegen näherzutreten und hallo zu sagen. Denn meiner Meinung nach wollen sie ungern gestört werden. Deshalb folge ich dem Menschenstrom in die andere Richtung und bewege mich aus dem Flughafen. Pures Sonnenlicht kommt mir entgegen und zum ersten Mal seit Tagen fühle ich mich von meinen Sorgen befreit. Welch erstaunliche Wirkung die Natur doch auf den Menschen hat!
Ich stecke meine Hände in die Jackentasche und atme tief durch. Zwar ist die Luft am Flughafen längst nicht so rein wie im Wald oder am Meer, dennoch wird mein Gehirn dadurch aufgefrischt. Auf einmal erscheint mir mein Leben federleicht, was zum Teil bewahrheitet. Seit der „Trennung" von Anton habe ich das Gefühl, dass mein altes Leben allmählich wiedereinkehrt. In der Schule wird kaum mehr gelästert und die meisten ignorieren meine Gegenwart. Das sollte mir recht sein, denn lieber bin ich unsichtbar als schlampig. Anton bin ich so gut wie es möglich war aus dem Weg gegangen und immer, wenn ich an ihn denken muss, setze ich laute Elektromusik auf und lasse mich bis zum Kopfschmerzen volldröhnen. Ablenkung ist halt die beste Methode, um jemanden zu vergessen.
Ich hasse ihn nicht, wirklich nicht. Im Gegenteil, ich mag ihn. Vielleicht sogar mehr als nur freundschaftlich. Aber genau da ist der Knackpunkt. Das. Darf. Ich. Nicht. Dagegen sprechen tausende Gründe:
- Ich will keine Beziehung bzw. ich bin nicht bereit dazu eine zu führen.
- Selbst wenn ich eine Beziehung führen wollte, sollte mein Partner ein vernünftiger, netter Kerl sein. So im Motto „ich-mache-den-ganzen-Tag-nichts-außer-lernen". Spießig, ich weiß.
- Anton ist das genaue Gegenteil davon. Saufen, Mädchen abschleppen, blöde Sprüche abgeben ... alles, was mich ankotzt, tut er.
- Da Anton zugegebenermaßen wahnsinnig gut aussieht, werden, egal wo und egal wann, immer Mädels ein Auge auf ihn werfen. Was dazu führt, dass man ständig Angst haben müsste, dass er fremdgehe.
- Okay, fremdgehen, danach hätte man vor allem psysisches Schmerzen und gut ist es. Aber was würde schlimmstenfalls passieren? Körperliches Schmerzen, genau. Nehmen wir an: Anton zeigt keine Interesse an das Mädel und weist es ab. Es denkt, die Freundin sei Schuld und sucht sie auf. Dann beginnt die Eifersuchtsdrama. Jeder weiß, wie böse Kriege zwischen Mädchen enden könnten. Haare ausreißen, Haut mit spitzen Fingernägeln aufkratzen usw. gehören definitiv ins Programm. Also müsste man theoretisch, bevor man mit Anton zusammen ist, eine Lebensversicherung abschließen, damit man am Ende für irgendetwas revanchiert wird....
Der fünfte Punkt hört sich bisschen übertrieben an. Trotzdem ... mit dem Schlimmsten muss man eben immer rechnen.
Komm zur Vernunft, Ella! Wieso denkst du über Dinge nach, die so unrealistisch sind wie dass Fische ohne Wasser leben können?
Entnervt blicke ich zum Boden. Ich hab's kapiert, dass die Begegnung mit Anton eine falsche Person zum falschen Zeitpunkt bedeutet. Daran lässt sich nichts ändern. Frustriert stapfe ich zur U-Bahn. Alles, was ich jetzt brauche, sind Glückshormone. Sprich -> Schokolade!
***
Ein Auto hupt hinter mir. Es fährt vor und bleibt neben mir stehen. Das Fenster wird heruntergelassen und eine lächelnde Isabel blickt mir entgegen.
„Hey Ella! Auch schon so früh am Flughafen unterwegs?", begrüßt mich Isabel mit ihrer gewohnt fröhlichen Stimme.
Immer noch ein wenig überrascht antworte ich schließlich: „Hi! Ähm ... ja. Ich habe einen guten Freund begleitet, er fliegt heute nach Paris. Und was machst du hier?"
Hinter uns fangen ein paar Fahrer an ungeduldig zu werden, weshalb mich Isabel auffordert einzusteigen. Schleunigst willige ich ein und lege anschließend den Sichergurt an.
„Lust auf einen Kaffee? Ich muss dir etwas Wichtiges mitteilen", fragt sie. Diesmal nicht ganz so fröhlich wie Sekunden davor.
__________________
Meine Lieben,
es tut mir leid, dass ich drei Wochen lang nichts upgedatet habe. In den ganzen zwei Wochen Ferien war ich in Urlaub und zwar in einem Land, wo Wattpad nicht funktionierte. Danke trotzdem für eure Unterstützung! Ich freue mich sehr darüber! :)
Eure Lilly
DU LIEST GERADE
Wie wir uns nicht ausstehen konnten
Teen Fiction[beendet] "Ich will dich. Allerdings ... bin ich mir nicht sicher, ob es richtig ist, dich zu wollen." Sie stellt sich ein Leben ohne Beziehungen vor. Er auch. Sie verdrängt schlechte Erinnerungen mit Lernen. Er aber nicht, sondern nutzt die Gunst s...