XLII Ich mag dich.

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(Sicht) Ella

Die Schmetterlinge in meinem Bauch befreien sich aus dem Käfig, in welchem sie lang genug eingesperrt waren, und flattern wild durcheinander. Ich schmecke und rieche nichts anderes außer Anton. Anton. Anton. O mein Gott. Der Junge kann wirklich küssen. Der Großteil meiner Sinne ist benebelt, doch es gibt immer noch diesen kleinen Teil, der darüber grübelt, ob ich Antons Ansprüche befriedige. Im Fall Rummachen ist er zweifellos erfahrener als ich. Außerdem befinde ich mich selbst nicht gerade als eine Sexbombe. Im Vergleich zu ... Stella. Ich habe keine Ahnung, weshalb ausgerechnet sie, genau in diesem Moment, in dem ich mit Anton engumschlungen in seinem Wagen rumknutsche, durch meinen Kopf geht. Aber sie ist mit ihren riesen Titten und dem perfekt geformten Hintern nun mal so verdammt attraktiv! Und sie ist Antons Ex-Freundin. Sie hatten sich geküsst. Hatten rumgeknutscht. Hatten miteinander geschlafen. Er hatte sie nackt gesehen. Wenn man also Stella betrachtet, weiß man, in welcher Liga Antons Freundinnen spielen. Ich komme mir auf einmal so lächerlich und hilflos vor. Das anfängliche Selbstbewusstsein ist weggeblasen.

Ich kralle meine Finger in sein T-Shirt, als er mir auf die Unterlippe beißt und anschließend seine Zunge in meinen Mund schiebt. Ich zwinge mein Gehirn, die verzweifelten Gedanken beiseite zu legen und den Fokus auf diesen Moment zu lenken. Die Intensität seines Verlangens und Begehrs fühlt sich beinahe unrealistisch an. Doch trotz der Zweifel und der Unsicherheit, die ich besitze, weiß ich, dass dieser Moment echt ist. Dieser Blick, mit dem er mich vor dem Kuss angeschaut hat, war liebevoll und voller Wärme. Wahrscheinlich empfinde ich mehr für ihn als er für mich. Aber ich habe mich trotzdem in ihn verliebt. Ich liebe seine blöden Sprüche, seine besitzergreifende Art, seinen Beschützerinstinkt gegenüber den Menschen, die ihm wichtig ist, seine Hilfsbereitschaft und so vieles mehr. Hinter seiner trügerischen Fassade steckt ein Junge, der vor Warmherzigkeit und Intelligenz sprüht. Vielleicht kann ich eines Tages seine Fassade durchbrechen und einen Blick in sein Inneres erhaschen, damit ich die Darlegung seines äußeren Erscheinungsbildes besser nachvollziehen kann.

Anton lockert den Griff um meine Taille. Stattdessen platziert er eine Hand an meinem unteren Rücken. Obwohl sich unsere Oberkörper sich praktisch schon zu einem verschmolzen haben, spüre ich den starken Druck seiner Hand, die mich fester gegen ihn presst. Die Hitze seiner Hand ist wie elektrische Schockwellen, die durch alle Ecken und Kanten meines Körpers schießen, sodass ich erschaudere. Plötzlich habe ich nur eines im Kopf: Ihn richtig richtig zu küssen. Ich umfasse mit beiden Händen sein Gesicht und fahre zuerst mit der Zunge über seine Unterlippe, um schließlich leicht an ihr zu knabbern.

„Gott, Ella", murmelt er zwischen unseren Küssen. Schlagartig wird mir bewusst, dass Anton mich wirklich attraktiv findet. Mit oder ohne meine eigenen Zweifel.

Er macht nicht aus Spaß mit mir rum. Diese Erkenntnis lässt mich tief in Freude versinken.

Gerade als ich mich vollständig in unseren verheißungsvollen Kuss hingebe, löst sich Anton abrupt von mir. Überrascht reiße ich die Augen auf und erröte beim Anblick seiner geschwollenen Lippen, weil dies offensichtlich mein Werk war. Unbehagen durchströmt meinen Körper, da ich mich davor scheue, ihn direkt anzusehen. Ich fürchte mich vor dem, was als nächstes kommt. Er sitzt inzwischen wieder gerade auf seinem Stuhl, beide Hände um das Lenkrad geklammert und die Augen starr nach vorne gerichtet. Seine Kiefer sind angespannt.

„Schnall dich an", sagt er barsch.

Mir bleibt der Mund offenstehen. Wie bitte? Mehr hat er nichts zu sagen?! Nach dem, was passiert ist?

Ich atme tief ein, um mich zu beruhigen. Heute wird es keinen Streit mehr geben. Wir sind nicht mehr im Kindergarten. Ich werde mich wie einen Erwachsenen verhalten und mit Anton vernünftige Gespräche führen. Er, ob er will oder nicht, auch. Diese Zankerei, die zwischen uns dauernd herrscht, macht mich zu schaffen. Ich weiß, dass ich daran auch die Hauptschuld trage. Für mich ist es eben nicht sehr leicht, jemand neuem zu vertrauen und mich auf ihn einzulassen. Aber ich will Anton vertrauen können. Ich will mich auf ihn einlassen.

Nachdem ich mich angeschnallt habe, startet er den Motor. Sekundenspäter kommt mir erst die Halloweenparty, die sein Kumpel veranstaltet hat, in den Sinn. Ehrlich gesagt habe ich, nach dem was eben passiert ist, jetzt recht keine Lust, dahinzugehen. Ich bin nervös und zugleich beunruhigt aufgrund Antons Reaktion.

Die ganze Fahrt über herrscht absolute Stille. Ich wollte etwas sagen, ließ es aber doch, als ich Antons angespannte Haltung sah. Ich versuche mich von falschen Gedanken abzulenken, indem ich an den Lernstoff der kommenden Klausuren denke, was sogar recht gut klappt. Aber sobald wir vor einem wunderschönen weißen Haus anhalten, beginnen die unzähligen Gedanken, die ich kurz verdrängen konnte, wieder in meinem Kopf herum zu schwirren.

Mit einem Seitenblick beobachte ich, wie er zuerst den Motor ausschaltet. Anschließend fährt er sich durch die Haare. „Ich fasse es nicht, dass ich das tatsächlich aussprechen werde." Die Worte sprudeln plötzlich aus ihm heraus. Er wendet sich mir zu, nimmt meine Hände zwischen seinen und erblickt mich mit vollem Ernst in die Augen. So ernst wie ich ihm noch nie erlebt habe.

„Ich mag dich, Ella. Vielleicht glaubst du es mir nicht. Ehrlich gesagt kann ich's selbst noch nicht richtig glauben. Aber ich mag dich wirklich. Ich mag dich." Er wiederholt sein Eingeständnis so, als ob er sich selbst vergewissern will, dass diese Worte wahr sind.

Mein Herz hüpft aufgeregt. Mir wird am ganzen Körper warm. Und die Schmetterlinge in meinem Bauch wollen gar nicht mehr aufhören zu flattern. Am liebsten würde ich mich auf ihn stürzen und ihn genau das Gleiche sagen. Doch ich bin zu überwältigt von allem, sodass ich regungslos bleibe.

„Ella, sag irgendwas, bitte", fordert er flehend und drückt meine Hand. Ich mache den Mund auf, aber es kommen keine Laute heraus. Meine Stimme und mein Hirn versagen ihren Dienst komplett. Verzweifelt blickt er kurz nach unten und anschließend wieder hoch.

„Ich weiß, dass wir keinen guten Start hatten. Ich habe mich die ganze Zeit wie ein Idiot verhalten und dich wie der letzte Dreck behandelt. Ich möchte das alles wiedergutmachen. Denn du verdienst das, Ella. Du verdienst eigentlich jemand viel besseren als ich. Aber ich kann einfach meine Finger nicht von dir lassen, Ella. Du bist wunderschön, witzig, hast nicht nur Watte im Kopf und statt an dich selbst zu denken denkst du immer zuerst an die anderen. Das macht dich einerseits liebenswürdig, andererseits aber auch so unglaublich verletzlich. Gib mir also eine Chance, dich zu beschützen, okay? Ich werde dir beweisen, dass ich es mit uns ern-"

Ich schneide ihm das Wort ab, indem ich seinen Kopf zu mir herunterziehe und meine Lippen auf seine lege. Anders als vorhin halte ich mich nicht zurück, sondern küsse ihn leidenschaftlich. Seine Worte waren so rührend, dass ich es nicht aushielt, sie mir vollständig anzuhören. Denn mir war klar, dass ich dann weinen würde. Kein Junge gestand mir jemals so etwas.

Ich unterbreche den Kuss und umschlinge seinen Nacken mit beiden Armen. Das Gesicht an seinem Hals vergrabend, sauge ich seinen wunderbaren Geruch ein. „Ich mag dich auch", bringe ich hervor. Sein Körper verharrt sich für eine Sekunde, dann drückt er mich fest an sich.


Wie wir uns nicht ausstehen konntenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt