XXXVI Ans Tageslicht

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Bild: Caroline Brasch Nielsen as Isabel


Eigentlich würden wir sehr gerne zu „Lisa" fahren, doch es ist leider für die nächsten zwei Wochen geschlossen. Der liebe alte Thomas, der Besitzer des Cafes, hat nämlich beschlossen, sich eine Zeit lang frei zu nehmen und ein paar schöne Urlaubstage in der Türkei zu verbringen. So bleibt uns nichts anderes übrig, als in die Stadt zu fahren und uns dort ein ruhiges Eckchen zum Reden zu suchen. Letztendlich fällt unsere Wahl auf ein Cafe mitten im Bezirk Charlottenburg. Während Isabel versucht einem Parkplatz zu finden, was in der Stadt echt schwierig ist, bin ich schon mal ausgestiegen. Ich gehe in das Cafe hinein und stelle mich in die Schlange, um für uns zu bestellen. Die Innenkonstruktion hier trifft meinen Geschmack recht gut. Der Raum ist trotz der vielen Brauntöne hell und neutral. Links und rechts neben der Eingangstür befinden sich zwei großen Fenster, vor denen jeweils ein langer Tisch mit Barhockern dahinter aufgestellt sind. Ansonsten gibt es noch ganz viele Einzeltische mit gepolsterten Sesseln, die im Raum verteilt sind. Aber die Plätze am Fenster scheinen eindeutig die beliebtesten zu sein, da sie alle besetzt sind. Ungefähr in der Mitte liegt die Arbeitstheke, wo die Kaffeemaschine und Kuchen stehen. Über der Theke hängen mehrere Tafeln, darauf sind die neusten Angebote mit weißer Kreide aufgetragen.

Zehn Minuten später sitzen wir, jede in der Hand eine heiße Schokolade haltend, auf einem dunkelroten mit Leder bezogenen Sofa, die den Holztisch in der Mitte umzingelt.

„Es ist so, dass ich Berlin für eine Weile lang verlassen werde", beginnt Isabel zu sprechen.

Augenblicklich höre ich auf an meiner Schokolade zu nippen und glotze Isabel an, als wäre sie ein überteures Auto.

Was?!", bringe ich verdattert hervor, „ich meine, verarscht du mich gerade? Wenn ja, ist das nicht. Witzig."

Sie sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Sehe ich aus, als würde ich Scherze machen?"

Ich klappe den Mund ein paar Mal auf und zu. Das wird mir alles zu viel. Erst Paul, dann Isabel. Wieso? Wieso wollen alle meine Freunde weg? Tief atme ich ein um meine Gedanken zu ordnen.

„Also nochmal ganz langsam: Du verlässt Berlin. Wann? Für wie lange? Wohin genau gehst du? Und vor allem warum so plötzlich?", rufe ich aufgebracht und knalle die Tasse auf dem Tisch. Isabel sieht mich erschrocken zu.

Sie zuckt die Achseln. „Ich werde nach Cambridge gehen und vorerst dort weiterstudieren. Keine Ahnung wie lange ich dort bleiben werde."

Cambridge in Großbritannien? O mein Gott, „the University of Cambridge" ist eine der berühmtesten und besten Hochschule auf der ganzen Welt!

Voller Bewunderung blicke ich in Isabels dunkelbraunen Augen. „Gratuliere, Isabel! Ich freue mich so für dich! Cambridge und ihre Universität sind bestimmt genial!"

Sie lächelt erleichtert. Wahrscheinlich froh darüber, dass ich mich beruhigt habe. „Danke, Ella. Ich weiß deine Gratulation zu schätzen."

„Klar doch. Aber warum eigentlich Cambridge und nicht sonst woanders?"

Sie erwidert: „Ehm ... Das ist'ne längere Geschichte. Meine oder in dem Fall ich und Anton, unsere Eltern sind seit 15 Jahren getrennt. Nach der Scheidung zog unsere Mutter nach Cambridge, um die Stelle als Professorin an der Uni annehmen zu können. Und unser Vater ist in Berlin geblieben, weil er ja hier sein Unternehmen hat und so weiter. Na ja, der Grund ist einfach, weil Mama in Cambridge lebt."

„Deine Eltern haben sich getrennt, als du fünf warst?", entgegne ich überrascht. Und Anton müsste damals drei Jahre alt gewesen sein. O Mann, das ist schlimm ... und traurig ...

Sie zieht eine gleichgültige Grimasse. „Ja. Aber keine Sorge, ich und Anton waren beide zu jung um das Ganze zu begreifen. Für uns war's nur gewöhnungsbedürftig, plötzlich ein Leben ohne Mama zu führen. Trotzdem, wir besuchen uns gegenseitig im Jahr fünf, sechs Male und Papa hat'ne neue Freundin, die ganz nett ist und ja, alles gut."

Ihr Optimismus wird mir sehr fehlen, das ist sicher. Wir beide sitzen wie erstarrt auf dem Stuhl und schweigen. Ich denke an unser erstes Treffen zurück, damals im Cafe mit Franz und-

Apropos Franz! Auf einmal macht es „Klick" bei mir. Die Prügelei von Anton und Franz und das abrupte Verlassen Isabels, das hängt irgendwie zusammen.

„Zwischen dir und Franz ist was passiert, stimmt's?", frage ich leise und breche somit das Schweigen.

Im Nu werden ihre Augen rot. Benommen blickt sie nach unten. Ich seufze, gehe zu ihr rüber und setze mich neben ihr. Einen Arm um ihre Schultern legend, sage ich: „Erzähle es mir, damit ich ihn umbringen kann."

Ihre Mundwinkel wandern leicht nach oben. „Er hat mich betrogen", flüstert sie in gebrochener Stimme und dreht den Kopf in meine Richtung. Ihre Augen sind nun ganz feucht. O je, sie bricht gleich in Tränen aus. Hastig fische ich Taschentücher heraus und reiche sie ihr.

Leicht streichele ich ihr über dem Rücken. „Bitte hör auf zu weinen, ihm ist es nicht wert. Ab jetzt werden wir nach vorne zu schauen und das glückliche Single-Leben genießen. Stell dir vor, du kannst wieder das tun was dir gefällt, ohne dass dein blöder Freund gleich losjammert. Hm?"

Meine zum Aufmuntern gedachten Worte zeigen wenig Wirkung. Isabel wischt sich die Augen und verabschiedet sich anschließend schniefend in Richtung Toilette. Ich sehe ihr mitfühlend nach. Das Gefühl des Betrogen-Seins kenne ich allzu gut, denn mein Ex tat genau dasselbe. Anfangs saß der Schmerz wirklich tief, aber mit der Zeit habe ich gelernt jemanden zu vergessen. Die Zeit verdünnt die bitteren Erinnerungen. Ich geb's zu, dass das Vergessen leichter gesagt als getan ist. Man wird diese Person auch nicht vollständig aus den Gedanken verbannen können, immerhin hat man sich geliebt. Am Ende bleibt eben eine kleine „Wunde" übrig.

Irgendwie finde ich es unglaubwürdig, dass Franz Isabel betrogen hat. Ich kenne ihn doch, er ist absolut treu und aufrichtig. Dazwischen herrscht definitiv ein Missverständnis. Ich zücke mein Handy und wähle Franz's Nummer.

Tu tu tu ... Dergewünschte Gesprächspartner antwortet nicht, bitte- Wieso habe ich gewusst, dass er nicht rangehen wird?

Nachdem Isabel mit alter Frische (Fraglich ist wie sie so schnell ihr verheultes Gesicht vertuscht hat) wieder zurück war, beschließen wir, dass wir für heute genug geredet haben. Sie bietet mir eine Heimfahrt an, doch ich lehne es ab, da ich merke, dass wir beide Freiraum zum Nachdenken brauchen. Zur Verabschiedung drücken wir uns kurz.

„Ach so, es gibt noch eine Sache, die ich dir eingestehen will", bemerkt sie nervös, „Ehm ... Die Idee der gefälschten Beziehung stammt von mir. Ich hab Anton dazu übergeredet."

Einen Moment lang bin ich sprachlos. Warum zum Teufel? Welche Bedeutung hat das? Wie soll ich nun mit Anton umgehen? Nicht mehr sauer auf ihn sein? Weil eigentlich seine Schwester mich „ausgenutzt" hat?

„Gibt es einen bestimmten Grund dafür?", frage ich verbittert. Meine Freundin ist scheinbar nicht so unschuldig wie ich dachte.

Sie sieht mich entschuldigend an. „Ja ... nein ... keine Ahnung. Damals war ich so aus dem Häuschen wegen Franz. Ich wollte praktisch jeden verkuppeln, den mir über den Weg läuft. Bitte verzeihe mir."

Ich seufze laut hörbar. Am liebsten hätte ich gelacht. Hat sie an die Folgen ihrer Verkuppeln-Aktion gedacht? Dass jemand dann auf einmal unglücklich und mit unerwünschten Gefühlen dasteht? Wahrscheinlich nicht.

„Kein Problem", erwidere ich krampfhaft fröhlich.

Wie wir uns nicht ausstehen konntenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt