1. Der unbekannte Mann

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"Tunia, kommst du mit mir auf den Spielplatz?", rief ich nach oben, während ich bereits im Flur saß, um meine Schuhe anzuziehen.

Heute war ein toller Tag. Nicht nur, weil vorgestern endlich die Sommerferien begonnen hatten und ich ausschlafen und den ganzen Tag spielen konnte, sondern auch, weil ich heute genau achteinhalb Jahre alt wurde.

Das Datum hatte ich extra in dem Prinzessinnenkalender in meinem Zimmer markiert, auch wenn Tunia das unnötig fand und meine Eltern mir zu diesem besonderen Tag lediglich einen Schokoriegel geschenkt hatten.

"Boah Lily, hast du mal nach draußen geguckt?", ertönte die Stimme meiner großen Schwester. "Es regnet. Da werden wir doch ganz nass!"

"Ach, komm schon!", bettelte ich, doch mir war klar, dass sie nicht nachgeben würde. Tunia war sehr ordentlich und machte nur äußerst ungern ihre Klamotten dreckig. Ich hingegen fand das langweilig. Es machte doch total viel Spaß, im Regen zu spielen, in Pfützen zu springen und mit Matsch zu spritzen.

"Vergiss es!", lautete die Antwort und jetzt musste sich auch noch Mum einmischen.

Sie hatte gerade in der Küche gestanden, um Brot für das Abendessen zu backen, kam aber jetzt zu mir in den Flur und meinte freundlich: "Liebling, wieso wartest du nicht, bis der Regen aufgehört hat? Dann kannst du ja immer noch mit Petunia rausgehen".

"Aber ich will jetzt!", protestierte ich und zog demonstrativ meine gelbe Regenjacke von der Garderobe. "Außerdem ist heute mein achteinhalbster Geburtstag."

Mum sah erst so aus, als wolle sie widersprechen, nickte aber schließlich: "Okay, aber sei zurück, bevor es dunkel wird und mach dich bitte nicht allzu schmutzig, in Ordnung?"

"Okay", nickte ich eifrig, auch wenn ich wahrscheinlich sowieso völlig verdreckt zurückkommen würde. "Tschüssi!"

Damit riss ich die Haustür auf, ging nach draußen und schlug sie wieder zu, bevor ich zum Spielplatz, der nicht weit vom Haus entfernt war, rannte.

Es hatten sich bereits Matschpfützen auf dem Feldweg gebildet, in die ich natürlich hineinsprang, wobei es so toll platschte.

Meine wasserfesten Schuhe schmatzten mit jedem Schritt auf der nassen Wiese, die mich als Letztes vom Spielplatz trennte, doch endlich kam ich an. Erst wollte ich schaukeln, doch die Schaukeln waren mir zu nass, weshalb ich aufs Klettergerüst kletterte, um in der Gegend herumzustarren.

Weil es nicht überdacht war, fielen noch immer kühle Tropfen auf meinen Kopf, doch trotz alledem war es ein warmer Sommertag, weshalb ich meine Regenjacke auszog, vom Gerüst schmiss und ausgelassen Pirouetten drehte, bis mir schwindelig wurde und dann noch weiter, bis ich schwankte und mich kichernd am Geländer festhalten musste.

Eigentlich wollte ich rutschen, doch natürlich war auch die Rutsche nass und da ich aus Erfahrung wusste, wie unbequem ein nasser Hintern war, kletterte ich die Leiter wieder herunter und lief zu meiner Regenjacke, um sie aufzuheben. Vielleicht konnte ich sie als Unterlage nutzen.

Gerade, als ich mich bückte, nahm ich aus dem Augenwinkel eine seltsame Bewegung wahr.

Blitzschnell fuhr ich wieder hoch, die Jacke auf dem Gras liegen lassend und in Richtung des kleinen Hügels mit dem Baum darauf blickend.

Dort war, wie aus dem Nichts, ein seltsamer Mann aufgetaucht, der mich jetzt bewegungslos anstarrte.

Er war komplett in Dunkelblau gekleidet und hatte die Hände in den Jackentaschen vergraben, während sich ein freundliches Lächeln auf seinem schwarzen Gesicht abzeichnete. Ich konnte das aus der Entfernung nicht genau erkennen, doch seine Augen schienen in einem sehr dunklen Braun zu sein, während seine kurz geschnittenen Haare lockig waren.

Mein Leben als ZeitreisendeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt