Ruslana
Die Welt fing an sich zu drehen und ich konnte Stimmen im Hintergrund wahrnehmen. Mein Herz schmerzte und meine Brust ging auf und ab. So ein Gefühl habe ich noch gespürt. Meine Augen starrten wie benommen auf das Blut und mein Gehirn konnte nicht bearbeiten, was da gerade passiert ist.
Die Tür wurde weiter geöffnet und schwarze Schuhe kamen in mein Sichtfeld. Meine Alarmglocken fingen an zu läuten und meine Augen wurden kugelrund. So schnell wie es ging rappelte ich mich wieder auf und stolperte nach hinten. Ich wusste wer vor mir stand. Ich brauchte nicht aufzuschauen. Mein Körper fühlte sich taub an und ich wusste nur eins.
Ich musste hier weg.
Jetzt.
Ohne zweimal darüber nachzudenken, wirbelte ich herum und rannte los. Ich konnte hören, wie man nach mir rief, doch ich drehte mich nicht um. Ich rannte und rannte, während der stechende Schmerz in meiner Kehle immer schlimmer wurde. Mein Kopf pochte wie verrückt und erst jetzt bemerkte ich das Gewitter, dass sich gerade über uns ausbreitete. Tausende von Regentropfen fielen auf mich runter und die Rufe hinter mir wurden immer lauter.
Nein. Nein, bitte nicht.
Ich kämpfte mich durch die Äste und ignorierte die schmerzenden Risse, die diese auf meiner Haut hinterließen. Meine Beine verkrampften sich, doch ich blieb nicht stehen. Meine Name hallte durch den Wald. Immer und immer wieder und ich rannte schneller. Panisch suchte ich nach irgendeinem Ausweg, doch ich fand keinen. Wald, Wald und noch mehr Wald. Ich verlor den Verstand.
„Ruslana!", seine Stimme klang so hilflos und wütend zugleich, dass es mich verwirrte. Er rief immer und immer wieder nach mir und die Angst in mir wurde größer. Wie konnte ich ihm nur vertrauen? Wie konnte ich nur eine Sekunde lang glauben, er hätte sich verändert? Glauben, dass er kein Monster ist, der Leuten das Leben zur Hölle macht? Wie konnte ich nur? Macht mich das auch zu einem schlechten Menschen?
Die Bilder gingen mir nicht aus dem Kopf.
Das Blut.
Die Schreie.
Das Betteln.
Und sein krankes Lächeln.
Ich war so dumm. Die Tränen hörten nicht auf und ich merkte wie mir die Luft ausging. Ich musste stehen bleiben, sonst würde ich jede Sekunde umfallen. Seine Schreie klangen distanzierter und ich nahm dir das als Chance mich hinter einem Baum zu verstecken. Mein Rücken traf das feuchte Holz und ich ließ den Kopf nach hinten fallen. Das einzige was ich hören konnte waren meine schweren Atemzüge und die Schritte die in meine Richtung gingen.
Er war hier.
Ich hielt mir die Hand vor den Mund, um die aufkommenden Schluchzer zu verstummen. Er durfte mich nicht hören. Er war nun so nah, dass ich seinen schweren Atem hörte, der von dem ganzen Rennen kommen muss. Ich rührte mich nicht von der Stelle und hoffte, dass der Umriss des Baumes dick genug war, um mich zu verstecken.
„Printsessa!", rief er und ich zuckte zusammen. „Bitte. Komm raus. Ich weiß, dass du hier bist. Ich tue dir nichts." Seine Stimme wirkte immer entschlossener. „Als könnte ich das je", flüsterte er danach so leise, dass ich eine Sekunde lang dachte, ich hätte es mir nur eingebildet. Als ich nicht antwortete seufzte er laut auf. „Ich kann erklären, was da passiert ist", sagte er in einem ruhigen Ton. „Du musst aber erst rauskommen."
Hält er mich für dumm?
Ich wusste, dass wenn ich mir jetzt keinen anderen Platz zum Verstecken suchen würde, er mich finden wird. So oder so. Es donnerte laut und ich biss mir auf die Zunge, um nicht vor Schreck aufzuschreien. „Ruslana", warnte er mich. „Komm jetzt raus. Du macht es komplizierter, als es ist."
Langsam ließ ich die Hand vor meinem Mund fallen und ging einen Schritt vor, um mich hinter einem anderen Baum zu verstecken. Doch mein Plan ging nicht auf. Ich trat aus Versehen auf einen Ast und es knackste laut auf. Meine Augen wurden kugelrund und ich spürte wie er stehen blieb. Es wurde still, während ich es nicht wagte mich von der Stelle zu bewegen.
Und plötzlich spürte ich jemanden hinter mir.
„Printsessa", flüsterte er und eine ekelhafte Gänsehaut breitete sich auf meiner nassen Haut aus, als sein heißer Atem auf meinem Nacken abprallte. Nein. Ich biss die Zähne zusammen, während meine Brust auf und ab ging. Er hatte mich gefunden. „Renn nicht weg", sagte er leise und legte seine Hand auf meine kalte Schulter ab. Reflexhaft zuckte ich zusammen und wirbelte herum. Seine mit reuegefüllten Augen trafen auf meine und ich versuchte den Kloß in meinem Hals runterzuschlucken. Er war hier. Vor mir. Er hatte mich gefunden.
Mein Blick glitt runter und hielt bei seinem blutüberströmtem Hemd an.
„Ich habe Kinder und eine Frau! Bitte! Ich flehe sie an!"
Meine Tränen fanden keinen Halt und ich spürte wie mein Körper anfing zu zittern. Ich wusste nicht, ob es an der Kälte lag oder eher daran, dass ich gerade einen wortwörtlichen Mord mit angesehen habe. Er ist kein Mensch. Er ist ein verdammtes Monster.
„Was hast du getan?", fragte ich ihn wie benommen und er blickte mir einfach still in die Augen. „Was hast du verdammt nochmal getan?!?", brüllte ich. Er zuckte zusammen und senkte beschämt den Blick. Ich konnte ihn nicht mehr ansehen. Es tat so weh.
Habe ich mich beinahe in einen Mörder verliebt?
Bin ich so tief gesunken?
„Hör mir zu", bat er leise und schaute wieder auf, um mich mit einem undefinierbaren Blick zu fixieren. „Du weißt gerade nicht, was passiert. Du bist verwirrt. Dein Kleid ist nass und du wirst dich erkälten. Lass uns erst-"
„Du denkst, dass ich nach dem hier", unterbrach ich ihn harsch und deutete um uns herum. „Noch mit dir irgendwohin gehen werde?", fragte ich und blickte ihn begeistert an. Mein nasses Kleid und die hohe Chance, dass ich mir eine Erkältung einfangen könnte, waren gerade die kleinsten meiner Sorgen.
Seine Gesichtszüge wurden härter und seine Augen dunkler. „Du hast keine andere Wahl", sagte er knapp und kam einen Schritt auf mich zu. Sofort wich ich zurück und bemerkte wie die bekannte Angst zurückkam. „Bleib weg", warnte ich ihn, doch er ignorierte meine Worte einfach und kam weiter auf mich zu.
„Beruhig dich", sagte er nun mit einem etwas sanfteren Ton und ich konnte nur den Kopf schütteln. Ich wich weiter zurück und stolperte leicht, als ich über einen Ast lief. Nico hielt mich noch rechtzeitig an der Taille fest und bewahrte mich davon auf dem Boden zu landen. Ich wollte ihn von mir schubsen, doch mein Körper war wie abgeschaltet. Mir wurde schwarz vor den Augen und ich bemerkte wie meine Knie kurz davor waren aufzugeben.
Das letzte was ich spürte, war wie ich hochgehoben wurde und in der Dunkelheit versank.
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𝐏𝐬𝐲𝐜𝐡𝐨 ✓
RomanceEs existierten viele Worte, die das Leben der jungen Ruslana beschrieben. Gefährlich war jedoch nie eines davon. Sie hielt sich zurück und versuchte immer das Richtige zu tun, selbst wenn es andere nicht so sahen. Alles änderte sich jedoch, als ein...