𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟓𝟕

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Ruslana

Ohne ihn anzusehen, stellte ich den Teller vor ihm ab und ließ mich auf einen der Hocker fallen. Seine Augen brannten Löcher in meinen Kopf und ich fixierte den Tisch, der zwischen uns stand. Warum musste er mich auch immer so anschauen?

Ich konnte hören wie er nach der Gabel griff und anfing zu essen. Ein genüssliches Stöhnen entwich seiner Kehle und ich schaute mit hoch erhitzten Wangen auf. Doch er erwiderte meinen Blick nicht. Stattdessen war er so darin vertieft zu essen und schien die Welt um sich rum vergessen zu haben. Sein Mund war voll, doch er stopfte sich immer mehr rein. Zufrieden brummte er auf und blickte verträumt runter auf das Frühstück, dass ich ihm gemacht hatte. Ich starrte ihn so lange an, bis sein Kopf plötzlich hochschoss und seine Augen auf meine trafen.

Oh nein.

Ich biss mir auf die Lippe, um nicht in Gelächter zu verfallen. Von dem mächtigen und gefürchteten Nico Sidorov fehlte jegliche Spur. Er war so voll bekleckert mit Soße, dass man dachte er hätte tagelang nichts gegessen. Das Verrückte ist, dass er es nicht einmal zu bemerken schien. Dieses Bild werde ich nie wieder mehr vergessen. Eine Falte legte sich auf seine Stirn, als er sah, wie sehr ich versuchte mich zusammenzureißen, um nicht loszulachen.

Ich deutete mit meinem Zeigefinger auf den Umriss meines Mundes und versuchte ihm das Offensichtliche zu erklären, doch er starrte mich nur noch verwirrter an. Ich schüttelte amüsiert den Kopf und griff nach einer Serviette, bevor ich mich vorlehnte und vorsichtig die Reste um seinen Mund wegwischte. Sein heißer Blick auf mir war unmöglich zu ignorieren, doch ich schaffte es trotzdem. Fertig damit legte ich die Serviette neben seinen Teller ab und lehnte mich wieder nach hinten.

„Von wo hast du gelernt so zu kochen?", fragte er mich und ich zuckte mit den Schultern. „Als Kind verbrachte ich meine Zeit meistens alleine und nutzte diese für das Kochen. Mit der Zeit verbesserten sich dann meine Fähigkeiten und es wurde zu etwas, womit ich gerne meine freie Zeit verbrachte", erzählte ich ihm und fing an leicht zu lächeln. Ich liebte es einfach alle existierenden Idee auszuprobieren. Manchmal wird es zu dem besten Essen, dass man je probiert hat.

Langsam nickte er und lehnte sich nach hinten. Seine intensiven Augen starrten wie gebannt in meine und ich wendete den Blick ab. Meine Aufmerksamkeit widmete sich dem nun leeren Teller vor ihm und ich kämpfte gegen den Drang an zu aufzulachen. Scheint so, als hat es ihm geschmeckt.

Ich konnte hören wie er sich räusperte und ich schaute verwundert auf. „Hast du gegessen?", fragte er mich, mit einem Hauch Besorgung in seinen Augen und ich nickte schnell. Hatte ich nicht, aber das musste er ja nicht wissen. Es war schließlich Nico.

Mein Handy leuchtete auf und ich nahm es mir vorsichtig zur Hand. Die Realisierung traf mich wie kaltes Wasser. Papa hatte mich tausende Male angerufen. Mein Herz fing an einen kleinen Tick schneller zu klopfen und ich blickte mit weit geöffneten Augen runter auf den hellen Bildschirm. Und wie soll ich das jetzt erklären?

Ich atmete einmal tief ein und aus, bevor ich auf ‚Anrufen' drückte und das Handy an mein Ohr hielt. Mit geschlossenen Augen seufzte ich auf und hörte wie er ranging. „Hallo?", fragte ich leise und griff mit meiner anderen Hand fester in den Stoff des Hockers rein. „Schatz? Geht es dir gut? Ich habe dich angerufen, doch es ging immer nur die Mailbox ran. Was hast du dir gedacht? Wo bist du?", Papa's laute besorgte Stimme ertönte aus der anderen Leitung und ich verzog schmerzhaft das Gesicht, während ich langsam die Augen aufmachte. Nico's wissender Blick traf meinen und ich schluckte schwer.

„A-Alles gut Papa, ich...ich bin-", der Rest des Satzes blieb mir im Hals stecken, als sich Nico plötzlich nach vorne lehnte und mir das Handy mit Leichtigkeit aus der Hand riss. Wie erstarrt saß ich da und schaute dem Psycho zu, wie er anfing mit meinem Vater zu sprechen und mich mit einem undefinierbaren Blick in den Wahnsinn trieb. Durch den Schock konnte ich kein einziges Wort ausmachen. Nach nicht einmal zwei Minuten legte er auf und gab mir mein Handy zurück.

Meine Augen waren immer noch weit geöffnet und ich verstand nicht warum in aller Welt er das gerade gemacht hat. „U-Und?", fragte ich ihn leicht unsicher. Nur Gott weiß, wie mein Vater reagieren würde, wenn er wüsste, dass Nico bei mir war. Er hat uns eine sogenannte Erlaubnis gegeben aber das bedeutete immer noch nicht, dass ich einfach so für Tage verschwinden-

„Was und?", fragte er mich verwirrt und riss mich somit aus den Gedanken. „Ich hab es geregelt. Es ist für ihn in Ordnung", sprach er so lässig, als redete er vom Wetter.
„In Ordnung?", rief ich und er war nun der, der mich so anstarrte, als käme ich von einem anderen Planeten. „Da", sagte er knapp und nickte mit dem Kopf.

Es war für ihn in Ordnung?

Langsam stand er auf und kam mit langsamen Schritten auf mich zu. Mit wachsamen Augen schaute ich ihm dabei zu und versuchte mein pochendes Herz unter Kontrolle zu kriegen. Vor mir blieb er stehen und blickte mit kalten Augen zu mir runter. Er legte seine Hand auf meine Wange ab, während sich sein anderer Arm an dem Hocker, auf dem ich gerade saß abstützte. Sein Gesicht kam meinem näher und ich verlor die Fähigkeit zu atmen.

„Bleib", flüsterte er so leise, dass ich eine Sekunde dachte, es wäre bloße Einbildung.

Doch seine Augen sagten mir etwas anderes.

Sie wollten, dass ich bleibe.

Genauso wie es mein Herz tat.

𝐏𝐬𝐲𝐜𝐡𝐨 ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt