𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟔𝟓

5.9K 209 10
                                    

Ruslana

Mein Kopf machte nicht mehr mit. Das einzige was ich tun konnte, war ihn anzustarren. Mein Herz drohte zu kollabieren und ich spürte wie mir der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Ohne, dass ich es etwas dagegen tun konnte, fingen an die heißen Tränen in meinen Augen zu brennen. So viele Emotionen kamen auf einmal auf mich zu und ich versank in einem schwarzen Loch.

„Nico?", flüsterte ich und bemerkte, wie schwer es wahr meine Stimme stark zu behalten. Ein dicker Kloß in meinem Hals raubte mir den Atem und ich konnte nicht glauben, dass er tatsächlich vor mir stand. Wie immer hing ihm sein weißes Hemd lose an seinem Oberkörper, während die Ärmel hochgekrempelt waren. Trotz dem großen Abstand zwischen uns konnte ich die starken Augenringe erkennen, die seine Augen zierten. Er sah so aus, als hätte er tagelang nicht geschlafen.

Sorge und Angst brauten in mir auf, doch ich warf sie sofort wieder weg, bevor sie die Chance hatten, sich ihren Weg in meinen Kopf zu bannen.

Er stellte sich wieder gerade hin und kam einen Schritt auf mich zu, doch blieb stehen, als er mich zurückweichen sah. Die Müdigkeit in seinen Augen vermischte sich mit Schmerz und der Druck auf meiner Brust kehrte zurück. Was machte er hier? Wieso jetzt?

„Printsessa", seine raue Stimme hallte durch den Raum und eine weitere Gänsehaut breitete sich auf meiner Haut aus. Ich blinzelte die Tränen weg und wich noch mehr zurück. Er senkte den Kopf und lief auf mein Bett zu, bevor er sich langsam nieder ließ und auf seine geballten Fäuste starrte. Keiner traute sich was zu sagen, doch ich wusste, dass ich es tun musste. Ich brauchte eine Erklärung. Die war er mir-

„Mein Vater lebt."

Mein Kopf schoss in seine Richtung und ich dachte erst, ich höre nicht richtig. Doch die mit Tränen gefüllten Augen die aufschauten und in meine starrten, erzählten mir eine andere Geschichte. Sein Kiefer war angespannt, während seine Gesichtszüge so hart wie Stahl waren, doch das alles hatte nichts mit dem zu tun, dass gerade in ihm drinnen vorging. Die erste Träne lief ihm die Wange runter und meine Augen wurden kugelrund, während sie wieder anfingen zu brennen.

„Das alles war nur eine Falle", flüsterte er wie benommen und wendete den Blick ab. „Er hat die ganze Zeit gelebt und nutzte es aus." Sein Kopf schüttelte sich von selbst und er schluckte hart. „Ich bin so dumm." Seine Stimme brach, bevor mein Herz das Gleiche tat. Der ganze Hass und die ganze Wut, die in mir bis vor kurzem noch aufbrausten, verschwanden wie auf Knopfdruck. Ohne zu realisieren was ich da tat, ging ich auf das Bett zu und setzte mich genau neben ihn. Ich schaute ihn an, doch er schaute mich nicht an. Ich habe ihn noch nie weinen gesehen.

Was sich alles hinter einer Maske verstecken kann.

Ich öffnete den Mund um was zu sagen, doch er gab mir nicht die Chance dazu. Er legte sich hin und legte seinen Kopf auf meinen Schoß ab. Überrumpelt blickte ich auf ihn runter und rührte mich nicht von der Stelle. Sein bekannter Duft stieg mir in die Nase und ich konnte endlich wieder atmen. Seine Hand griff nach meiner und führte sie zu seinen Haaren. Wortlos fuhr ich mit meinen Fingern durch dieses und schaute zu, wie es ihm immer schwerer viel die Augen aufzubehalten.

"Es tut mir leid", flüsterte er. "Ich habe dich alleine gelassen, aber ich schwöre dir, es war nie meine Absicht gewesen. Er gab mir keine andere Wahl." Seine Worte wurden immer leiser, während die Verwirrung in mir größer wurde. Wortlos blickte ich auf ihn runter und beobachtete seine entspannten Gesichtszüge. Es schien, als gehe es ihm jetzt besser. Seine Augen waren geschlossen, doch seine Atemzüge verrieten mir, dass er noch nicht schlief.

Geduldig wartete ich auf seine nächsten Worte und versuchte es ihm mit leichten Kreisen auf seinem Kopf leichter zu machen. Zufrieden brummte er auf. "Das habe ich vermisst", seine raue mit Müdigkeit bedeckte Stimme brachte mich zum Schmunzeln. Ich auch.

Er atmete tief ein und aus, bevor er den Kiefer anspannte. "Der Bastard lebt. Die ganze Zeit hatte er gelebt und hielt sich versteckt, wie ein Feigling", seine Stimme wurde mit jedem Wort dunkler. "Er zwang mich dazu, ihn zu treffen."

Wie er das wohl gemacht hat?

"Ruslana", warnte er mich, öffnete die Augen und wusste direkt, dass ich schon wieder so viel nachdachte. Ich nickte ihm still zu und er sprach weiter. "Er überlebte die Explosion und verließ das Land. Ich fragte ihn warum und bekam als Antwort genau das was ich erwartet hatte."

Ich war immer noch überrascht, dass er mir das alles erzählte. Eigentlich hielt er mich immer aus solchen Angelegenheiten raus, aus Angst es könnte mir etwas passieren. Doch diesmal, da ließ er mich durch. Er vertraute mir. Er brauchte jemanden zum reden und entschied sich für mich. Das komische Gefühl in mir wurde immer größer. Was ist es, das ich fühlte?

"Er machte das alles, damit ich seine Position übernahm", sprach er und ich runzelte die Stirn. "Er hatte zu viel Angst, was er natürlich nicht zugab. Er wollte die ganze Scheiße einfach beenden und mir anhängen. Die verdammte Leiche war nicht echt. Was ist das für ein Vater?!?", er wurde immer wütender und stand auf. Mit vorsichtigen Augen schaute ich zu, wie er mit dunkler Miene in meinem Zimmer auf und ab lief. "Als ob er mein Leben nicht genug in den Dreck gezogen hatte, macht er auch noch das? Marco's Vater hatte es wirklich nicht geschafft und er tut sowas? Er ist sein verdammter Bruder. Was ist das für ein Bastard?!?", brüllte er und boxte gegen die Wand. Der Bilderrahmen fiel zu Boden und das Glas zerbrich in Stücke. Erschrocken zuckte ich zusammen, was er sofort bemerkte. Sein Kopf schoss in meine Richtung bevor er zwischen mir und dem kaputten Bilderrahmen hin und her schaute. "Scheiße", fluchte er leise vor sich hin und blickte mit reuevollen Augen zu mir auf. "Tut-Tut mir leid, ich wollte nicht-" der Rest des Satzes blieb ihm im Hals stecken und ich stand auf, bevor ich auf ihn zu rannte und mich in seine Arme schmiss.

Auf Knopfdruck erwiderte er die Umarmung und drückte mich so fest an sich, dass mir die Luft ausging, doch ich sagte nicht. Ich ließ ihn einfach. Er versteckte seinen Kopf in meiner Halsbeuge und atmete tief ein. Beruhigend strich ich ihm über den Rücken und versuchte sein Zittern verschwinden zu lassen. Er presste seine Lippen gegen meinen Hals und schaffte es seine Atemzüge unter Kontrolle zu bringen.

"Es tut-"

"Entschuldige dich nicht", unterbrach ich ihn flüsternd. "Du hast nichts falsch gemacht. Du hast keinen Grund dich zu entschuldigen, moy Iyubimyy." Ich platzierte einen Kuss auf seinen Kopf und drückte ihn fester an mich ran.

Er trug keine Schuld. Er hatte sie nie getragen.

Alles was er wollte war ein normales Leben.

Doch seine Welt ließ es nicht zu.

Es.ist.nicht.seine.Schuld.

A/N
Übersetzung:
Moy Iyubimyy=Mein Liebster

𝐏𝐬𝐲𝐜𝐡𝐨 ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt