Kapitel 34-Aufgehalten

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Ich laufe die lange Straße entlang und versuche meine Wut im Zaum zu halten. Alej hat es heute echt übertrieben. Wie kann er mir nur die Schuld in die Schuhe schieben? Das ist seine Schuld und NUR seine! Was ist auch sein Problem?! Wenn er und die Jungs Sport machen wollen und noch mehr an Muskeln zulegen wollen, sollen sie es ruhig tun. Das ist mir völlig egal. Aber warum soll ich es jetzt auf einmal auch tun? Das ergibt doch überhaupt kein Sinn!


Ich will grade um die erste Ecke biegen, als mich eine Hand am Handgelenk packt und mich umdreht. Natürlich. Alej. Hab gar nicht mitgekriegt, dass ich verfolgt wurde! Wahrscheinlich war ich so mit meiner Wut beschäftigt, dass ich gar nicht auf meine Umwelt geachtet habe.


Man könnte jetzt vielleicht meinen, dass er Reue zeigt und sich eventuell bei mir entschuldigen will. Aber Fehlanzeige. Seine Augen strahlen pure Wut aus und auch seine Körpersprache zeigt nichts anderes.


Ohne irgendwas zu mir zu sagen, zerrt er mich hinter sich her und tut mir dabei echt weh. Doch ich wage es nicht, mich zu beschweren. Das würde alles nur noch schlimmer machen. Und eigentlich denke ich auch, dass er mich zurück ins Haus bringen will. Doch als er die Beifahrertür seines Autos aufmacht und mich förmlich darein schubst, bin ich ziemlich verwirrt. Was hat er jetzt mit mir vor? Will er mich irgendwo aussetzen, weil er die Nase voll von mir hat?


Aber wenn ich es mir recht überlege, würde ich das Alej nicht zutrauen, auch in dieser Situation nicht. Dafür vertraue ich ihm zu sehr.


Die ganzen 20 Minuten, die er mit mir durch die Gegend fährt, ist es totenstill. Nicht mal das Radio gibt einen Ton von sich. Das Einzige was ich höre, ist das Motorengeräusch und das Geräusch von der geteerten Straße. Und was dazu noch das Schlimmste ist, die Anspannung von meinem Freund ist kein bisschen verschwunden.


Urplötzlich tritt Alej ohne Vorwarnung stark in die Bremsen und wäre ich nicht angeschnallt, wäre ich gradewegs durch die Frontscheibe geflogen. Was war das denn?! Als wäre er gestört, gucke ich zu ihm rüber und versuche mein schnell schlagendes Herz wieder unter Kontrolle zu kriegen. Doch er ignoriert mich weiterhin und steigt aus dem Wagen. Mich lässt er einfach sitzen.


Doch nicht lange. „Komm mit", knurrt er mich an, nachdem er die Beifahrertür aufgerissen hat.


Vorsichtig tue ich was er sagt und gucke mich dabei unauffällig ein wenig um.


Er hat seinen Wagen auf einen großen Waldplatz geparkt, der anscheinend Mitten im Nirgendwo liegt. Und als wäre das nicht genug, ragt vor uns ein riesengroßes verlassenes Gebäude, das eher als Ruine gilt. Was will er hier mit mir?


Als wir diesem 'Gebäude' näher kommen, dringen laute Geräusche nach draußen. Hier ist jemand!? Wer um Himmelswillen will sich an diesem Ort freiwillig hier aufhalten?


„So. Ab jetzt bist du still, verstanden? Du hältst dich die ganze Zeit an meiner Seite auf und das Wichtigste. Sprich mit niemanden!"


Mit großen Augen schaue ich zu ihm rauf. „Alej. Was soll das hier?"


Mit einem Schlag kehrt die sonst so bekannte Zärtlichkeit von ihm zurück. Sanft fasst er mich an meiner Taille und zieht mich ganz nah an seinen Körper. „Ich will dir was zeigen. Zeigen, was für ein Leben ich führe. Hiernach wirst du die Aktion von vorhin ganz bestimmt verstehen Schatz."


Okay? Was für ein Leben? Und was hat dieser Ort damit zu tun?


Aber ich werde es gleich wohl erfahren. Auch wenn ich mir jetzt nicht mehr so sicher bin, ob ich es wirklich wissen will. Doch kann es so schlimm sein? Alej ist ja der gutmütigste Mensch den ich kenne!


Ganz plötzlich habe ich das Bedürfnis, Alej ganz nah bei mir zu haben. Ich strecke mich ein wenig zu seinem Gesicht und lege meine Hände an seine Wangen. So entschlossen wie schon lange nicht mehr, presse ich meine Lippen auf seine.


Alej scheint nicht erwartet haben, dass ich ihn jetzt und hier küsse. Doch nach anfänglichem Zögern erwidert er und zieht mich noch weiter zu sich.


In mir dreht sich alles, als er dies tut und es führt dazu, dass ich mich nie wieder von ihm lösen will. Nie wieder will ich ihn los lassen und wieder diese einsame Kälte in und an meinem Körper spüren. Das könnte ich nicht ertragen. Dieser eine Mensch hat es geschafft, dass ich keine Sekunde von ihm getrennt sein will und auch, dass ich keinen anderen mehr an meiner Seite haben will. Ich will ihn.


Doch als ich merke, dass Alej sich zurückzieht, schwindet das Glücksgefühl ganz schnell wieder. „Wenn du nachher noch mit mir sprichst, will ich das unbedingt noch weiter machen. Aber ich will dir jetzt erst die Wahrheit sagen."


Man. Konnte mir das nicht schon ein paar Stunden früher klar werden? Dann müsste ich mich jetzt nicht zurückhalten und Alej und ich hätten eben nicht gestritten. „Und was ist, wenn ich jetzt weiter machen will?", frage ich ihn verführerisch und fahre durch seine kurzen Haare.


Grinsend schüttelt er den Kopf, hebt mich kurzerhand hoch und dreht sich mit mir um die eigene Achse. „Endlich habe ich meinen alten Sergej wieder! Wie ich dich vermisst habe. Dich und deine Art!"


Überrascht lache ich auf und klammer mich an ihn. „Was soll das denn heißen?"


„Endlich machst du mich wieder so unwiderstehlich an und hast dein Selbstvertrauen und deine Selbstverliebtheit wieder!"


Der spinnt doch. Aber wenn ich so recht überlege, hat er vielleicht doch Recht. „Kann schon sein. Aber wenn, dann habe ich das alles nur deinetwegen wieder."


Grinsend lässt er mich die wenigen Zentimeter runter und drückt mir einen Kuss auf die Wange. „Das können wir ja gleich weiter klären, dass ich toll bin. Aber jetzt geht's erstmal auf in die Schlacht."


Auf in die Schlacht?


Lügen (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt