,,Bab, Mam, was ist hier los?!", fragte ich mit zittriger Stimme.
„Zemer...wir...wir...werden nach Kosovo abgeschoben...Papa hat seine Arbeit verloren und...", Adnan brach mitten im Satz ab und sah mir tief in die Augen.
„Pack schnell all deine wichtigsten Sachen...wir warten draußen"
Mit diesen Worten verließ Adnan mein Zimmer, gefolgt von den anderen.
Hatte ich richtig gehört?! Wir mussten nach Kosovo zurück?! Immer noch unter schock stand ich von meinem Bett auf und lief wankend zu meinem Kleiderschrank, wo ich mein Koffer herausholte und Geistesabwesend meine ganzen Sachen hinein stopfte. Mein Kopf drohte zu platzen, so viele Gedanken kreisten mir im Kopf herum...
-Mein Studium
-Argjenda
-Deutschland
-Unsere Wohnung
-Was würde uns dort erwarten?!
-Für wie lange würden wir dort bleiben?! Für immer?!
Doch der allerschlimmste Gedanke war aber Mustafa! Wir wollten es doch mit uns bekannt machen und uns dann Verloben...jedoch war alles anders gekommen. Ich würde in ein ANDERES Land ziehen! Was würde mit mir und Mustafa passieren?! Sollte ich ihn anrufen?! Sollte ich Dilara anrufen?!
Nein!
Ich brachte es nicht übers Herz, Mustafa anzurufen und es ihm zu sagen...er würde doch total ausrasten, und verhindern könnte er es auch nicht...
Ich spürte wie mir unkontrolliert Tränen übers Gesicht liefen, da ich wusste was das bedeutete...
Ich musste Mustafa vergessen, egal wie sehr ich ihn liebte...er würde mich vergessen und ein neues Leben ohne mich anfangen müssen. Mein Schluchzen wurde immer heftiger. Wie konnte das alles nur so kommen?! Ich wusste ja schon immer, dass wir kein geregeltes Aufenthaltsrecht hatten und mein Vater schwarz gearbeitet hat, aber dass es mal so kommen würde, hätte ich niemals gedacht! Niemals...
Ich stützte verzweifelt mein Kopf an meinen Händen ab und ließ meinen Tränen freien lauf.
Wie könnte ich nur ohne Mustafa leben?! WIE?! Als ich daran dachte, wie er wohl reagieren würde, wenn er es erfährt, gefrier mir das Blut in den Adern.
„Adelin?"
Erschrocken fuhr ich hoch und erblickte Luan hinter mir. Als ich seine von weinen geröteten Augen sah, konnte ich mich nicht länger zurück halten und nahm ihn fest in meine Arme, wo ich ihm mehrmals hintereinander Küsse auf dem Kopf gab. ,,Schhht mein Schatz, mach es Mama nicht noch schwerer...", schluchzte ich leise und drückte ihn fester an mich.
„Seid ihr bereit?", fragte Adnan, der plötzlich an der Türschwelle stand und uns mit einem Todernstem Gesichtausdruck ansah.
„Noch nicht", sagte ich leise und lief zu meinem Handy, wo ich meine Sim Karte raus nahm und sie anschließend mit tränen in den Augen in den Mülleimer wurf. So war es nur besser...
„Lasst uns gehen...", sagte Adnan leise und hatte um mich und am Arm gelegt. Schweren Herzens folgte ich meinem Bruder in den Flur, wo ich meine Mama in den Armen von Luan sah. Als ich zu meinem Vater sah, und ich feststellte, dass seine glänzenden braunen Augen auf mir ruhten, konnte ich mich nicht länger beherrschen und war zu ihm gerannt, wo er mich fest in seine Arme nahm.
„Es tut mir so leid mein Kind...bitte vezeih mir", sagte mein Vater und gab mir immer wieder einen Kuss auf dem Kopf.
„Bab, hör auf damit, es gib nichts, für das du dich entschuldigen musst...bitte hör auf damit...", wimmerte ich schon halber und umarmte ihn wieder ganz fest.
„Es tut mir so leid, dass ich so versagt habe...es tut mir so leid meine Tochter...", sprach er immer wieder leise, was mein Herz nur noch mehr zum bluten brachte.
„Es tut uns wirklich leid, aber wir müssen sie bitten jetzt mitzukommen...", sagte plötzlich einer der Polizisten und sah uns mitfühlend an.
„Bismillahirrahmanirrahim", murmelte mein Vater leise, als wir die Wohnung verließen...Alles war so schnell gegangen...
Wir wurden von den Polizisten zum Flughafen gefahren, wo wir unter ihrer Aufsicht in ein total überfülltes Flugzeug gesteckt wurden. Und jetzt...jetzt saßen wir im Wohnzimmer meines Onkels in Kosovo in Gjakov. All meine Verwandten waren gekommen, als sie die Nachricht mitgekommen hatten. Alle weinten und sagten solche Sprüche wie: Wieso?! Wieso gerade ihr?! Und solche Sachen... was es uns nicht gerade einfacher machte. Ich war die ganze Fahrt über leise gewesen und hatte kein Mucks von mir gegeben...ich war innerlich tot. Seit heute morgen war ich eigentlich tot...ein teil meines Herzens war gestorben, und dieser Teil war Mustafa.
„Oh Gott Adelin!", hörte ich plötzlich meine Cousine Fiona weinen, die mich sofort in ihre Arme schloss. Fiona lebte hier und war die Tochter meines Onkels. Eigentlich hätte ich mich total gefreut sie zu sehen aber wie konnte ich mich denn jetzt freuen, in so einer Situation...Wie?!
Als ich immer noch wie erstarrt in leere starrte, und gar nicht realisierte, dass Fiona mich etwas gefragt hatte, packte sie mich plötzlich am Arm und lief mit mir im Schlepptau ins zweite Stockwerk, wo ihr Zimmer war. Endlich war ich alleine! Endlich sah ich keine weinenden Gesichter mehr vor mir.
„Adelin..." Fiona setzte sich leise zu mir aufs Bett und sah mich schweigend an.
„Ich weis, wie du dich fühlst, dass haben wir auch alles mitmachen müssen...ich kann dich wirklich verstehen...", sagte sie mitfühlend und strich mir liebevoll über den Rücken.
„NEIN Fiona, du kannst mich nicht verstehen! Das kann niemand...niemand", wiederholte ich und lies meinen Tränen freien lauf. Fiona nahm mich ohne was zu sagen in ihre Arme, wo ich mich eng einkuschelte, und sagte mit sanfter Stimme: „Zemer...bitte wein nicht...ich weis wirklich, wie du dich fühlst..."
„Nein Fiona, dass weist du nicht! Ich...ich habe einen Freund, mit dem ich mich in der nächsten Zeit Verloben wollte...doch jetzt?! Jetzt ist er in Berlin und ich in Kosovo! Fiona, er weis nicht mal, dass ich weg bin! Weist du wie er reagieren wird, wenn er es herausfindet?! Fiona, ich liebe diesen Mann so unendlich sehr, und jetzt muss ich ihn einfach vergessen, ihn gehen lassen...ich wein nicht, weil ich dort mein Haus gelassen habe, oder dort nicht studieren kann. Ich weine um Mustafa, um meinen Mustafa, den ich vielleicht nie wieder sehen werde...", schluchzte ich leise und sah in Fionas Augen, die total rot vom weinen waren.
„Ich liebe ihn doch so sehr..." flüsterte ich leise und dachte wieder an ihn. An sein schönes Gesicht, dass ich vielleicht nie wieder sehen würde...