Kapitel 14

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Nun also stand ich wieder in dem kleinen Wohnzimmer mit dem rot gemusterten Teppich und den altmodischen Möbeln. Hellen saß im Sessel und strickte. Sie sah von ihrer Arbeit auf und als sie mich erkannte hellte sich ihre Miene merklich auf.

„Wie schön, dass du dich an mich erinnert hast", begrüßte sie mich fröhlich.

Ich setzte mich ihr gegenüber aufs Sofa. „Das ist doch selbstverständlich."

Hellen zog eine graue Augenbraue hoch. „Nein, ist es nicht. Du musst wissen, nicht viele Leute besuchen mich."

Trotz ihrer traurigen Worte wirkte sie unbeschwert. Fast, als hätte sie damit abgeschlossen. „Was ist mit deinen Kindern?", hakte ich interessiert nach.

Sie winkte ab. „Callam ist beruflich sehr beschäftigt und ich glaube er erträgt meinen vergänglichen Anblick nicht. Aber die kleine Alea besucht mich ab und zu. Was heißt klein, sie ist jetzt ja auch schon eine Weile erwachsen."

Ich musste lächeln. Hellen war eine so herzliche Frau, die ihre Kinder liebte. Ich bewunderte ihre Stärke.

Gerade, als ich etwas erwidern wollte hielt sie mich mit einer Handbewegung auf. „Erst mache ich dir deine Tasse Tee, dann können wir uns unterhalten."

Ich wollte ihr zwar keine Umstände machen, konnte sie aber auch nicht aufhalten. Also kramte ich in meiner Tasche und suchte die Zeichnung, die ich ihr mitgenommen hatte. Es war das einzige Bild, auf dem Silen zu sehen war. Man sah seine Silhouette mit einer magischen Aura, die das Mondlicht erschuf. Ich leg ihr das Blatt auf den Tisch, ohne etwas dazu zu sagen. Hellen stellte die Tasse mit dem heißen Tee vor mir ab und betrachtete das Bild. Ihre Augen wurden feucht, aber trotzdem legte sich ein Lächeln auf ihre Lippen.

„Ich würde diese Silhouette überall wieder erkennen", flüsterte sie gerührt. „Hätte ich noch an deiner Glaubwürdigkeit gezweifelt, dann bis spätestens jetzt."

Hellen setzte sich und ich nippte an meinem Tee. Als plötzlich eine Gestalt hinter der alten Frau auftauchte, hätte ich mich beinahe verschluckt.

„Alles in Ordnung, Mädchen?" Hustend stellte ich die Tasse ab, als Hellen mich sorgenvoll anblickte.

Ich nickte. „Ja, alles gut, nur..." Ich warf einen entsetzten Blick über ihre Schulter. „Er ist hier. Silen ist hier."

Seine rot blitzenden Augen ruhten auf Hellen. Er war so ruhig, fast schon starr. Hellen fuhr herum und suchte den Raum ab. „Silen?"

Jetzt traf sein Blick auf meinen und er nickte kaum merklich. Aber ich hatte verstanden. „Er steht hinter dir, vor der Balkontür", erklärte ich ihr sanft.

Sie sah ihn an, ohne ihn sehen zu können. „Silen, mein Sohn, wenn du mich hören kannst, deine Freundin hat mir alles erzählt. Und ich möchte, dass du weißt, dass ich dich nicht verurteilen. Ich bin stolz auf dich, dass du immer auf deinem Weg geblieben bist. Aber ich wünschte, wir hätten mehr Zeit miteinander gehabt." Hellen warf mir einen kurzen fragenden Blick zu. Ich nickte ihr aufmuntern zu.

Silen richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf mich. Seine Augen glänzten verräterisch. „Sag ihr, ich bin stolz auf sie, weil sie mit ihrem Leben weiter gemacht hat."

Ich gab die Worte so an Hellen weiter.

„Es ist ein Jammer, dass du erst als Geist eine so gute Freundin gefunden hast", wies seine Mutter ihn zurecht.

Silen warf mir sein schiefes Grinsen zu und auch ich musste lächeln. „Sag ihr, dass du mehr sein könntest, als nur eine gute Freundin."

Mein Lächeln schwand und ich funkelte ihn böse an. „Sicher nicht."

Hellen musterte mich interessiert. „Was hat er gesagt?"

„Das willst du nicht wissen", gab ich missmutig zurück.

„Schätzchen", begann seine Mutter und sah dabei aber mich an, „ich sehe vielleicht meinen Sohn nicht, aber ich sehe, wie du ihn ansiehst." Sie zwinkerte mir vielsagen zu.

Ich rollte mit den Augen. Das durfte doch nicht wahr sein. „Ihr seid wirklich miteinander verwandt." Trotzdem musste ich lächeln.

Danach unterhielten wir uns noch lange Zeit. Hauptsächlich musste ich Hellen von Silens Tod erzählen. Ein paar Tränen wurden vergossen, aber auch manchmal Tränen vor Glück. Hellen erzählte außerdem, was sie die letzten Jahre über gemacht hatte und wie Chris gestorben war. Silen weinte nie, aber er saugte jedes Wort, das seine Mutter sagte förmlich auf.

*

Die frische Herbstluft strich mir kühl um die Nase. Sogar in der baumlosen Stadt wurden bunte Blätter über die Straße geweht. Autos rauschten an uns vorbei und brachten stinkende Abgase mit sich.

„Das mit der Geisterwelt ist anders, als du denkst."

Ich hob eine Augenbraue und sah Silen von der Seite an. „Wie meinst du?"

Er atmete einmal tief durch und vermied es, mich anzusehen. Wir hatten gerade das Altersheim verlassen und wie es schien, hatte der Besuch etwas in Silen dazu bewegen können mir die lang ersehnten Informationen zu geben. „Nur weil du stirbst, heißt das nicht, dass du zu einem Geist wirst."

Ich beobachtete ihn erstaunt und wartete, bis er weitersprach.

„Du wirst nur ein Geist, wenn du mit deinem Leben noch nicht abgeschlossen hast. Wenn du noch etwas erledigen musst. Aber wenn du mit dir im Reinen bist kommst du in die Welt danach und findest Ruhe."

„In die Welt danach?" Ich musste mich zwingen, ihn nicht an den Schultern zu packen und zu schütteln. Denn das ging ja nicht. „Was meinst du damit?"

Silen hob vielsagend die Hände. „Ich weiß es nicht. Unter uns Geistern wird nur von der anderen Welt gesprochen, aber was es ist erfahren wir erst, wenn wir Ruhe finden."

Meine Gedanken rasten. Verdammt, wie sollte mir das weiterhelfen? „Was ist mit Keyla? Wo ist sie?"

Schon bevor Silen den Mund aufmachte, kannte ich die Antwort. „Sie ist nicht hier, somit vermute ich, dass sie Ruhe gefunden hat."

Ja, mit Sicherheit hatte sie das. Keyla wollte nie mehr, als sie hatte. Sie war stets mit allem zufrieden, hat nie mit jemandem einen Streit begonnen. Es gab nichts, was sie noch erledigen müsste. „Deshalb hat sie nicht auf meine Rufe reagiert", schlussfolgerte ich.

Silen nickte. „Du kannst nur die Geister sehen, die gesehen werden wollen. Aber ich hätte sie gesehen, wenn sie dagewesen wäre."

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