"Wie ist es passiert?", wagte ich zu fragen.
Endlich riss Silen sich von dem Anblick los und sah mich traurig an. „Der Wagen hat einen kleinen Schlenker gemacht, warum auch immer. Aber ich hatte schon abgedrückt."
„Man steht daneben und weiß genau, was passieren wird. Aber man kann nichts tun, nichts am Ausgang ändern. Man wird gezwungen, es mit anzusehen. Und man muss mit den Konsequenzen leben, ob man nun etwas dafür konnte, oder nicht. Das Leben ist grausam." Der kalte Wind um uns herum brachte mich erneut zum Zittern, während wir uns einfach nur ansahen. Jeder wusste, was in dem Kopf des Anderen vorging, welche Szene sich gerade abspielte. Nur mit ihm konnte ich über solche Dinge sprechen, nur er verstand mich. Ich schob meine kalten Hände in die Taschen meines schwarzen Wintermantels. Silen trug nur einen schwarzen Kapuzenpullover, aber vermutlich froren Geister auch nicht.
Schließlich nickte er und meinte: „Lass uns wieder gehen."
„Danke, dass du mir den Ort gezeigt hast." Wir hatten die Straße wieder erreicht und gingen zurück nach Hause.
Silen war immer noch ziemlich still und der Schalk war aus seinem Gesicht verschwunden. Ihn so anders zu sehen tat mir in der Seele weh. „Du wolltest etwas über meine Vergangenheit erfahren. Was wäre besser geeignet gewesen, als dieser Ort?"
„Trotzdem, ich weiß, wie es ist, an einen solchen Ort zurückzukehren."
Silen warf mir einen kurzen Blick von der Seite zu. „Bist du jemals an den Ort zurückgekehrt, an dem es passiert ist?"
Ich wusste, wovon er sprach. Keyla. Ich schüttelte langsam den Kopf. „Nein, die Bilder verfolgen mich sogar in meinen Träumen, ich glaube, wenn ich dorthin zurückgehen würde, müsste ich den ganzen Schmerz erneut fühlen. Dazu bin ich nicht bereit."
„Ich würde dich begleiten", erklärte Silen überzeugt.
Ich lächelte ihn an. „Vielleicht irgendwann."
„Weiß Dylan wie sehr du leidest?"
Die kalte Luft brannte in meiner Lunge. Ich zog eine Augenbraue hoch. „Wie kommst du denn jetzt schon wieder auf Dylan?" Anscheinend ließ ihm das keine Ruhe, aus welchem Grund auch immer. „Nein, er weiß es nicht und das ist auch besser so. Die meisten Menschen wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Sie fangen an die in Watte zu hüllen und behandeln dich nicht mehr wie einen Menschen, sondern wie ein Porzellangefäß, voller Mitleid und Vorsicht."
„Ich kam nie dazu so eine Erfahrung zu machen."
Ich hörte das Unausgesprochene in seinen Worten. Er war gestorben, bevor er jemandem von dem Unfall erzählen hatte können. „Hättest du es denn jemandem gesagt?"
Silen seufzte und schob die Hände in die Hosentaschen. „Nein, meine Familie wusste nichts von meinem Job. Es hätte sie zerrstört, zu wissen, dass ich aus Vergnügen Menschen töte."
Mich überlief ein Schaudern. „War es denn nur aus Vergnügen?"
Er warf mir einen irritierten Blick zu. „Nein, natürlich nicht. Aber sie hätten nicht verstanden, dass ich es tue, weil ich wirklich gut darin bin. Meine Eltern wollten immer, dass ich studiere, wie mein großer Bruder und Anwalt werde, dass ich einen sicheren und ordentlichen Job bekomme. Sie dachten immer, dass ich nur auf der faulen Haut liege. Ich habe ihnen auch nie mein Loft gezeigt, vor Scham, weil es wirklich chaotisch aussah." Ein kleines Lächeln zuckte über seine Lippen. „Mein Auto allerdings sah gut aus. Als Auftragskiller verdient man gar nicht schlecht und deshalb konnte ich mir einen Lamborghini leisten, meine Eltern dachten vermutlich es wäre gestohlen gewesen. Ich werde ihre mitleidigen Blicke nie vergessen. Bei jedem Familienessen hat mein Bruder erzählt welche neuen Erfolge er wieder geschafft hatte und meine Eltern haben mir jedes Mal erklärt, dass sie mir ein Studium sogar finanzieren würden und dass ich wieder bei ihnen wohnen konnte."
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Ghost Whispers
RomanceRayn hat den wichtigsten Menschen in ihrem Leben verloren: ihre beste Freundin. Zu ihren Eltern hat sie ein distanziertes Verhältnis, weshalb ihr nur ihre Freundin wirklich wichtig gewesen war. Doch Rayn will nicht einfach aufgeben, will nicht ohne...