Kapitel 17

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Der stechender Geruch des alten Mannes blieb mir noch lange in der Nase. Immer wenn ich an diese merkwürdige Begegnung zurückdachte, lief mir ein Schauer über den Rücken. Dieses faltige Gesicht würde ich wohl nie mehr vergessen können. Silen verhielt sich nach diesem Zusammentreffen ziemlich ruhig. Er war wohl genauso geschockt von meiner Reaktion, wie ich selbst es war. Eigentlich war ich kein aggressiver oder streitlustiger Mensch, doch bei dem abstoßenden Mörder war etwas mit mir durchgegangen. Die Angst, die man wahrnehmen sollte, wenn man einem Serienkiller gegenüber stand, setzte erst auf der begleitenden Busfahrt ein, als das Adrenalin abebbte. Mein Körper zitterte, obwohl ich dank Silen nicht fr. Ich wusste selbst nicht, was in mir gefahren war, aber ich empfand eine solche Wut gegenüber diesem Mann, dass ich mich nicht zurückhalten konnte. Dieser Mr. Rogers hatte Silen kaltblütig ermordet, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob der Tod seiner Tochter vielleicht schlichtweg ein Unfall gewesen war, so tragisch dieses Ereignis auch gewesen sein mag. Aber das schlimmste war, dass dieser Mann auch so viele andere Menschen umgebracht hatte. Unschuldige Menschen. Und deren Familien waren trauernd und nichtsahnend zurückgeblieben. So wie ich nach Keylas Tod zurückgeblieben war. Ich verstand den Schmerz dieser Menschen nur zu gut, vielleicht war mir auch deshalb eine Sicherung durchgebrannt. Doch der Serienkiller hätte noch viel mehr verdient, als eine harmlose Konfrontation. Etwas in mir sieht sich nach Rechenschaft, nach Vergeltung. Doch bei dem Gedanken daran wurde mir schlecht. Ich war nicht wie er, ich war besser. Zumindest sollte ich das sein. Trotzdem empfand ich Ehrfurcht, wenn ich daran dachte, was Silen getan hatte. Er hatte die bösen Menschen auf dieser Welt gejagt und zur Strecke gebracht. Durch ihn war die Welt sicherer geworden für die unschuldigen und unwissenden Leute. Leider konnte er seine Arbeit nicht zu Ende führen, weil ihm Mr. Rogers einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Ich hörte auf willkürliche Striche auf das Blatt vor mir zu malen und sah zu Silen hinüber, der in einem Buch vertieft auf dem Sofa saß.

„Wie tötet man einen Menschen?"

Silen hob irritiert eine dunkle Augenbraue, als er mich ansah. „Dafür gibt es ziemlich viele Möglichkeiten."

Ich tippte mit dem Bleistift auf die Schreibtischkante. „Ja, aber welche ist die Beste?"

„Du meinst, welcher Mann am besten verschleiern kann?" Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor seiner muskulösen Brust. Ein amüsiertes Grinsen schlich um seine Lippen. Er ahnte bereits in welche Richtung das Gespräch geführt. „Es kommt immer darauf an, welche Mittel du zur Verfügung hast. In deinem Fall würde ich ihn mit einem Scharfschützengewehr umlegen."

„Von wem sprichst du?", frage ich unschuldig.

Er lachte auf. Es war ein dunkler und rauchiger Laut. Seltsamerweise wünschte ich mir sogleich er würde öfter lachen. „Du hast den Mann angefallen, wie ein Terrier. Außerdem ist er ein schlechter Mensch. Mir ist klar, was du vorhast."

Ich schüttelte den Kopf. „Selbst wenn du recht hättest, ich habe kein solches Gewehr."

Silen grinste vielsagend. „Du nicht. Aber ich."

„Du bist ein Geist", stellte ich überflüssigerweise fest. „Du kannst nichts anfassen, also auch nichts besitzen."

„Das stimmt. Aber du vergisst gerade, dass ich einmal ein Mensch war. Und zufälligerweise auch ein Auftragskiller."

Ich machte ein gespielt überraschtes Gesicht. „Was du nicht sagst. Und wie soll mir das weiterhelfen?"

„Nach meinem Tod wurde meine Wohnung ausgeräumt", erklärte er. „Sie steht immer noch leer. Allerdings wurden meine kleinen Verstecke nie gefunden." Silen grinste verschmitzt.

Dieses böse, hinterlistige Etwas in mir machte einen Freudensprung. „Du willst mir sagen, dass in dieser Wohnung noch ein ganzes Waffenarsenal ist?"

Silen nickte grimmig.

Ghost WhispersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt