Kapitel 8

3 0 0
                                    

Ich pinnte das Blatt mit den schwarzen Kreisen darauf an die Holzscheibe. Dann wandte ich mich begeistert zu Silen um, doch nach einem Mal Blinzeln stand er nicht mehr vor mir, sondern am anderen Ende des Feldes. Verdammter, arroganter Mistkerl! Fluchend folgte ich dem Angeber.

Als ich unseren Ausgangspunkt wieder erreicht hatte, brachte ich mich in Position und hob das Gewehr.

„Du musst es an der Schulter anlegen", kommentierte Silen besserwisserisch. Doch ich folgte seiner Anweisung, wobei mir ein kalter Schauer über den Rücken lief, bei dem Gedanken, dass er ein Profi war. Ein Profi im Menschen töten. „Und du solltest dich hinlegen. Dann hast du mehr Stabilität."

„So?", fragte ich unsicher und ungeduldig. Silen führte seine Hand an meine Linke und zeigte mir, wo ich sie hinlegen musste. Die Tatsache, dass ich seine Berührung nicht spüren konnte irritierte mich mittlerweile kaum noch.

„Das sieht für den Anfang gar nicht mal schlecht aus." Er betrachtete mich mit kritischem Blick und deutete dann auf das Ziel. „Lass dir Zeit beim Zielen und schieß beim Ausatmen."

„Okay." Ich sah durch das Zielfernrohr und richtete den Punkt in der Mitte auf mein Ziel. Ich atmete tief ein und versuchte mich zu beruhigen. Dann atmete ich aus und drückte ab. Ein lautes Knallen wurde durch den Schuss erzeugt. Adrenalin durchflutete mich und vorbei war es mit der Ruhe. Ich quietsche vor Freude. „Habe ich getroffen?", fragte ich Silen aufgeregt.

Er hob eine dunkle Augenbraue und verschwand. Eine Sekunde später stand er wieder vor mir und nickte. „Ja, hast du." War das Anerkennung in seinem Blick?

Ich jubelte ein weiteres Mal.

„Aber nicht in die Mitte." Silen grinste mich herausfordernd an.

Ich verdrehte die Augen und zielte erneut. Auf der Scheibe konnte ich jetzt auch das schwarze Loch im weißen Rand erkennen. Mein Atem wurde ruhig und ich spürte den sanften Wind, wie er mir über die Finger strich und an meinen Haaren zupfte. Kurz fragte ich ich mich, ob er natürlichen Ursprungs war, oder ob Silen versuchte, mich abzulenken. Doch ich ließ mich nicht beirren. Mein Finger glitt hauchzart über den Abzug und als ich abdrückte rauschte eine Flut an Emotionen durch meinen Körper. Das Gefühl grenzenloser Macht war berauschend und zu meinem Erschrecken fühlte sich die Waffe in meiner Hand nicht fremd an, nicht einmal ungewohnt. Eher als wäre sie ein Teil von mir.

Fragend blickte ich Silen an, der daraufhin kurz verschwand und sogleich wieder auftauchte.

„Nicht schlecht", urteilte er. „Du hast du Mitte nur knapp verfehlt."

Mein Lächeln wurde breiter. „Es ist ein berauschendes Gefühl. Ich verstehe jetzt, warum du das gerne gemacht hast."

Silens Gesichtszüge verdunkelten sich und Schatten traten in seine Augen. Ein weiteres Zeichen dafür, dass seine Überheblichkeit und Arroganz nur eine Maske waren.

„Was ist?", frage ich vorsichtig.

Er versuchte sich an einem unbeschwerten Lächeln, doch es erreichte nicht seine Augen. „Nichts. Willst du mal auf einen Menschen schießen?"

Ich starrte ihn entgeistert an. „Nein?!"

Silen löste sich vor meinen Augen auf und stand dann vor meiner Zielscheibe. Auffordernd hob er die Hände.

Also brachte ich mich wieder in Position und zielte direkt auf sein Herz. Das Bild allein reichte, um mir einen Schauer über den Rücken zu jagen. Wäre ich mir nicht sicher gewesen dass die Kugel Silen nicht berühren konnte, wäre mir wahrscheinlich übel geworden. Auch dieser Schuss hallte in meinen Ohren wider. Ich schaute weiterhin durchs Zielfernrohr und musste mit ansehen, wie Silen sich die Hände auf die Brust drückte und zu Boden sank. Jeglicher Gedanke war aus meinem Kopf gewichen. Ich sprang auf und rannte so schnell ich konnte übers Feld. Was war, wenn ich ihn umgebracht hatte? Das würde ich mir nie verzeihen können. Mein Atem brannte in meinen Lungen, doch ich sprintete weiter. „Silen!", rief ich panisch schon nach der Hälfte der Strecke. Men Herz schlug mir bis zum Hals. Als ich ihn fast erreicht hatte, wollte ich mich gerade auf den Boden fallen lassen, als ich sein kehliges Lachen vernahm. Irritiert starrte ich ihn an, wie er auf dem Rücken im Gras lag und mich auslachte. Nirgends erkannte ich Blut. Wie auch, er war schließlich ein Geist. Vor Wut schnaubend wandte ich mich ab und stapfte den Weg zurück. Wie hatte ich nur auf ihn reinfallen können? Sein Täuschungsmanöver war geradezu offensichtlich gewesen. Mein Herz schlug immer noch wie nach einem Marathon, als ich wieder bei meinem Gewehr ankam. Beschämt blickte ich durch das Fenster in den kleinen Laden, doch der Verkäufer war zum Glück auf seine Unterlagen konzentriert. Etwas erleichtert setzte ich mich ins Gras und versuchte meine Wut unter Kontrolle zu bringen, was gar nicht so einfach war. Als Silen wieder neben mir auftauchte grinste er immer noch und konnte es sich gerade so verkneifen wieder lauthals loszulachen. Doch die Schatten waren nicht aus seinen Augen verschwunden, weshalb ich mir einen bissigen Kommentar verkniff. Aber den vernichtenden Blick warf ich ihm trotzdem zu und er quittierte ihn mit einem frechen Zwinkern.

Ghost WhispersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt