Kapitel 27

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Silens Herz pochte ruhig unter meinem Ohr. Ich lag auf seiner Brust und genoss die Wärme seines Körpers. Silen spielte mit einer meiner schwarzen Haarsträhnen. Ich fand es immer noch erstaunlich wie vertraut wir inzwischen miteinander umgingen. Als hätte es nie etwas anderes gegeben, als uns. Immer nur uns. Als wären wir die einzigen Menschen auf der Welt. Doch so war es leider nicht. Es gab noch tausende andere Menschen. Unweigerlich musste ich an Hellens Worte bei unserem letzten Besuch denken. Zeigt es ihnen, wie ihr es mir gezeigt habt. Natürlich hatte ich sofort gewusst, wen sie meinte. Aber es war in der Zwischenzeit so vieles passiert, dass ich nicht den Mut aufbringen konnte, ihrem Wunsch zu folgen. Wenn ich ehrlich war, hatte ich immer noch Angst davor. Aber sie hatten das Recht es zu erfahren. Und auch Silen würde es gut tun, selbst wenn er sich das nicht eingestehen wollte.

„Was hältst du davon, wenn wir deine Familie besuchen?", begann ich vorsichtig das Thema. Ich spürte wie sich Silen unter mir versteifte. Ein Blick in seine roten Augen bestätigte mir, dass er sich vor mir abzuschirmen versuchte.

„Warum?", fragte er einsilbig.

Mir tat es leid, dass ich ihn mit diesem Thema quälen musste, doch wir konnten es nicht ignorieren. „Hellen hat gesagt, sie hätten das Recht es zu erfahren. Und das stimmt. Sie müssen es erfahren. Und es wird auch dir helfen, sie alle wiederzusehen." Insbesondere deine Schwester kennenzulernen, fügte ich stumm hinzu.

„Ich wüsste nicht, was mir das bringen sollte." Natürlich sprach er nur von seinem Bruder, denn er wusste noch gar nicht, dass er eine Schwester hatte, fiel mir gerade mit Entsetzen auf. Ich hatte völlig vergessen es ihm zu sagen.

„Willst du nicht deine Schwester kennenlernen?"

Silen richtete sich ruckartig auf und ich plumpste aufs Bett. „Meine was?"

„Deine Schwester", erklärte ich vorsichtig. „Bevor du gestorben bist haben deine Eltern ein Mädchen adoptiert. Du konntest sie leider nicht mehr kennenlernen. Sie heißt Alea."

Silen musterte mich stumm. Ich konnte seinen Blick nicht deuten.

„Und Callam hat eine Tochter", fügte ich hinzu. „Du bist also Onkel. Die Kleine heißt Celena." Ich starrte nachdenklich an die Decke. „Was heißt Klein, sie ist jetzt auch schon 32."

„Cal ist 62", murmelte Silen nachdenklich.

Ich musterte ihn. „Wie alt warst du, als du gestorben bist?"

Silen wandte sich zu mir um und grinste mich verschmitzt an. „Ich war 25 und das bin ich auch immer noch. Mein Bruder war zwei Jahre älter."

Ich quälte mich aus dem Bett und ging zu meinem Kleiderschrank.

„Was hast du vor?", fragte Silen skeptisch.

Ich zuckte mit den Schultern. „Wir gehen sofort zu Callam. Sonst erfindest du wieder irgendeine blöde Ausrede." Meinen großen schwarzen Pullover würde ich gegen ein dunkelrotes Sweatshirt tauschen und die weite Jogginghose gegen eine enge schwarze Jeans. Mit den Klamotten im Arm ging ich zu meinem Bad.

Silen musterte mich mit hochgezogener Augenbraue. „Muss ich dir sagen, dass ich das für eine schlechte Idee halte?"

Ich schenkte ihm ein unschuldiges Lächeln und schloss die Tür hinter mir.

*

Zwei Stunden später standen wir vor einer dunklen Holztür. Die Adresse hatte ich von Hellen bekommen. Ein Mann, den ich auf Mitte vierzig geschätzt hätte, öffnete die Tür. Er hatte braune Haare, die ordentlich frisiert waren. Blaugrüne Augen musterten mich abschätzend.

„Callam Ryder?", fragte ich trotz der Ähnlichkeit mit Silens Beschreibung, seines früheren Aussehens.

Der große Mann nickte.

„Ich bin Rayn. Und ich bin hier, wegen Silen."

Die dunklen Augenbrauen meines Gegenüber zogen sich irritiert zusammen. „Diesen Namen habe ich schon sehr lange nicht mehr gehört." Er hatte eine angenehme dunkle Stimme.

Er machte die Tür weiter auf und bat mich hereinzukommen.

Das Haus war in einem rustikalen Stil eingerichtet mit viel Holz, aber trotzdem modern. Wir setzten uns an einen großen Ecktisch, der in dem stillen Haus fehl am Platz schien, doch früher bestimmt von einer ganzen Familie genutzt worden war.

„Also, was kann ich für dich tun?", fragte Silens Bruder höflich.

Die zwei Brüder waren wirklich wie schwarz und weiß. Während Callam ruhig und diszipliniert war, war Silen draufgängerisch und arrogant. Innerlich musste ich über die Verschiedenheiten lachen.

Silen saß neben mir und versuchte, Callam nicht in die Augen zu sehen.

Ich riss mich zusammen und erzählte Callam alles, was ich auch Hellen erzählt hatte. Dass ich Silen sehen und nun auch berühren konnte. Doch meine Gefühle für ihn verschwieg ich, da mir das zu intim wurde.

Als ich fertig war blickte mich Callam mit großen Augen an. Er wirkte jetzt nicht mehr so müde und überfordert, wie zuvor.

Ich schluckte unsicher.

„Das ist... das ist viel", bemerkte Callam und räusperte sich. „Ich würde dir nur zu gerne glauben, aber es wirkt alles so... fiktiv."

„Erzähl ihm, dass ich einmal so betrunken nach Hause gekommen bin, dass ich mein Zimmer nicht gefunden und mich stattdessen zu ihm ins Bett gelegt habe", meinte Silen neben mir.

Ich zog eine Augenbraue hoch und warf ihm einen kurzen irritierten Blick zu, bevor ich es an Callam weitergab.

Callam lachte auf. „Das weiß niemand außer Silen und ich. Da muss ich dir wohl oder übel glauben."

Ich atmete erleichtert aus. „Du bist Anwalt?", fragte ich, um das Gespräch etwas aufzulockern.

„Ja, ich liebe meinen Job, aber manchmal ist es hart. Aktuell muss ich einen Mörder vertreten. Obwohl ich weiß, dass er einige Menschen umgebracht hat, muss ich seine Unschuld beteuern." Callam faltete die Hände auf dem Tisch.

Ich nickte verstehend. „Das glaube ich gerne. Darf ich fragen wie der Mann heißt?"

Silens Bruder warf mir einen fragenden Blick zu antwortete aber dann: „Er heißt Josh Kariz. Oh, wie unhöflich von mir, möchtest du etwas trinken."

„Ein Glas Wasser bitte", bat ich lächelnd. Den Namen des Kriminellen prägte ich mir still und heimlich ein.

Als Callam das Glas vor mir abstellte fragte ich: „Wie geht es Celena? Hellen hat mir von ihr erzählt."

„Celena geht es gut. Sie studiert aktuell in New Orleans. Wie du vielleicht bemerkt hast lebe ich allein. Meine Frau und ich haben uns vor einigen Jahren scheiden lassen." Er lehnte sich zurück und lächelte mich traurig an. Um seine Mundwinkel bildeten sich Lachfältchen und ließen ihn noch freundlicher wirken.

„Oh, das wusste ich nicht. Manchmal ist es leider besser, wenn man sich trennt."

Silen versetzte mir spielerisch einen Schlag in die Seite. „Was redest du da für einen Unsinn?"

Ich musste grinsen. „Silen ist da anderer Meinung."

„Habt ihr Alea auch schon besucht", fragte Callam vorsichtig.

Ich schüttelte langsam den Kopf. „Noch nicht, aber sie steht als nächstes auf unserer Liste."

Callam nickte. „Ich habe ihr früher so viel von Silen erzählt, wie möglich, damit er nicht in Vergessenheit gerät und damit sie weiß, dass sie zwei Brüder hat, die auf sie aufpassen. Sie war damals ein so ängstliches Mädchen."

Wir unterhielten uns noch bis spät in den Abend, lachten und scherzten. Ich konnte Callam wirklich gutleiden und ich verstand, dass es Silen früher unmöglich gewesen war, an seinen Bruder heranzukommen, denn er war wirklich perfekt. Allerdings mochte ich Silen mittlerweile gerade wegen seiner Macken. Und das wurde mir erst so richtig bewusst, als ich ihn in perfekter Ausführung vor mir hatte. Auch, was die Gesichtszüge betraf sahen sie sich ähnlich, doch Silens Gesicht war noch etwas kantiger und natürlich hatte Callam keine Narben. Silen hatte mir einsterzählt, er habe damals dunkelbraune Haare und stechend blaue Augen gehabt. Das hatte ich mir damals nicht vorstellen können, doch jetzt konnte ich es. 

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