Kapitel 4

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Der Rest der Nacht verlief ruhiger, ich hatte keinen weiteren Albtraum mehr und wachte erst auf, als die Sonne mich blendete. Nach meiner Morgenroutine setzte ich mich an den Schreibtisch und schlug meinen Malblock auf. Silen war seit der Nacht nicht mehr aufgetaucht, somit konnte ich nur warten und hoffen, dass ich meine Chance nicht vertan hatte. Die schwarze Kohle hinterließ dunkle Striche auf dem hellen Papier. Seit dem Unfall stürzte ich mich in meine Bilder, um meine Gefühle zu zeigen. Allerdings zeigte ich die Zeichnungen niemanden. Sie spiegelten mein Innerstes und meine tiefsten Gedanken wider und das ging niemanden etwas an. Es entstanden feine Linien für die Trauer, die nichts an ihrer Kraft verlor. Daneben flossen tiefschwarze Grobe Adern der Wut, die mich immer wieder überwältigte. Ich fuhr mit dem Finger übers Blatt, um sanfte Übergänge und Schatten entstehen zu lassen. Beim Zeichnen schaltete ich meinen Kopf vollständig aus und ließ meine Gefühle sprechen. Oft war ich selbst erstaunt, von dem, was letztendlich auf dem Papier zu sehen war. Aber danach fühlte ich mich befreiter, als würden all die aufgestauten Gedanken durch den Stift aus mir herausfließen.

Auch heute blickte ich überrascht auf das Blatt mit der düsteren Darstellung vor mir. Es zeigte einen finsteren Wald, über dem schwere Gewitterwolken hingen und zwischen den einzelnen Bäumen erkannte man helle Schemen, ohne Form und Kontur, wie aus Nebel geformt. Die Schatten des Waldes und seine Gespenster, so würde ich es beschreiben.

„Das sieht faszinierend schaurig aus." Ich zuckte zusammen.

Als ich mich umdrehte blickte ich in Silens glühend rote Augen, die vor entzücken glänzten. „Danke? Könntest du dich bitte nicht so anschleichen."

Sein Blick wurde fragend. „Ich bin ein Geist, gehe durch Wände und du kannst nicht mal meine Schritte hören. Also wie sollte ich mich bemerkbar machen, außer in dem, dass ich dich anspreche?"

Ich hob abwehrend die Hände. „Ist ja gut, ich hab's verstanden. Wo warst du?"

„Du meinst, nachdem du mich rausgeworfen hast?" Er hob eine Augenbraue.

„Ich habe dich nicht rausgeworfen, aber du warst auch nicht gerade sensibel", verteidigte ich mich.

„Ach du willst Mitleid?" Sein Ton wurde schärfer. „Verzeihung, aber ich bin tot und du lebst noch, also wenn hier jemand Mitleid verdient, dann ja wohl ich."

Ich stand von meinem Stuhl auf. Sein Standpunkt war mir klar, aber deshalb musste er noch lange nicht so mit mir reden. „Ich brauch kein Mitleid, von dir nicht und auch von sonst niemanden! Mir ist klar, dass ich besser dran bin als du, aber das gibt dir nicht das Recht meine Gefühle in den Dreck zu stampfen!"

„Was mache ich überhaupt noch hier!", fuhr er auf und wandte sich von mir ab.

„Woher soll ich das wissen!", entgegnete ich gereizt. Innerlich legte ich die Hände aneinander und betete, dass er mir trotzdem helfen würde mit Keyla Kontakt aufzunehmen, aber ich wollte und konnte jetzt nicht nachgeben.

Er drehte sich zu mir und in dem Rot seiner Augen glühte der Zorn, als er seine Lippen zu einem schmalen Strich zusammenpresste. Ich erwiderte den Blick stur.

Dann war er weg. Erleichtert atmete ich aus. Diese andauernden Streitereien machten mich fertig, dafür hatte ich keine Nerven. Erst als die Stille eine erdrückende Dauer annahm wurde mir mein Fehler bewusst. Was wenn er nicht wiederkam und ich Keyla für immer verloren hatte? Ich hatte egoistisch gehandelt, obwohl ich an sie hätte denken sollen. Aber mit Silen konnte ich kein einziges vernünftiges Gespräch führen. 

Ghost WhispersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt