Kapitel 23

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Auch auf dem Rückweg von Gundula schwiegen wir, doch diesmal war es ein äußerst unangenehmes Schweigen. Ich hätte es gerne gebrochen, wenn ich gewusst hätte wie. Silen ging es wohl ähnlich, denn er schwieg ebenfalls, wie es nur selten der Fall war. Doch plötzlich legte er den Arm um meine Schultern und zog mich an sich. Verdutzt schaute ich zu ihm auf, doch er erwiderte meinen Blick nicht. „Es tut mir leid, dass wir für Keyla nichts mehr tun können", sagte er nur.

Ich betrachtete den mit Moos bewachsenen Boden, der unsere Schritte dämpfte. „Es ist nicht deine Schuld." Vielleicht hatte er sogar mehr für sie getan, als ich hätte tun können. „Es hört sich vielleicht seltsam an, aber jetzt, da ich weiß, dass sie an einem besseren Ort ist, geht es mir besser." Silen antwortete nicht darauf, doch ich wusste, dass er mich verstand. „Endlich habe ich das Gefühl, dass ich alles getan habe, was ich konnte."

Er drückte sanft meine Schulter. „Du hast mehr getan als das. Du hast fast ein Jahr lang um deine Freundin gekämpft, hast dich nicht unterkriegen lassen und hast die Hoffnung nie aufgegeben. Und du wirst eure gemeinsamen Erinnerungen immer in Ehren halten, das weiß ich. Sie hat Frieden gefunden, also solltest du das auch tun. Sie würde bestimmt nicht wollen, dass du dein Leben in Trauer verbringst."

„Nein, das würde sie nicht", stimmte ich ihm zu. Ich war berührt von seinen einfühlsamen Worten und ich wusste, dass er Recht hatte. Keyla war immer ein fröhlicher und positiver Mensch. Wenn es nichts mehr zu Lachen gab, war sie diejenige gewesen, die den nächsten Witz ins Gespräch geworfen hatte. Ich musste ihr Andenken wahren, indem ich ihre Art zu leben weiterführte. „Ich denke wir sind jemandem einen Besuch schuldig."

Silen hob fragend eine Augenbraue, doch dann schlich sich ein schiefes Grinsen auf seine weichen Lippen.

Also fuhren wir anschließend mit dem Bus nicht nach Hause, sondern ins Altersheim zu Hellen. Die Empfangsdame begrüßte mich wie gewohnt freundlich und förmlich, während Mrs. Pella, wie auch die letzten Male kaum ein höfliches Wort für mich übrig hatte. Doch sie meckerte dieses Mal auch nicht. Vorsichtig öffnete ich die Tür zu der kleinen Wohnung, wo mich Hellen auch schon mit einem herzlichen Lächeln empfing. „Na endlich", begrüßte sie mich und ich hatte das ungute Gefühl, dass sie damit nicht nur den plötzlichen Besuch meinte. „Ich habe mich schon gefragt, wann es soweit ist." Ihre blassblauen Augen blitzten auf. Ob Silen seine blauen Augen von ihr geerbt hatte?

„Was denn?", fragte ich, obwohl ich die Antwort darauf wahrscheinlich schon kannte.

Hellen deutete zwischen mir und Silen hin und her. Woher wusste sie, dass er auf meiner rechten Seite stand? „Ihr zwei Dummköpfe habt endlich verstanden, was ihr füreinander empfindet." Sie kicherte leise.

„Woher weißt du...?"

„Ich sehe es in deinen Augen glitzern, Mädchen", unterbrach sie mich freudestrahlend.

Ich gab mich geschlagen und setzte mich neben sie in einen Sessel.

„Schon als du mir das erste Mal von meinem Sohn erzählt hast, habe ich gemerkt, dass da etwas zwischen euch ist", erklärte Hellen begeistert. Silen betrachtete seine Mutter still und in seinen Augen funkelte... Stolz? Trauer? Liebe? Ich wusste es nicht. „Weißt du, Silen hat noch nie eine Freundin mit nach Hause gebracht. Und jetzt hat seine Freundin ihn nach Hause gebracht." Sie lachte wieder. Im Gegensatz zu mir schien es ihr eine riesige Freude zu bereiten. Meine Wangen wurden heiß.

„Nun ja, ich weiß nicht, ob wir richtig zusammen sind", gestand ich kleinlaut. Ich spürte Silens stechenden Blick auf mir, ohne dass ich ihn sah.

„Natürlich sind wir das", erklärte er nüchtern.

Ich hob eine Augenbraue und sah ihm in seine rot glühenden Augen. „War das eine Frage?"

Silen setzte sein schiefes Grinsen auf und warf mir einen belustigten Blick zu. „Nein, das war eine Antwort."

Ich unterdrückte ein genervtes Stöhnen und wandte mich wieder Hellen zu, die mich aufmerksam beobachtete.

„Also erzähl, wie ist es dazu gekommen?"

Auf ihre Bitte hin erzählte ich Hellen alles, was passiert war. Angefangen bei unserm holprigen Kennenlernen, bis hin zur Kräuterhexe. Ich hatte mich schon immer leicht getan, ihr Dinge anzuvertrauen. Sie war eine gute Zuhörerin und sehr verständnisvoll. Deshalb erzählte ich ihr auch von dem Einbruch in Silens alte Wohnung und von der Mitnahme der Waffen. Auch den Mord an Rogers verheimlichte ich ihr nicht. Hellen nickte immer verstehend, unterbrach mich aber nicht. Sogar den anfänglichen Hass Silen gegenüber gestand ich ihr, denn letztendlich hatte sich dieses Gefühl in Liebe verwandelt, wie ich inzwischen begriffen hatte. Ab und zu traten Tränen in Hellens Augen, doch sie blieb stark. Silen warf hin und wieder irgendeinen überflüssigen Kommentar ein, wenn er einer anderen Ansicht war, worauf ich ihm immer einen mahnenden Blick zuwarf, den er gekonnt ignorierte. Als ich Hellen davon erzählte, dass ich Silen nun sogar berühren konnte, lief ihr doch noch eine Träne über die Wange, doch sie lächelte liebevoll.

Als ich fertig war glitt Hellens Blick neben mich, wo sie wahrscheinlich Silen vermutete, doch dieser Stand auch meiner anderen Seite. „Du darfst dieses Mädchen nie wieder gehen lassen, hörst du."

Silen verdrehte die Augen und sah mich dann eindringlich an. „Das werde ich ganz sicher nicht."

Wieder färbten sich meine Wangen gegen meinen Willen rot. „Er hat es verstanden", übermittelte ich Hellen Silens Antwort.

Ghost WhispersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt