Ich öffnete die Tür und trat ins Freie. Meine Füße waren nackt, damit ich die weiche Erde zwischen meinen Zehen spüren konnte. Die gemütliche Holzhütte hatten wir nicht verändert, doch die Wiese hatten wir vor einer Woche durch einen Wald ersetzt. Ich sog die frische Waldluft tief in meine Lungen ein. Mit einem Korb in der Hand suchte ich nach Kräutern, wegen denen mich Keyla aus dem Haus gescheucht hatte. Sie hatte mir in den letzten Wochen mehrmals angeboten durch den Nebel, wie sie ihn nannte, zu blicken. Doch ich war noch nicht bereit dazu. Zumindest redete ich mir das ein. Aber der Gedanke meine trauernde Familie zu sehen machte mich krank. Ich würde zu ihnen sehen, wenn sich alles beruhigt hatte.
Ich wollte mich gerade bücken, als ich etwas hinter mir knacken hörte. Blitzschnell wirbelte ich herum... und traute meinen Augen nicht. Den Korb warf ich achtlos zur Seite, als ich losrannte. Ich sprang ab und flog förmlich in seine Arme. Silen fang mich auf und drehte sich mit mir im Kreis. Tränen vor Freude liefen mir ungehindert übers Gesicht. Ich wich etwas zurück, um meine Lippen auf seine drücken zu können. Nach einem langen innigen Kuss löste ich mich von ihm und blickte in seine himmelblauen Augen. Dunkelbraune Strähnen fielen ihm in die Stirn, doch auf seinen Lippen lag dieses schiefe Grinsen, das ich so sehr liebte. Er hatte wieder das Aussehen vor seinem Tod angenommen, doch das störte mich nicht im mindesten, auch wenn ich die roten Augen und die silbernen Haare vermissen würde.
Meine Glücksgefühle wurde plötzlich von einem düsteren Schatten überlagert. „Was machst du hier?"
„Auch schön dich zu sehen." Sein Lächeln minderte sich nicht, während ich völlig ernst wurde.
„Du solltest dein Leben leben." Die Tränen, die mir jetzt über die Wangen liefen entsprangen nicht mehr einem Glücksgefühl, sondern Trauer.
Silen blickte mir tief in die Augen. „Ich habe mein Leben gelebt, schon vor langer Zeit. Ich hätte eigentlich schon längst hier sein sollen."
„Aber du hättest dein Leben richtig leben sollen", schluchzte ich.
„Das kann ich nicht ohne dich", erwiderte er sanft. „Glaub mir bitte, Rayn. Ich habe mit meinem Leben abgeschlossen. Sonst wäre ich nicht hier. Ich habe mich von allen verabschiedet. Aber ohne dich geht es einfach nicht."
Ich warf mich ihm erneut in die Arme. Ein kleiner egoistischer Teil von mir war froh, dass er hier war, doch der andere Teil wollte ihm eine Standpauke halten, was jetzt natürlich auch nichts mehr bringen würde. „Ich liebe dich", flüsterte ich stattdessen.
„Ich liebe dich auch", er hauchte mir einen Kuss auf die Stirn, als er mich sanft von sich schob.
Ich schnappte mir Silens Hand und zerrte ihn hinter mir her. Im vorbeigehen griff ich noch schnell nach meinem Korb.
Ich stürmte in die Küche, in der Keyla in einer Suppe rührte. Sie fuhr herum und starrte uns überrascht an.
„Darf ich vorstellen, das ist Silen", verkündete ich glücklich.
Keyla verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte katzenhaft. „Du bist also der Mann, für den sich meine Freundin eine Kugel eingefangen hat."
Meine Wangen wurden warm, aber Silen schenkte ihr ein schelmisches Grinsen.
Es war wie in einem Traum. Nie im Leben - oder im Tod - hätte ich gedacht Silen so schnell wieder zusehen. Doch jetzt war es nicht mehr zu ändern, ich würde ihn nicht wieder zum Leben erwecken können. Also blieb mir nichts anderes übrig, als das Beste daraus zu machen, dass wir jetzt endlich wieder vereint waren. Im Paradieszusammen.
The End
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Ghost Whispers
RomanceRayn hat den wichtigsten Menschen in ihrem Leben verloren: ihre beste Freundin. Zu ihren Eltern hat sie ein distanziertes Verhältnis, weshalb ihr nur ihre Freundin wirklich wichtig gewesen war. Doch Rayn will nicht einfach aufgeben, will nicht ohne...