Kapitel 3

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Das rote Licht der Ampel schien mir entgegen. Es schien mich regelrecht zu verspotten. Ich blickte gelangweilt die Straße hinunter. Da! Endlich kam mir Keyla auf der anderen Straßenseite entgegen, meine Laune wurde augenblicklich besser. Sie winkte mir schon von Weitem zu und lächelte mich an. Meine Freundin strahlte stets eine leuchtende Freude aus, egal wo sie war. Wieder starrte ich auf die Ampel, doch sie war immer noch rot. Wie konnte das sein? Es standen keine Autos an der Kreuzung. Ich sah wieder zu meiner Freundin, die die Ampel fast erreicht hatte und mir wurde schlecht. So schlecht, dass ich mich am liebsten übergeben hätte. Ich versuchte zu schreien, die Arme hochzureißen oder über die Straße zu laufen, doch ich konnte mich nicht bewegen, keinen Millimeter. Und so musste ich zusehen, wie das Auto in Zeitlupe auf Keyla zuschoss. Es kam von hinten, sie bemerkte es nicht. Aber warum nicht? Warum drehte sie sich nicht einfach um? Hörte sie etwa Musik? Wieder versuchte ich zu schreien, blieb aber stumm. Das Auto kam immer näher, bis es sie erwischte und in das Haus krachte. Sie wurde eingequetscht. Blut spritzte über die Motorhaube und an die Hauswand. Tränen liefen mir übers Gesicht und endlich konnte ich schreien. Doch ich konnte nicht zu ihr, konnte nicht nach ihr sehen. Die Ampel war immer noch rot und ich stand hinter einer unsichtbaren Wand, konnte nur zusehen. Unter der Motorhaube, auf der der leblose Körper meiner Freundin lag rauchte es. Nichts weiter geschah. Die Welt drehte sich weiter, obwohl sie das nicht sollte. Meine eigene Welt stand still. Wieso nur konnte ich nichts tun? Ich musste zu ihr, sie retten, auch wenn es dafür zu spät war, das wusste ich. Ich hätte sie warnen müssen, hätte es versuchen sollen. Ich hätte mich vor das Auto werfen und sie wegstoßen können. Ich schrie und schrie, doch niemand hörte mich.

Dann wachte ich auf. Mein eigenes Geschrei hatte mich geweckt. Es war wieder der Traum gewesen. Es war immer gleich: der gleiche Ort, das gleiche Schema, das gleiche weiße Auto und ich war immer hilflos, konnte nichts tun. Dabei war ich bei dem Unfall nicht mal anwesend gewesen. Ich war mit dem Bus von der Schule nach Hause gefahren, während meine Freundin wie immer zu Fuß gegangen war. Doch ich hatte die Unfallstelle gesehen, als der Bus vorbeifuhr und war hingerannt, nur um machtlos die roten Spritzen auf dem weißen Auto betrachten zu können. Ich wollte zu meiner Freundin, wollte mich verabschieden, doch sie ließen mich nicht. Die Polizei hielt mich fern, bis meine Eltern kamen und mich mitnahmen. Seit dem hatte ich diesen Traum, in dem immer den von der Polizei geschilderten Ablauf mit ansehen musste.

Kurzatmig schaute ich mich im Raum um und versuchte mich zu beruhigen. Ich stand auf und öffnete das Fenster, um frische Luft zu schnappen.

„Bist du jetzt fertig mit deinem Geschrei? Du raubst mir den Schlaf", erklärte eine verschlafene Stimme teilnahmslos.

Ich fuhr wütend zu ihm herum. „Und du raubst mir den letzten Nerv!", gab ich bissig zurück. „Geh doch, wenn ich dich störe!"

„Wir wissen beide, dass du mich noch brauchst", erwiderte er gelassen.

„Als ob dich das interessiert", zischte ich.

Als keine Antwort kam ging ich zum Schreibtisch und knipste eine kleine Lampe an. Doch er war weg. Ich atmete einmal tief durch. Na endlich. Ich beruhigte mich etwas und ging wieder ins Bett. Erst da fiel mir auf, dass mein Gesicht noch tränennass war. Inzwischen ignorierte ich das und versuchte wieder einzuschlafen.

Ghost WhispersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt