Kapitel 28

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Die Tür öffnete sich und Erik stand lächelnd vor mir. Er küsste mich und ich trat hinter ihm ins Haus. Er trug kurze Sporthosen und ein großes weißes T-Shirt. Er sah viel lässiger aus als ich und mit einem Mal fühlte ich mich dämlich. Wieso hatte ich mir solche Gedanken gemacht? Doch dann fiel mein Blick auf den schwarzen Controller in seiner Hand. Verwirrt sah ich zu ihm doch er lief weiter an der Küche vorbei und steuerte auf das Wohnzimmer zu, aus dem lautes Gebrüll und einige Flüche kamen.
„Ria, sorry. Wir haben die Zeit irgendwie aus den Augen verloren. Ich hoffe, dass es dir nichts ausmacht, dass wir das Game noch zu Ende spielen", sagte er und verschwand in dem Zimmer. Etwas verwirrt blieb ich um Flur stehen. Anscheinend ging es nun um Erik, mich und seine Jungs. Super. Mit einem Mal legte sich die Hoffnung, die ich vor einigen Stunden noch gehabt hatte. Ich sah zwischen dem Wohnzimmer und der Haustür einige Male hin und her, bis ich doch beschloss, zu Erik zu gehen. Sie waren völlig in das Videospiel vertieft, als ich eintrat. Niemand grüßte mich. Ich war hier völlig fehl am Platz. Wie hatte ich auch nur einen Moment denken können, dass Erik die Samstage mit seinen Jungs für mich tatsächlich aufgab oder zeitlich verlegte?
„Setzt dich, wir sind gleich durch", sagte er und wies auf den freien Platz neben sich. Ich zwang mich zu einem Lächeln, meinte aber, dass ich mich kurz auf Toilette gehen würde. Er nickte nur. Ich ging den Flur entlang und steuerte auf das Badezimmer im ersten Stock zu. Die Familienfotos, die an der Wand angebracht waren, schienen meine Schritte zu verfolgen. Und irgendwie wünschte ich mir, dass statt dem kleinen Erik, der jetzige hinter mir her kommen würde. Aber das hat er nicht. Ich hörte lautes Gegröle und Siegesrufe von unten, als ich die Badezimmertür zu zog und endlich ausatmen konnte.

Ich nahm auf dem Rand der Badewanne Platz und nahm das Handy aus der Hosentasche. Ich überlegte einen kurzen Moment, aber dann - wie selbstverständlich - wählte ich Jake's Nummer. Es klingelte und kurz drauf ertönte seine Stimme am anderen Ende der Leitung.
„Hey, na?"
„Hey", gab ich zurück, hielt dann aber kurz inne.
„Ich höre, dass irgendwas los ist. Was ist passiert, Ria?" Besorgnis schwang in seiner Stimme und mit einem Mal fühlte ich mich schlecht, ihn angerufen zu haben. Immerhin war diese Sache hier, nicht wirklich von Belang - schon gar nicht für Jake.
„Alles Gut. Sorry, ich wollte nicht stören."
„Ria", kam es fordernd von ihm. Ich hörte wie Kleidung raschelte und eine Tür geschlossen wurde. Er hatte gerade etwas anderes zu tun und ich störte offensichtlich. „Was ist los?"
Ich schwieg. Tja, was war eigentlich los?
„Ich brauch deinen Rat", gab ich nach einigen Sekunden zu. „Ich fühle mich gerade, als würde sich alles in Luft auflösen."
„Wo bist du? Ich kann in ein paar Minuten da sein!"
Ich schüttelte den Kopf. Das wollte ich nicht.
„Ich bin bei Erik", erzählte ich. „Wir wollten den Filmabend nachholen, den ich am Mittwoch verpasst hatte. Oh man Jake, ich fühle mich wie der dämlichste und naivste Mensch auf Erden."
Ein leises Knurren war von ihm zu hören, doch er behielt seine Gedanken für sich. Ich wusste, was ihm auf der Zunge lag. Wusste, was er und alle anderen über die Beziehung von Erik und mir dachten. Aber er hörte einfach nur zu.

„Ich hatte irgendwie die Hoffnung, mit ihm reden zu können um unsere Beziehung zu kitten. Aber... er seine Jungs sind noch immer da und er hat mich so gut wie nicht beachtet. Also... sei ehrlich. Was soll ich machen?"
Er atmete tief ein und sehr lange aus.
„Ich kann dir nicht sagen, was du tun sollst. Willst du überhaupt diese Beziehung retten?"
Gute Frage. Wollte ich das?
Und noch bevor ich wirklich darüber nachdenken konnte, hatte ich nein gesagt. Nein. Ich wollte diese Beziehung nicht mehr und das schon eine ganze Weile. Ich war weder traurig noch bestürzt. Auch die Wut blieb aus. Der Frust. Es war einfach ein NEIN. Ich wollte diese Beziehung nicht mehr. Mir hatte lediglich nur der Mut gefehlt bis jetzt. Ich war zu feige gewesen und hatte aus Gewohnheit an den Dingen festgehalten.
„Nein", wiederholte ich meine Worte. „Nein. Ich will das nicht mehr."
„Dann sag es ihm!", antwortete Jake und ein klein wenig stolz schwang in seiner Stimme mit. „Elisa ist da, aber ich kann in zehn Minuten bei Erik sein und dich abholen."
„Danke, aber nein", sagte ich und stand auf. „Ich werde das alleine hinbekommen und dann zurück nach Hause fahren. Aber, hier muss ich alleine durch. Das ist eine Sache zwischen Erik und mir."
„Okay. Wenn du mich brauchst, sag Bescheid."
„Danke", hauchte ich. „Übrigens: bleib anständig du Blödmann. Ich weiß ganz genau, was du und Elisa machen." Er hustete erschrocken und setzte gerade dazu an, sich irgendwie aus der Situation heraus zu reden doch ich legte einfach auf. Das zwischen ihm und Elisa war frisch und unbekannt und obwohl Jake es nie zugegeben hätte, saß sein innerer Wolf hierbei am längeren Hebel. Und irgendwas sagte mir, dass Elisa darüber alles andere als bestürzt war.

Nach einem langen Blick in den Spiegel und neuem Selbstbewusstsein, ging ich wieder nach unten. Ein letzter tiefer Atemzug, bevor ich das hier beendete.
Die Jungs saßen noch immer auf dem riesigen Sofa in der Mitte des Wohnzimmers und zockten.
„Erik", begann ich. „Wir müssen reden."
Der Lykaner nahm mich nicht wirklich war sonders schoss irgendeinem Zombie in den Kopf. Seine Freunde jubelten und klopften ihm fest auf die Schulter. „Erik?"
„Mhh?"
„Wir müssen reden."
„Ja gleich. Du warst etwas länger im Bad und da haben wir eine neue Runde angefangen. Wir sind glei- JA? Verdammt! Habt ihr das gesehen? So macht man das!" Er klopfte sich feierlich auf die Brust, nahm jedoch die zweite Hand sofort wieder an den Controller. „Sorry. Jedenfalls sind wir bestimmt gleich durch. Hol dir doch was zu trinken aus der Küche. Du kennst dich doch aus und ich bin dann gleich für dich da. Oder du sagst es vor meinen Jungs. Immerhin hab ich vor denen keine Geheimnisse."
„Ich gehe", sagte ich und war selbst erstaunt, wie ruhig ich blieb. Es war verdammt egoistisch und dreist, dass er sich nicht von diesem Spiel lösen konnte. Aber tatsächlich hatte ich etwas anderes auch nicht wirklich erwartet. Nicht mehr. Früher einmal, hätte er alles sofort stehen und liegen gelassen, um mit mir zu sprechen. Er hätte von selbst bemerkt, dass etwas nicht stimmte und hätte reden wollen. Der Erik in den ich mich verliebt hatte, war aufmerksam gewesen. Liebevoll. Zärtlich. Manchmal auch unbeholfen, wenn er sich nicht sicher war, wie er mir gegenüber handeln sollte. Schüchtern und treu. Er sah damals so schön aus und je älter wir wurden, desto attraktiver wurde er. Er war meine erste große Liebe gewesen. Mein erstes Date, mein erster Kuss und mein erstes Mal. Und ich seine. Und es wäre herzlos gewesen, wenn ich behauptet hätte, dass mir das hier, nun leicht viel. Denn das tat es nicht. Es schmerzte, sehen zu müssen, zu welchem Menschen Erik geworden war. Wie der Junge den ich geliebt hatte, zu einem jungen Mann geworden war, den ich hasste.

„Erik, ich gehe."
„In die Küche? Wenn du dir was zu trinken holst, kannst du mir eine Cola mitbringen? Steht im Kühlschrank."
„Nein", antwortete ich, mir mehr Nachdruck und Beharrlichkeit in der Stimme. Erst jetzt realisierte er, dass etwas nicht stimmte. Er eh kurz zu mir auf und pausierte dann plötzlich das Spiel. Einer der Lykaner fluchte, wurde jedoch sofort still, als Erik ihn anblaffte.
„Was meinst du damit", wollte der Sohn des Alphas wissen. Ein merkwürdiger Ausdruck lag auf seinem Gesicht. „Was meinst du, du gehst?"
„Es heißt, dass ich gehen werde. Aber nicht in die Küche, sondern nach Hause. Du meinst, dass du keine Geheimnisse vor deinen Freunden hast? Gut, dann sollen sie sich das anhören", meinte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Ausdruck wurde ernster, fast schon grimmig, aber er blieb weiterhin nur sitzen. „Ich bin heute hergekommen, in der Hoffnung, unsere Beziehung noch irgendwie retten zu können. Aber mir ist klar geworden, dass es da nichts mehr zu retten gibt."
Ich sah förmlich, wie die Wut in ihm Aufstieg und er sich das aufsteigende Knurren in seiner Kehle verkniff. Er stand auf und war den schwarzen Controller auf das Sofa. Nur wenige Schritte trennten mich von ihm und den anderen Lykanern und obwohl auch seine Freunde nun sehr angespannt wirkten, verspürte ich keinerlei Angst.
„Machst du etwa Schluss?"
„Ja. Und ich hätte gerne mit dir darüber unter zwei Augen gesprochen, doch anscheinend ist das nicht möglich. Unsere Beziehung lief nicht mehr und daran sind wir beide Schuld!"
„Du solltest dir lieber dreimal überlegen, ob du mit mir Schluss machst!" Eriks Stimme war bedrohlich leise.
„Nein. Es ist aus. Darüber muss ich nicht mehr nachdenken, Erik. Es ist aus", sagte ich und drehte ihm den Rücken zu, um zu gehen. „Wenn du dich wieder beruhigt hast, können wir gerne darüber reden, aber es wird nichts an meiner Meinung ändern."

Wolfsblut - ProphezeiungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt