Kapitel 29

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Schon zum dritten Mal startete ich einen Anlauf, endlich aus dem Auto zu steigen. Doch wie schon beide Male zuvor, schloss ich die Autotür wieder, ohne aufgestanden zu sein. Die ganze Fahrt über hatten meine Hände leicht gezittert. Es war ein Wunder gewesen, dass ich mich auf die Straße hatte konzentrieren können. Ich hatte Schluss gemacht. Endlich hatte ich den Mut aufgebracht, die Beziehung zu Erik zu beenden. Ganz zu seinem Missfallen. Er war beinahe ausgerastet. Währen seine Freunde nicht da gewesen, um ihn zurück zu halten, wäre ich bestimmt nicht so einfach davon gekommen. Er hätte mir nicht absichtlich weh getan, aber sein innerer Wolf war soweit an die Oberfläche gekommen, dass es ihm alle Mühe gekostet hatte, die Kontrolle zu behalten. Irgendwie war diese Sache, zum Ende hin, nicht ganz so gelaufen, wie ich es mir erhofft hatte. Wahrscheinlich würden unschöne Tage folgen. Aber mein Entschluss blieb bestehen. Selbst wenn Erik noch einmal das Gespräch mit mir suchen würde. Seufzend legte ich die Stirn auf dem Lenkrad ab und atmete einige Male tief durch. Ich fühlte mich befreit und auch irgendwie erleichtert, dass das jetzt vorbei war, aber es wäre gelogen, wenn ich nicht zugäbe, dass die guten Zeiten mit Erik mir doch etwas fehlen würden.
Vielleicht hatten die Erwachsenen ja recht, wenn sie sagten, dass man seine erste große Liebe nie wirklich vergisst...

Ein Klopfen an der Scheibe ließ mich hochschrecken. Etwas verwirrt blickte ich in das Gesicht der Altern Dame aus dem Haus 10b am Ende der Straße. Sie lächelte mich traurig an und bedeutete mir, mit ihren rot manikürten Fingern, die Scheibe herunter zu lassen. Ich nickte und drückte den Knopf. Das mechanische Surren erfüllte die Stille im Auto.
„Guten Abend Liebes", grüßte sie mich.
„Guten Abend, Mrs. Langley", grüßte ich zurück und sah nach unten zu den Hunden, die sie immer mit sich führte. Doch heute hatte sie merkwürdiger Weise nur einen der kleinen Malteser Hunde bei sich. Als ich wieder zu ihr hoch sah, stand Trauer in ihren Augen. „Was ist los Mrs. Langley?"
„Sir Charles ist seit einigen Tagen verschwunden. Er ist bei einer unserer abendlichen Runden nervös geworden und hat die ganze Zeit den Wald angebellt. Als lauerte dort etwas Böses." Gänsehaut bildete sich auf meinen Armen und die Luft kühlte sich schlagartig herab. Ich warf einen Blick hinter die alte Dame. Nur wenige Meter entfernt begann der Wald.
„Sie Charles hat sich losgerissen und ist losgerannt. Ich glaube, er wollte mich und Lady Belle beschützen. Aber er kam nicht wieder...", sehnsüchtig sah sie zum Wald, in der Hoffnung, ihr vermisster Hund würde wieder auftauchen. Mrs. Langley tat mir leid. Nach dem Tod ihres Mannes vor einigen Jahren, hatte sie sich Sir Charles und Lady Belle zugelegt und sie liebte diese Malteser mit ihrem ganzen Herzen. Leise hoffte ich, dass der Hund wieder auftauchen würde.
„Habt bitte ein Auge darauf", bat sie mich.      „Vielleicht hat sich Sir Charles ja nur verlaufen. Ich verspreche, dass wir darauf achten werden, Mrs. Langley. Und vielleicht finden wir ihn ja." Die alte Dame nickte. Aber etwas änderte sich. Ihre mit Altersflecken gezierte Hand griff nach meinem Arm.
„Dieser Tage treibt sich etwas Böses in unseren Wäldern herum. Seit vorsichtig. Was auch immer es ist, schafft es, sich zwischen unseren Grenzkontrollen hindurch zu schleichen." Ohne ein weiteres Wort ging sie davon. Ich schluckte. Das war definitiv gruselig gewesen. Hastig stieg ich aus dem Auto. Ich wollte nicht mehr länger in diesem Wagen sitzen. Nicht, wenn die Möglichkeit bestand, dass mich etwas dort draußen beobachtete.

Mit eiskalten Händen öffnete ich die Vordertür. Der Nachmittag oder besser gesagt der Abend war alles andere als schön geworden. Aber ich fühlte mich erleichtert und dank Mrs. Langley auch etwas verängstigt. Ihre letzten Worte spuckten in meinem Kopf herum. Etwas Böses... Doch was war es?
„Schon zurück?"
Ich zuckte erschrocken zusammen und brauchte einen kurzen Moment, um zu realisieren, dass Yuhkai in der Küche stand und mit mir sprach. Ich kniff grimmig die Augen zusammen, bevor ich den Autoschlüssel an seinen gewohnten Platz legte und mit dir Schuhe auszog.
„Ich weiß gerade nicht, was mich mehr schockiert", sagte ich und ging zu ihm. „Dass du kochen kannst oder dass du aus dem Topf isst."
Er kaute gerade auf einer neuen Gabel voll Spaghetti herum. Sein Blick glitt zwischen mir und dem Topf voller Nudeln hin und her. Als wäre es ihm völlig gleichgültig, zuckte er nur mit den Schultern und aß weiter. Seine Haare waren noch feucht und er roch, als wäre er frisch geduscht. Garantiert hatte er mit trainiert und glich jetzt sein Kaloriengehalt wieder aus.

„Ich hasse Abwasch", kam es dann etwas leiser von dem Lykaner. „So spare ich mir Arbeit." Schlau.
„Verstehe!" Ich drehte mich zum Kühlschrank und nahm eine Dose Cola heraus und war heilfroh, dass er mein Gesicht nicht sehen konnte. Ich musste nämlich jegliche Kraft aufbringen, um dieses dämliche Grinsen und meinem Gesicht zu unterdrücken. Dieser Typ machte mich.... irre.
„Und warum bist du schon wieder hier?"
Ich verschluckte mich fast an der kalten Flüssigkeit.
„Was", fragte ich, als hätte ich ihn nicht verstanden und schloss die Tür zum Kühlschrank wieder.
„Wieso bist du schon wieder zu Hause", wiederholte er und musterte mich dabei aufmerksam. „Ich dachte Erik hat sturmfrei und wenn du jetzt schon wieder hier bist, kann das nur eines von zwei Dingen bedeuten." Bei seinen letzten Worten trat ein belustigtes Funkeln in seine dunklen Augen und er zeigte mit der Gabel auf mich. Ich hatte ihm gegenüber auf einem der Barhocker Platz genommen und musterte ihn ebenfalls. Doch ich konnte nicht anders, als ihm die Gabel aus der Hand zu nehmen, um selbst einige der Spaghetti zu kosten. Überraschender Weise schmeckte seine Bolognese hervorragend. Aber das würde ich ihm nie sagen! Sein Ego und sein Selbstbewusstsein waren schon aufgeblasen genug...
„Und diese Dinge wären?"
Er grinste und nahm sich eine neue Gabel aus dem Schubfach für Besteck.
„Dass es gar nicht erst soweit gekommen ist, dass er dich ins Bett bekommen hat - wahrscheinlich weil seine Freunde noch immer da waren - oder... ihr hattet Sex und Erik hält nicht sonderlich lange durch." Geschockt und unfähig so schnell etwas zu erwidern, konnte ich ihn nur anstarren.
„Ha", rief er aus und schon sich eine neue Ladung Essen in den Mund. „Also letzteres. Wundert mich irgendwie gar nicht. So wie er sich immer aufführt, kann im Bett nicht sehr viel dahinter stecken."

„Erstmal geht dich das ja wohl nicht an, Yuhkai! Und zweitens: du denkst wohl, du kannst es besser?"
Oh das würde würde jetzt definitiv spaßig werden. Ich war bereit mich mit ihm zu zanken. Solange ich keine Gedanken mehr an Eriks ausrastet oder dieses unbekannte Böse in den Wäldern verschwenden musste. Oh ich wollte Yuhkai ärgern. Und anscheinend wollte er das auch, denn seine Augen blitzten strahlend blau auf. Sein Wolf wollte spielen.
„Willst du es etwa herausfinden, Asteria?"
Die Art wie er meinen Namen aussprach, jagte mir einen Schauer über den Rücken. Dieses Gefühl in mir, dieses etwas, was sich manchmal regte, schien seine Augen zu öffnen. Richtete seine Aufmerksamkeit und seine Neugierde auf den Lykaner vor mir. Unter meiner Haut begann es elektrisch zu summen. Und mit einem Mal war alles von diesem Abend zweitrangig.
„Ich weiß nicht, ob es da... so viel herauszufinden gibt", sagte ich und blickte kurz zwischen seiner Hose und seinem Gesicht hin und her. Feuer. Ich spielte mit dem Feuer und eigentlich hätte ich mich selbst dafür Ohrfeigen sollen. Blitzschnell war er um die Kücheninsel gekommen und hatte mich an den Handgelenken gepackt. Seine Haut, seine Finger glühten auf meiner kalten Haut. Sein Blick lag unnachgiebig auf meinem und irgendwie vergaß ich, wie man atmete.
„Wenn du wüsstest", begann er und kam mir noch ein Stück näher. Meine Knie berührten seine Hüfte. Mir wurde warm und mit einem Mal wieder kalt. Dieses Etwas in mir, schob sich ihm entgegen.
„Wenn ich was wüsste, Yuhkai? Was dann?"
Ein Knurren entrang seiner Kehle. Bei der
Mondgöttin! Dieses Geräusch... Der Lykaner kam ein Stück näher. Seine Wärme erfüllte die Leere zwischen uns und seine Augen waren nun vollkommen blau. Mein Blick blieb an seinen Lippen hängen. Wenn ich nur diese wenigen Zentimeter.... Wie vom Blitz getroffen ließ er mich los und war mit einem Mal wieder auf der anderen Seite der Kücheninsel. Sein Gesicht war finster und ich konnte sehen, dass jede Faser seines Körpers angespannt war. Was war mit einem Mal los?
„Yuhkai, was ist los?" Seine nun wieder dunklen Augen richteten sich auf mich. „Das war nur Spaß."
„Vielleicht. Aber... du bist Eriks Freundin. Du bist vergeben. Ich flirte nicht den Freundinnen anderer Lykaner", sagte er und lief zur Haustür. „Auch nicht, wenn es nur... Spaß war."
Und damit verschwand er.

Wolfsblut - ProphezeiungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt